Die Saison 1963/64 Die Bundesliga schlägt Striptease-Lokale
22.07.2017, 09:59 Uhr

Kölner Meister: Trainer Georg Knöpfle zwischen Wolfgang Weber und Wolfgang Overath.
Schiedsrichter werden mit Fahnenstangen geschlagen, Trainer haben Angst, dass sie erschossen werden und die Zuschauer zahlen Vergnügungssteuer. Die Fußball-Bundesliga startet 1963 furios - und Uwe Seeler springt wie immer am höchsten.
Die Liga ist von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Über sechs Millionen Karten werden in der ersten Saison verkauft, das macht einen Schnitt von 25.134 pro Partie. Viel Geld ist plötzlich im Spiel, das weckt Interesse. Auch die Kommunen möchten profitieren. Die Stadt Nürnberg verlangt ein Fünftel der Werbeeinnahmen, die durch Lautsprecherdurchsagen in die Kasse des deutschen Rekordmeisters kommen, und erhebt zudem eine Vergnügungssteuer in Höhe von zehn Prozent auf jede Eintrittskarte. Diese Regelung gilt bundesweit und wird von Ligavertretern scharf kritisiert. Sie bemängeln, dass der Steuersatz über dem für Striptease-Lokale liege.
Bisher war der Starruhm für die meisten Fußballer vor allem regional ausgeprägt. Nun schaut ein Publikum in ganz Deutschland Woche für Woche auf die 16 Vereine und ihre Akteure. Und die Spieler genießen den Platz an der Sonne. Manch einer etwas zu intensiv. Herthas Kapitän Helmut Faeder fliegt, anstatt zu trainieren, lieber nach Stuttgart - mit einem One-way-Ticket. Zurück nach Berlin rast er mit seinem nigelnagelneuen Mercedes, den er bar am Werkstor bezahlt hat.
Doch bei allen positiven Momenten bleiben die Schattenseiten nicht aus. Nürnbergs ehemaliger Meistercoach Herbert Widmayer wird am 30. Oktober als erster Trainer der Bundesliga nach einem 0:5 zu Hause gegen den 1. FC Kaiserslautern entlassen. Der Erfolgsdruck lässt die Verantwortlichen bereits nach dem neunten Spieltag handeln - eine völlig neue Entwicklung. Widmayer ist schockiert: "Es fehlt nur noch, dass man nach einer Niederlage erschossen wird!"
Kölner marschieren zum Titel
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Erster Meister der Bundesliga wird der 1. FC Köln. Besonders gönnen die Fußballfreunde in Deutschland diesen Titel dem Kölner Präsidenten. Franz Kremer gilt als der "Vater der Bundesliga", weil er wie kein Zweiter für sie gekämpft hat. Und er kann stolz auf seinen Klub sein. Die Mannschaft marschiert souverän zur Meisterschaft. Nur ein kleiner Stolperstein lauert nach einem Eklat am 22. Spieltag bei der Partie gegen Eintracht Frankfurt (1:1) auf die Kölner.
Ein Anhänger des FC verpasst Schiedsrichter Lutz mit einer Fahnenstange einen Schlag auf den Kopf. Der Unparteiische reagiert überaus rücksichtsvoll und nachsichtig. Den jungen Gewalttäter, der direkt in Polizeigewahrsam genommen werden konnte, will Lutz nicht anzeigen. Mit einem großen Pflaster auf der geschwollenen Stirn verlangt er jedoch: "Der unbesonnene Jugendliche muss aber einen Denkzettel bekommen. Er sollte dazu verurteilt werden, einem Waisenhaus einen Geldbetrag zu überweisen." Schiedsrichter Lutz mimt den edlen Ritter in Schwarz, doch der DFB reagiert mit weniger Nachsicht und verhängt gegen den 1. FC Köln eine Platzsperre. Die Mannschaft von Trainer Georg Knöpfle weicht nach Wuppertal ins Stadion am Zoo aus. Dort besiegt sie am 25. Spieltag die Löwen aus Braunschweig und feiert mit nunmehr sechs Punkten Vorsprung auf den Meidericher SV fast schon die Meisterschaft.

"Uwe Seeler sprang mit dem Kopf höher als unser Torwart Charly Paul mit den Fäusten."
(Foto: imago/Kicker/Metelmann)
Da die Aufnahme von Preußen Münster in die Bundesliga die Fans in Deutschland ohnehin etwas überrascht hatte, kommt der anschließende, sofortige Abstieg des westfälischen Traditionsvereins für viele nicht ganz unerwartet. Was jedoch niemand ahnt - das Gründungsmitglied wird nie wieder ein Bundesligaspiel bestreiten. Geschichte schreiben die Preußen in ihrem einzigen Erstligajahr dennoch. Am 7. September 1963 erzielt Hermann Lulka für seinen Klub zwischen der 17. und 52. Minute das 1:0 bis 3:0 gegen den Meidericher SV. Es ist der erste Hattrick der Bundesligageschichte. Nicht lupenrein, aber dennoch wird dieses Ereignis beim 4:2-Sieg von Münster über den MSV gebührend gefeiert. Lulka trifft in dieser Spielzeit noch weitere sechsmal und landet damit unter den Top-25-Schützen der Bundesliga. Doch ein anderer Mann überragt alle: Hamburgs Uwe Seeler. KSC-Spieler Klaus Zaczyk sagt nach dem 0:4 im Heimspiel gegen den HSV staunend: "Uwe Seeler sprang mit dem Kopf höher als unser Torwart Charly Paul mit den Fäusten."
Timo Konietzka, der Schütze des allerersten Bundesligatores, erinnert sich, dass dieser ewige Ruhm beinahe an ihm vorbeigegangen wäre: "In Bremen wollte ich anfangs gar nicht spielen. Ich hatte so eine verdammte Oberschenkelgeschichte - sie hatte mich die Teilnahme am Pokalfinale gekostet -, und ich musste das Bein nachziehen. Aber meine Kameraden überredeten mich: Du musst spielen! Ich ließ mich breitschlagen. Dann kam die erste Minute. Emma zog am linken Flügel los, flankte, ich war da. Schuss, 1:0!"
Ben Redelings ist gerade mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.
Quelle: ntv.de