Rückrufe stoppen Größenwahn Ist Toyota nur der Anfang?
09.02.2010, 14:06 UhrVolkswagen will Toyota als größten Autobauer der Welt in den kommenden Jahren ablösen. Der Wolfsburger Konzern sollte aber aufpassen. Denn genau das Streben nach Größe fällt dem Branchenprimus aus Japan derzeit auf die Füße.
"Glauben Sie mir, Toyota-Autos sind sicher." Naja, "nichts ist unmöglich", mag man bei den beschwörenden Worten von Akio Toyoda glauben. Es ist die Reaktion eines zutiefst verunsicherten Konzernchefs von Toyota auf die seit Wochen immer wiederkehrenden Rückrufaktionen des weltweiten Branchenprimus.
Der jüngste Ruf in die Werkstätten trifft Toyota voll ins Mark. Es geht um den Prius, das meistverkaufte Hybridauto der Welt. Seit Produktionsstart 1997 wurden weltweit rund 1,6 Mlionen Fahrzeuge abgesetzt. Hollywoodstars wie Leonardo DiCaprio besitzen einen. Er gilt als "chic und umweltbewusst" zugleich. 2009 kam die dritte Generation auf den Markt und fuhr prompt auf Platz eins der japanischen Zulassungsstatistik. Nun bremst sich der mit zwei Antrieben ausgestattete Prius - ein klassischer Benzinmotor und ein kleiner Elektromotor mit Batterie - selbst aus und den ganzen Konzern gleich mit.
Im Hybrid-System liegt der Fehler
Wenn der Fahrer des rund 25.000 Euro kostenden Hybrid-Fahrzeugs bremst, kann es zu einer Verzögerung des Bremssystems kommen. Nämlich dann, wenn vom sogenannten regenerativen Bremsen, das die Batterie aufladen soll, auf hydraulisches Bremsen umgeschaltet wird. Das kann bei niedrigen Geschwindigkeiten, auf rutschigen Strecken und beim Durchfahren von Schlaglöchern passieren.
Nun müssen vom 7. April 2009 bis 27. Januar 2010 gebaute Prius-Modelle in die Werkstätten. Ebenso Hybrid-Fahrzeuge der Luxusmarke Lexus: Typenbezeichnung HS250H. Insgesamt beläuft sich die Zahl der möglicherweise mit Bremsproblemen kämpfenden Toyota-Autos auf weltweit 437.000, davon rund 52.900 in Europa bzw. etwa 4000 in Deutschland.
In Japan wird der Verkauf der betroffenen Prius- und Lexus-Baureihen gestoppt, bis die Probleme behoben sind. Dies werde voraussichtlich bis Ende Februar oder Anfang März dauern, so das japanische Verkehrsministerium. Denn die Lösung des Bremsproblems ist recht einfach: Ein Software-Update. Dauer je Fahrzeug: rund 40 Minuten.
Rückruf unvermeidbar
Toyota hatte zuvor erklärt, das Problem mit den Prius-Bremsen eigentlich im Rahmen eines freiwilligen Servicedienstes beheben zu wollen. Doch angesichts der massiven Kritik nach dem Debakel um die klemmenden Gaspedale ist das Management wohl offensichtlich zu der Einsicht gekommen, dass ein Rückruf unvermeidlich ist - wenn man das verlorene Vertrauen der Kunden zurückgewinnen will.

iQ: Hier kann das Gaspedal klemmen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Zur Erinnerung: Erst vor wenigen Wochen hatte der erfolgsverwöhnte, größte Autohersteller der Welt dieselbige mit einem Rekordrückruf geschockt. Gut acht Millionen Autos der Modelle Aygo, iQ, Yaris, Auris, Corolla, Verso, Avensis und RAV4 sollen weltweit wegen klemmender Gaspedale und gefährlich rutschender Fußmatten in die Werkstätten. Allein das kostet den Konzern rund 1,4 Mrd. Euro. Experten rechnen mit einer noch höheren Summe. Vom Imageschaden ganz zu schweigen.
Absatzeinbruch nicht nur in USA
In den USA, dem wichtigsten Auslandsmarkt des japanischen Konzerns, hatte Toyota wegen seiner umweltfreundlichen Produktpalette von den staatlichen Programmen lange Zeit profitiert. Das scheint nun vorbei. Die ersten Zulassungszahlen belegen das: Im Januar, also zum Teil nach Bekanntwerden des Rückrufdebakels, verbuchte Toyota dort ein Minus von 16 Prozent auf nur noch 99.000 Fahrzeuge und liegt damit nur noch auf Platz drei bei den Neuzulassungen hinter General Motors (GM) und Ford. So schlecht standen die Japaner zuletzt 1999 da.
Rabattaktionen und Sonderwerbungen der Konkurrenten dürften diesen Trend noch verschärfen. "Toyotas Rückruf ist einmalig in der Geschichte der Autobranche", sagte Lee Sung Jae, Analyst beim südkoreanischen Analystenhaus Kiwoom Securities.
Auch Toyota Deutschland richtet sich deshalb auf massive Umsatzeinbußen ein. "Seit die negativen Schlagzeilen vor gut zehn Tagen begannen, ging bei uns in Deutschland der Absatz um rund 20 Prozent zurück", sagte Deutschland-Chef Alain Uyttenhoven der "Wirtschaftswoche".
Klagen in den USA
Neben dem wirtschaftlichen Schaden muss sich Toyota zudem auf harte politische Auseinandersetzungen in den USA einstellen. Zwei Kongress-Ausschüsse wollen im Februar über die Rückrufaktion sprechen. Auch will das US-Verkehrsministerium Toyota-Chef Akio Toyoda einbestellen. Nach Angaben von Kongressmitgliedern könnten bis zu 19 Todesfälle der vergangenen zehn Jahre in den USA mit den nun festgestellten Mängeln bei Toyota-Fahrzeugen in Verbindung stehen.
Zudem reichte in Kalifornien eine Toyota-Kundin Klage ein, da das Fahren des Prius wegen der Bremsprobleme gefährlich sei. Die Sammelklage ist vermutlich das erste Verfahren wegen der Bremsen. Klagen wegen der klemmenden Gaspedale hatte es zuvor schon gegeben.
Volkswagen sollte aufpassen
Nun steht Toyota am Wendepunkt. Die Konzernspitze ist auf weltweiter Entschuldigungs-Tour und will das arg ramponierte Image aufpolieren. "Wir verstehen voll und ganz, dass wir den Klagen der Verbraucher noch aktiver nachgehen müssen und dass wir auf jegliches Sicherheitsproblem schnell reagieren müssen", sagte Konzernchef Toyoda. Das wirkliche Problem liegt aber tiefer und sollte auch VW zu denken geben, denn Experten sind sich einig, dass das Streben nach Größe Toyota zu Fall gebracht hat.
Entgegen seiner traditionellen Unternehmensphilosophie einer "schrittweisen Verbesserung", auch "kaizen" genannt, verbunden mit einem stets sehr hohen Grad an Investitionen, hatte sich der Autokonzern in den vergangenen Jahren verstärkt auf eine beispiellose Expansion konzentriert. Das gelang etwa durch den Einsatz einmal entwickelter Bauteile in Dutzenden verschiedenen Modellen. So wurden die Kosten gesenkt, die Gewinne maximiert. Allerdings blieb dabei auch die Qualität auf der Strecke.
Quelle: ntv.de