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Merkel-Biograf: Regierung in der Zwickmühle Langguth sieht ein echtes Dilemma

Nach den schweren Reaktorunfällen in Japan nimmt die Bundesregierung die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke vorübergehend vom Netz. Die Kanzlerin verkauft die Wende als neue Glaubwürdigkeit in Sicherheitsfragen. Wie war das eigentlich mit der alten Glaubwürdigkeit? Der Bonner Politologe und Merkel-Biograf Gerd Langguth spricht über die 180-Grad-Wende der amtierenden Bundesregierung.

Merkel einigt sich mit den Ministerpräsidenten der Atom-Länder auf die vorübergehende Abschaltung der sieben ältesten deutschen Meiler.

Merkel einigt sich mit den Ministerpräsidenten der Atom-Länder auf die vorübergehende Abschaltung der sieben ältesten deutschen Meiler.

(Foto: picture alliance / dpa)

n-tv.de Die Bundesregierung vollzieht derzeit eine atemberaubende Wende auf einem politischen Feld, das zu ihren wichtigsten Vorhaben überhaupt zählt: der Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke. Ist diese Bundesregierung noch glaubwürdig?

Gerd Langguth: Die Frage ist richtig und auch wichtig. Wenn eine Bundesregierung in Krisenzeiten seine grundlegenden Positionen über den Haufen wirft, kann sie leicht den Verdacht erwecken, dass diese vorher nicht nach allen Seiten hin überprüft worden waren. Andererseits muss man aber auch sagen, dass nach Japan nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Wenn die Regierung nicht eine Art Denkpause in Sachen Atomenergie einlegt, würde sie als eine Regierung, die von einer Christlich Demokratischen Partei geführt wird, die das "C" als Synonym der "Schöpfung" im Namen trägt, ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Damit steht die Regierung in einem Dilemma. Sie könnte ihre Glaubwürdigkeit dadurch verspielen, dass aus tagesopportunistischen Gründen heraus lang gehütete Positionen von heute auf morgen aufgegeben werden, aber auch dadurch, dass sie alles beim Alten belässt.

Wenn Merkel jetzt ankündigt, dass eine "Sicherheitsprüfung ohne Tabus" durchgeführt wird, muss man davon ausgehen, dass es bisher Tabus gab.

Es war so, dass bislang die Kernenergiefrage in Deutschland immer sehr stark ideologisiert war. Und insofern gab es auch Tabus. Historisch betrachtet, galt einst die Kernenergie übrigens als eine "fortschrittliche" Energie, die zuerst von der politischen Linken ins Gespräch gebracht wurde. Das historische Dilemma der CDU besteht darin, dass sie als eine eigentlich eher "konservative" Partei sich hier für eine "fortschrittliche" technologische Lösung hat einspannen lassen.

Natürlich war und ist die Energieversorgung in Deutschland auch ohne Laufzeitverlängerung möglich.

Aber man darf die praktischen Probleme nicht vergessen, wie sie zum Beispiel die süddeutschen Länder hätten, die ja mehrheitlich auf Atomenergie zur Stromversorgung setzen. Dies von heute auf morgen auf alternative Energien umzustellen, ist ganz schwer möglich.

Der von Rot-Grün beschlossene Ausstieg sah ja keinen Ausstieg von heute auf morgen vor und die Laufzeitverlängerung geschah nicht aus Gründen einer sicheren Energieversorgung, sondern war ein Instrument zur Durchsetzung politische Interessen.

Ich denke schon, dass über die Laufzeitverlängerung aus Gründen einer sicheren Energieversorgung und nicht nur "zur Durchsetzung politischer Interessen" entschieden wurde. Übrigens wurden damit die vier großen Energieversorgungsunternehmen gezwungen, einen gewaltigen finanziellen Beitrag für die Entwicklung von alternativen Energieformen zu leisten.

Ist es denn jetzt ein hilfloser Versuch der politischen Schadensbegrenzung vor den Landtagswahlen?

Ob hilflos oder nicht, wird sich zeigen. Man kann heute noch nicht wissen, welche Auswirkungen die Katastrophe in Japan auf die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben wird. Wir haben bislang keine vergleichbaren Präzedenzfälle solcher internationaler Ereignisse und ihrer Auswirkungen auf Landtagswahlen. Wir hatten bei den letzten Wahlen in Nordrhein-Westfalen die Eurokrise in Griechenland. Dies hatte zweifelsohne Auswirkungen auf ein paar Prozente in die Richtung der damaligen Opposition.. Aber einen vergleichbaren Fall wie jetzt gab es bislang nicht. Bei Katastrophensituationen, bei denen in der Regel die Bevölkerung sich hinter ihrer jeweiligen Regierung schart, kommt es sehr auf die Überzeugungsfähigkeit der Regierungskommunikation an.

Es könnte auch durchaus dazu führen, dass wir einen Grünen-Politiker als Ministerpräsident in Baden-Württemberg sehen werden.

Es könnte aber auch gerade andersherum sein: Nämlich dass, wie gesagt, sich die Menschen gerade in Krisenzeiten hinter die amtierenden Regierung scharen. Sie setzen damit auf Bewährtes und Sicherheit. Nicht die Opposition kann in einer außenpolitischen Krise handeln, sie kann nur Reden, Handeln kann nur die Regierung. Das wusste Gerhard Schröder während des Oder-Hochwassers sehr genau. Jetzt kommt es also sehr darauf an, ob die Bundesregierung in dieser Krise ihre Positionen überzeugend vertreten kann. Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen.

Das AKW Neckarwestheim wird bald Geschichte sein.

Das AKW Neckarwestheim wird bald Geschichte sein.

(Foto: picture alliance / dpa)

Nach den letzten repräsentativen Umfragen im Auftrag der ARD sprechen sich fast drei Viertel aller Deutschen dafür aus, schnell wieder aus der Laufzeitverlängerung auszusteigen. Das hieße ja, dass in Krisenzeiten wie diesen die Positionen der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung die richtigen wären.

Ja und nein, denn anderenfalls muss die amtierende Regierung jetzt klar machen, was sie eigentlich will. Und das schon vor den Landtagswahlen. Merkel wird dazu gezwungen werden, Farbe zu bekennen. Sie kann jetzt nicht das Problem aussitzen oder den Eindruck vermitteln, sie mache ein Moratorium und in zwei Monaten bleibt alles beim Alten.

Sitzt Merkel damit in der Zwickmühle?

Ja, ohne Zweifel. Wer lange nach oben gehaltenen einstigen politischen Heiligtümer von heute auf morgen wegen eines schlimmen Ereignisses wie jetzt in Japan aufgibt, wird sie sich fragen lassen müssen, ob er vorher alle sachlichen, fachlichen und politischen Prüfungen vorgenommen hat, oder nicht.

Damit wären wir wieder beim Thema Glaubwürdigkeit.

Nun ja, aber eine Regierung die gar nicht handelt, wäre genauso unglaubwürdig.

Herr Langguth, in ihrem Buch "Machtmenschen" über Kohl, Schröder und Merkel haben Sie der amtierenden Bundeskanzlerin eine lange Kanzlerschaft vorausgesagt – vielleicht sogar so lange wie die Helmut Kohls. Würden Sie das heute wieder so schreiben?

Prof. Dr. Gerd Langguth ist Publizist und unterrichtet Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Die Biografie "Angela Merkel" erschien 2010, das Buch "Machtmenschen" 2009.

Prof. Dr. Gerd Langguth ist Publizist und unterrichtet Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Die Biografie "Angela Merkel" erschien 2010, das Buch "Machtmenschen" 2009.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Ich habe immer die Auffassung vertreten, dass eine schwache SPD keine Regierungsbildung gegen die CDU und Frau Merkel hinbekommt. Das halte ich weiterhin für eine richtige Position. Bis jetzt ist der Abstand der SPD zur Union zu groß als dass eine Mehrheitsbildung gegen Merkel und die Union möglich wäre. Allerdings sind Voraussagen nach Ereignissen von internationaler Bedeutung wie jetzt in Japan nur schwer zu machen, also etwa die Vermutung "Japan" würde der SPD viele Stimmen bringen – dann wohl eher den Grünen.. Die SPD ist eine Partei, die nur an die Macht gelangen kann, wenn die Regierungsseite Fehler macht. Das wissen Merkel und die CDU genau. Die SPD aber auch.

Hier das n-tv.de Spezial zum Erdbeben, zum Liveticker geht es hier.

Quelle: ntv.de, Mit Gerd Langguth sprach Peter Poprawa

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