"Opfer des Systems" Zocker Kerviel vor Gericht
08.06.2010, 16:25 UhrIn Paris beginnt der Prozess gegen den ehemalige Börsenhändler Kerviel. Der 33-Jährige soll für einen der größten Spekulationsverluste aller Zeiten verantwortlich sein. Seine Ex-Bank Societe Generale musste 4,9 Milliarden Euro abschreiben. Thema ist auch eine etwaige Mitwisserschaft von Kerviels Vorgesetzten.
Zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden des größten französischen Bankenskandals hat in Paris hat der Prozess gegen Jérôme Kerviel begonnen. Der als "Milliardenzocker" bekanntgewordene ehemalige Börsenhändler der französischen Großbank Societé Générale soll für einen der größten Spekulationsverluste aller Zeiten verantwortlich sein.
Das Geldinstitut schrieb in Folge der Geschäfte Kerviels die sagenhaft hohe Summe von 4,9 Mird. Euro ab. Die Societé Générale will nichts vom illegalen Treiben ihres Mitarbeiters gewusst haben und spricht von kriminellen Vertuschungsmanövern. Der 33-Jährige sieht sich dagegen als Sündenbock und Opfer eines verrückt gewordenen Systems. Er behauptet, mit Billigung seiner Vorgesetzten spekuliert zu haben.
Starnwalt verteidigt Kerviel
Kerviel erschien mit seinem Verteidiger im Pariser Justizpalast, dem Staranwalt Olivier Metzner. Der ehemalige Trader muss sich wegen Vertrauensbruchs, Fälschung und unberechtigten Eindringens in das Computersystem der Société Générale verantworten. "Auf Fragen wird er vor Gericht antworten", sagte sein Anwalt zu den dutzenden Journalisten und Fotografen, die Kerviel umringten. "Wie immer bei einer Krise soll die Verantwortung auf einen Menschen abgewälzt werden und nicht auf das System", sagte Kerviels Anwalt unmittelbar vor Auftakt des knapp dreiwöchigen Verfahrens. "Den Fall Kerviel würde es gar nicht geben, wenn das System, die Bank, die Société Générale, ihre Rolle erfüllt hätten."
"Alles stand auf einem Bildschirm", und fünfhundert Menschen hätten diesen Bildschirm sehen können, meinte der Anwalt. Kerviel habe mit mehreren Kollegen zusammen an einem Arbeitsplatz im Handelsraum gesessen, der Platz seines Vorgesetzten sei nur zwei Meter entfernt gewesen. Wenn Kerviels Chef nun behaupte, nichts von den milliardenschweren Spekulationen mitbekommen zu haben - "was hat er den ganzen Tag lang getan?", fragte der Verteidiger, der auf Freispruch plädieren will.
Die Anklage macht dagegen geltend, dass Kerviel "kein Kind, kein verantwortungsloser Minderjähriger und kein kranker Erwachsener" sei. Der ehemalige Händler müsse für seine Taten einstehen, forderte der Anwalt der Société Générale, Jean Veil. "Wenn bei Ihnen in der Wohnung eingebrochen wird, kann man ihnen vielleicht vorwerfen, sie hätten die Fensterläden oder die Tür schlecht geschlossen - aber auf der Anklagebank sitzt der Einbrecher."
Urteil Ende Juni
Kerviel hatte nach Bekanntwerden des Skandals im Januar 2008 nicht bestritten, Fehler gemacht und die Bodenhaftung verloren zu haben. Er gibt auch zu, seine ungenehmigten Geschäfte durch Scheinaktionen verschleiert zu haben. Er betonte aber stets, dass seine Kollegen und Vorgesetzten dies gewusst und geduldet hätten, solange es Geld eingebracht habe. "Wir haben das alle gemacht, wir waren darauf trainiert, wir wurden dafür bezahlt", sagte Kerviel. Dem Franzosen drohen fünf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 375.000 Euro. Der Prozess soll am 25. Juni zu Ende gehen.
Außerdem will die französische Großbank will ihren ehemaligen Börsenhändler nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" auf Schadenersatz in zweistelliger Milliardensumme verklagen. Der Anwalt der Bank, Jean Veil, sagte dem Blatt: "Ich werde die Wiedergutmachung des Schadens einfordern, den die Bank erlitten hat. Dabei handelt es sich einerseits um den finanziellen Schaden in Höhe von 4,9 Mrd Euro, andererseits um den sehr schweren Imageschaden, den die Bank gerade beziffert." Die Bank orientiere sich bei der Berechnung an Präzedenzfällen in den USA. Der Imageschaden sei gigantisch und werde sich voraussichtlich im zweistelligen Milliardenbereich bewegen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts