Auschwitz verfällt Hilferuf aus Polen
18.06.2009, 14:10 Uhr
Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager während der NS-Zeit.
(Foto: picture-alliance/ ZB)
Polen schlägt Alarm: Der KZ-Gedenkstätte Auschwitz droht der Verfall. Doch Warschau will die Verantwortung für die Erhaltung nicht mehr alleine tragen und bittet Europa und vor allem Deutschland um finanzielle Unterstützung.
64 Jahre nach Kriegsende ist das Interesse an Auschwitz, dem weltweiten Holocaust-Symbol, größer denn je zuvor. Mehrere tausend Menschen aus aller Welt gehen täglich durch das berüchtigte Eingangstor mit der zynischen Aufschrift "Arbeit macht frei" in die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers im südpolnischen Oswiecim. Zwischen Ruinen der Krematorien, in der Ausstellung oder in Gesprächen mit Überlebenden suchen die mehrheitlich jugendlichen Besucher die Antwort auf die Frage, wie diese "Hölle auf Erden" überhaupt möglich gewesen war. Im vergangenen Jahr seien es mehr als eine Million Menschen gewesen, Tendenz steigend, sagt Gedenkstättensprecher Jaroslaw Mensfelt.
Auschwitz sei nicht nur ein Ort des Gedenkens, sondern auch ein Ort des Lernens, verwies der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, auf die "pädagogische Bedeutung" des Museums. Und die Welt weiß diese Rolle zu schätzen. Zum 60. Jahrestag der Befreiung der Auschwitz-Häftlinge hatten 2005 mehr als 30 Staats- und Regierungschefs an der Gedenkveranstaltung teilgenommen. Als einziges NS-Lager steht Auschwitz zudem auf der UNESCO-Welterbeliste.
"Globale Sanierung" erforderlich

In Auschwitz wurden etwa 1,1 Mio. Menschen ermordet, davon eine Million Juden.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Doch in der Alltagsarbeit der Gedenkstätte hat es seit einiger Zeit immer mehr Anlass zur Sorge gegeben, bis der Direktor der Einrichtung, Piotr Cywinski, öffentlich Alarm schlug. Der Gedenkstätte drohe der Verfall, erklärte er. "Wir hatten die Lagergebäude unter Todesangst gebaut, dachten nur daran, den Schlägen der SS-Wächter zu entkommen", erinnert sich Wladyslaw Bartoszewski, Präsident des Auschwitz-Komitees und ehemaliger Auschwitz-Häftling mit Nummer 4427. An bauliche Qualität sei nicht gedacht worden, so der 87-Jährige.
Auf dem 200-Hektar-Gelände des Lagers stehen 155 Bauobjekte und 300 Ruinen, die ungünstiger Witterung ausgesetzt und durch Grundwasser bedroht sind. Sie erforderten eine "globale Sanierung", andernfalls sei die Authentizität des Ortes gefährdet, warnte Cywinski. Dafür müssten in den nächsten 20 bis 25 Jahren jährlich vier bis fünf Millionen Euro ausgegeben werden.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1947 finanziert Polen die Gedenkstätte. 2008 hatte der Etat rund 6,8 Millionen Euro betragen, wobei ausländische Spenden nur etwa fünf Prozent ausmachten. Doch jetzt will Warschau die Verantwortung für die Erhaltung der Gedenkstätte nicht mehr alleine tragen. Nicht nur alte Paläste und Kirchen, sondern auch Auschwitz sei ein Bestandteil der europäischen Geschichte, sagt Bartoszewski. Er erwarte, dass sich Europa zu diesem Aspekt seiner Geschichte bekenne und Mitverantwortung übernehme. Dabei wolle Polen weiterhin für die laufenden Kosten aufkommen, hieß es aus Warschau.
"Namhafte" Beteiligung Deutschlands zugesagt

Die Aufnahme zeigt die argentinischen Einreise-Dokumente des KZ-Arztes von Auschwitz, Josef Mengele, der unter dem Namen Helmut Gregor nach Argentinien einwanderte.
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Gegen den Verfall der Gedenkstätte soll nun eine Internationale Stiftung helfen. Ideengeber Bartoszewski will 120 Millionen Euro als Grundkapital sammeln und von den Zinsen die Sanierungsarbeiten finanzieren. Um andere Länder für diese Idee zu gewinnen, hatte Polens Ministerpräsident Donald Tusk im Winter mehr als 40 seiner Amtskollegen angeschrieben und um Hilfe gebeten. Keiner habe Nein gesagt, freut sich Cywinski. Doch mit konkreten Zusagen lassen sich die meisten Regierungen Zeit. Nur Deutschland sagte kurzfristig eine Million Euro zu, die EU stellte 4,2 Millionen Euro in Aussicht. Positive Reaktionen soll es auch aus Großbritannien, Frankreich und Tschechien gegeben haben. Die Wirtschaftskrise sei ein schlechter Moment für großzügige Spendenzusagen, gibt Bartoszewski zu.
In Polen wird erwartet, dass sich Deutschlands Engagement nicht auf eine Million Euro beschränkt. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der als einziger Deutscher im Kuratorium der Auschwitz-Stiftung sitzt, versprach nach der ersten Sitzung des Gremiums in Warschau, dass sich Deutschland "namhaft" am Projekt beteiligen werde. Konkrete Summen nannte aber auch er vorerst nicht.
Die Deutschen wüssten, dass sie Verantwortung für das unsägliche Leid tragen, das in Auschwitz und Birkenau "vielen, vielen" Menschen angetan worden sei, versicherte Rüttgers. Die Nationalsozialisten hatten dort zwischen 1940 und 1945 nach Schätzungen 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen ermordet, die meisten von ihnen waren Juden.
Quelle: ntv.de, Jacek Lepiarz, dpa