Langsamer Abschied von der Macht Westerwelle spielt auf Zeit
01.04.2011, 21:16 Uhr
7365 Kilometer fern der Heimat kümmert sich Westerwelle um die Beziehungen zu China, während zu Hause der Kampf um seine Nachfolge läuft.
(Foto: dapd)
"Da gehen doch einigen die Gäule durch", lässt Westerwelle zu parteiinternen Spekulationen über einen bevorstehenden Rückzug erklären. Doch es scheint, als ob der oberste Liberale seinen Stuhl als Parteichef demnächst räumen könnte, wenn er denn nur Außenminister und Vizekanzler bleiben darf. Eine Vorentscheidung im engsten Kreis wird für Montag erwartet.
Es grummelt schon lange in der FDP, und nach den vermasselten Landtagswahlen ist aus dem Gegrummel ein Getöse geworden. Während sich Parteichef Guido Westerwelle in China und anderen Ländern voll auf seine Aufgabe als Außenminister konzentriert, tobt zu Hause in der FDP eine Führungsdebatte, wird der Weg geebnet für einen personellen Neuanfang.
Montag - Tag der Vorentscheidung?

Im National Museum of China in Peking klebt vor der Eröffnung der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" ein Zettel an einem roten Sessel.
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Nunmehr verdichten sich die Anzeichen, dass Westerwelle relativ bald Tabula Rasa machen will. In der auf drei Stunden angesetzten Präsidiumssitzung am Montag könnten "durchaus wirklich wichtige Vorentscheidungen" getroffen werden, verlautete aus Parteikreisen. Die Personaldebatte könne nicht so ungesteuert weiter laufen, da sonst die FDP und ihre Regierungsarbeit insgesamt beschädigt würden. Bereits am Sonntagabend sind diverse Spitzengespräche geplant. Der Außenminister wird an diesem Tag von seiner Reise nach China und Japan zurückerwartet.

Außenminister Westerwelle eröffnete die Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung", die von den Staatlichen Museen in Berlin, München und Dresden vorbereitet wurde.
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Gemunkelt wird auch, dass Westerwelle möglicherweise für sich bereits schon die Entscheidung getroffen haben könnte, den Parteivorsitz abzugeben, weil er zum Beispiel in der Debatte über die endgültige Stilllegung der alten Atomreaktoren seinem Generalsekretär Christian Lindner voll das Feld überlassen hatte. Auch der "Süddeutschen Zeitung" zufolge ist Westerwelle bereit, den Parteivorsitz auf dem Bundesparteitag im Mai abzugeben. Er wolle aber auf alle Fälle Außenminister und Vizekanzler bleiben.
"Da gehen doch einigen die Gäule durch"
Offenbar um wenigstens bis zum Sonntagabend oder Montag die Debatte einigermaßen im Zaum zu halten, ließ Westerwelle aus dem fernen China erklären, es gebe bislang "weder eine Entscheidung noch eine Vorentscheidung". Der Parteichef werde eine so wichtige Frage nicht auf seiner Asien-Reise entscheiden, sagte ein Vertrauter Westerwelles der Nachrichtenagentur dpa. "Da gehen doch einigen die Gäule durch", ließ Westerwelle erklären.
Rösler, Lindner, Leutheusser-Schnarrenberger?
Dagegen berichtete der "Kölner Stadtanzeiger", Gesundheitsminister Philipp Rösler solle neuer Parteichef werden. Darauf hätten sich die wichtigsten Landesverbände telefonisch geeinigt. Aus Röslers Umfeld hieß es dazu am Freitag in Berlin, von einer solchen Telefonkonferenz und angeblichen Absprachen sei nichts bekannt. Rösler selbst kündigte in einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" an, er wolle dafür sorgen, dass die FDP ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinne durch eine andere inhaltliche Ausrichtung. "Die FDP war stets eine Partei von Maß und Mitte: Da passt ein Absolutheitsanspruch nur bedingt."

Nicht am Posten kleben: Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert ihren Parteichef öffentlich.
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Auch Generalsekretär Christian Lindner wird als heißer Anwärter auf den Parteivorsitz gehandelt. Sollten die beiden nicht antreten, will Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den Hut in den Ring werfen. Der Vertreterin des linksliberalen FDP-Flügels werden aber kaum Chancen eingeräumt. Sie wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Und zu Aufforderungen, selbst als FDP-Bundesvorsitzende anzutreten, erklärte die 59-jährige Ministerin: "Ich mache meinen Job und spekuliere nicht." Dem "Münchner Kurier" sagte sie aber auch: "Keiner sollte an seinem Posten kleben." Die FDP dürfe aber bei der Nachfolgeregelung "keinen Scherbenhaufen" hinterlassen.
Homburger will kein Bauernopfer sein

Es kriselt: Mit Homburger rückt erstmals eine Vertreterin aus dem engsten Führungskreis der FDP von Westerwelle ab. Generalsekretär Lindner hat das öffentlich noch nicht getan.
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"In der Tat können wir nicht so weitermachen wie bisher: Wir müssen alles auf den Prüfstand stellen, sowohl inhaltlich wie personell", sagte die Vorsitzende des Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, der "Rheinischen Post". Und fügte drohend hinzu: Wenn sie von "alles" spreche, meine sie damit selbstverständlich auch den Parteivorsitzenden.
Homburger steht nach den verlorenen Landtagswahlen selbst unter enormem Druck und versucht daher, keine Schwäche zu zeigen. Sie werde als Fraktionschefin und in ihrer Funktion als FDP-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg weitermachen, verkündete sie und fügte hinzu. "Ich wurde massiv gebeten, jetzt nicht von Bord zu gehen." Weder als FDP-Landeschefin noch als Fraktionsvorsitzende in Berlin stehe sie als "Bauernopfer" zur Verfügung, nur um den Verbleib Westerwelles an der Parteispitze zu ermöglichen.
Pieper wirft das Handtuch
Von Bord gegangen ist unterdessen die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Cornelia Pieper. Sie will nicht mehr zu den Wahlen als Bundes-Vize und FDP-Landeschefin in Sachsen-Anhalt antreten, hatte sie der "Mitteldeutschen Zeitung" gesagt. Sie wolle sich auf ihre Aufgabe als Staatsministerin im Auswärtigen Amt konzentrieren. Allerdings stehe sie weiter als einfaches Mitglied für den FDP-Bundesvorstand zur Verfügung.
Dafür will Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn beim Bundesparteitag im Mai für ein "prominentes Amt" im Präsidium kandidieren. Ob es sich dabei um einen der drei Stellvertreterposten handelt, wollte er im Interview mit der "Bild"-Zeitung nicht sagen. Hahn verlangte, jedes derzeitige Mitglied im Präsidium müsse sich einem "Stresstest wie bei den Banken" unterziehen.
Westerwelle hatte unmittelbar nach den Wahlniederlagen einen Rücktritt abgelehnt. Der 49-jährige Außenminister, der die FDP seit zehn Jahren führt, hatte sich bislang stets gegen die Trennung der Ämter von Parteichef und Außenminister ausgesprochen. Nur so könne er auf Augenhöhe mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verhandeln, hatte er argumentiert.
Inzwischen ist der Druck aus der Partei so groß geworden, dass Westerwelle befürchten muss, auch sein Regierungsamt zu verlieren. Große Landesverbände wie Bayern und Baden-Württemberg stehen angeblich nicht mehr hinter ihm. Mitte Mai wird die FDP-Führung auf einem Parteitag in Rostock neu gewählt. Die neue Mannschaft soll die FDP dann bis in den Bundestagswahlkampf 2013 führen.
Was wird mit Brüderle?
Nach dpa-Informationen ist es deshalb auch keineswegs sicher, dass Rainer Brüderle sein Amt als Wirtschaftsminister behalten kann. Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, nannte Brüderle "irreparabel beschädigt". Der "tageszeitung" sagte er: "Wir brauchen mehr als eine einzige Personalentscheidung."
Sollte Rösler Parteichef werden, könnte er auch Brüderles Ministerium beanspruchen, hieß es. Das besonders heikle Amt des Gesundheitsministers gilt allgemein als nicht mit dem Parteivorsitz vereinbar.
Merkel will keine Kabinettsumbildung
Zu Spekulationen über eine Kabinettsumbildung sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sehe "gar keine Veranlassung", sich eine Kabinettsumbildung zu wünschen. Sie arbeite mit allen FDP-Ministern sehr gut zusammen. "Alles andere sind Ereignisse in Parteien, die wir abwarten."
Eine Mehrheit der Bürger rechnet laut ZDF-"Politbarometer" mit einem Rückzug Westerwelles. 55 Prozent glauben nicht, dass er nach dem FDP-Parteitag im Mai noch Parteivorsitzender sein wird, 36 glauben das Gegenteil. Für 69 Prozent der 1283 Befragten trägt Westerwelle sehr große oder große Schuld an der desolaten Lage der Partei. Die Politik der FDP insgesamt bezeichneten nur 15 Prozent als "eher glaubwürdig", 79 Prozent als "nicht glaubwürdig".
Quelle: ntv.de, hdr/tar/dpa/AFP