Erneuerbare Energien

Kritik an der schwarz-gelben Energiepolitik "Der Schaden ist bereits da"

Hans-Jochen Fell ist energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er sitzt seit 1998 im Deutschen Bundestag.

Hans-Jochen Fell ist energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er sitzt seit 1998 im Deutschen Bundestag.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist in Gefahr, meint Hans-Josef Fell. Der energiepolitische Sprecher der Grünen wirft Schwarz-Gelb vor, durch das Festhalten an der Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke nicht nur den Willen der Bevölkerung zu übergehen, sondern auch einen wichtigen Wachstumsmotor abzuwürgen. Die "schlechte Regierungsarbeit" von Schwarz-Gelb könnte die Technologieführerschaft in einem wichtigen Bereich der Exportwirtschaft kosten, fürchtet Fell. Die Regierung fahre eine "kurzsichtige Politik", die sich ganz in den Dienst der großen Stromversorger stelle .

n-tv.de: Unterstützer der erneuerbaren Energien sprechen gern von einer Erfolgsgeschichte. Nüchtern betrachtet tragen die Erneuerbaren aber erst zu 10 Prozent zum Gesamtenergieverbrauch in Deutschland bei. Wirkt ihre Forderung nach 100 Prozent regenerativer Energieversorgung angesichts dieser Zahlen nicht überambitioniert?

Hans-Josef Fell: Nein, überhaupt nicht. Es ist aus Gründen des Klimaschutzes und für eine sichere Energieversorgung eine wichtige Zielvorstellung. Wir sehen, wie die Verknappung der Ressourcen die Preise für konventionelle Energie in die Höhe treibt, wir sehen das Desaster im Golf von Mexiko. Es gibt viele Gründe, die Vollversorgung mit Erneuerbaren schnell anzustreben.

Die ausschließliche Betrachtung des aktuellen Standes lässt die dynamische Entwicklung außen vor. Die ist aber vor allem im Stromsektor enorm. Wir verzeichnen eine Verdopplung des Anteils innerhalb von sieben Jahren, wenn wir diese Rate beibehalten, haben wir 2030 Vollversorgung mit Öko-Strom. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hat dargelegt, dass dies machbar ist – auch ökonomisch, wir werden am Ende der Entwicklung nämlich ein kostengünstigeres Energiesystem haben als mit Beibehaltung der Konventionellen, weil die Brennstoffkosten weitgehend wegfallen und nur die Technikkosten bleiben.

Im Transport- und Wärmesektor konnten wir noch keine derartige Erfolgsgeschichte schreiben. Dort fangen wir von einem sehr niedrigen Niveau an und es bedarf viel stärker politischen Rahmenbedingungen als sie bisher vorhanden sind. Da ist es notwendig, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessert und nicht wie aktuell verschlechtert werden.

Sie haben den Fortschritt vor allem im Strombereich bereits skizziert – welche Potenziale sehen sie hier noch?

Die Potentiale für erneuerbare Energien in Deutschland sind unerschöpflich. Sonnenstrahlen, Wind und Wasser sind zu Genüge vorhanden. Die Energie des Meeres könnten wir gerade im Verbund mit anderen Ländern sehr stark nutzen, wie auch die Solarenergie im Verbund mit Nordafrika. In solchen Räumen gedacht, gibt es keine Verfügbarkeitsgrenzen. Die einzige entscheidende Frage ist die Technikentwicklung: Können wir den Markt so stark durchdringen, dass diese Potentiale auch schnell abgeschöpft werden können? Das ist aber eine rein industrielle Frage. Mit politischer Unterstützung kann das sehr rasant gehen.

Sie haben die Probleme im Transportwesen angesprochen. Bieten die Erneuerbaren eine Alternative zur Abhängigkeit vom Öl?

Ja, und zwar über Technikveränderung und zu einem geringen Maß über nachhaltig angebaute Biokraftstoffe. Die Betonung liegt auf nachhaltig, nur so können Klimaschutz- und Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Aber der Löwenanteil wird über die Elektrifizierung kommen, teilweise ist sie im Eisenbahnverkehr schon längst gang und gäbe. Jetzt geht es darum, Ökostrom in den Verkehr mit Autos und Bussen zu bringen.

Fell in einem Solarmobil, in dem er und seine Frau im Sommer 2008 eine 1000 Kilometer lange Tour quer durch Bayern bestritten, um auf einen Weg aus der "Erdölpreis-Falle" aufmerksam zu machen.

Fell in einem Solarmobil, in dem er und seine Frau im Sommer 2008 eine 1000 Kilometer lange Tour quer durch Bayern bestritten, um auf einen Weg aus der "Erdölpreis-Falle" aufmerksam zu machen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag auf die Klimaziele der EU und den Ausbau der Erneuerbaren verpflichtet. Der Bundesumweltminister schmückt sich gern mit den Erfolgen der Erneuerbaren, trotzdem gibt es Anzeichen, dass die Regierung es nicht besonders ernst damit meint. Sichtbar ist dies vor allem in der Atompolitik. Gefährdet das Festhalten an der nuklearen Energie den Ausbau der Erneuerbaren?

Ja, ganz massiv. Der SRU hat darauf hingewiesen, dass wir heute die Laufzeiten der AKWs nicht verlängern und auch keine neuen Kohlekraftwerke bauen dürfen, wenn wir 2050 eine Vollversorgung beim Strom erreichen wollen. Der Bestand des Kraftwerksparks reicht als Brücke zu den Erneuerbaren aus, dafür könnte die Wachstumsgeschwindigkeit ab 2020 gegenüber der heutigen sogar verlangsamt werden.

Die Umstellung kann sehr schnell gehen, das sieht man etwa an China. Dort wurden in kurzer Zeit etwa 70 Fabriken für Windräder neu gebaut und nun ist China plötzlich Windland Nummer Eins. Innerhalb von zwei Jahren eine Steigerung von 2 auf 13 Gigawatt jährliche Neuinvestitionen, das ist schon enorm.

Wer profitiert vom Festhalten an der Atomenergie? Liegt es im Interesse der großen Stromkonzerne, die Umstellung auf 100 Prozent zu verzögern?

Ja. Das gilt für Deutschland wie weltweit. Man muss wissen: Das Geschäft mit konventionellen Energien ist das größte Geschäft der Erde. Unter den 16 größten Konzernen der Erde sind allein 15, die entweder über Technik oder Direktverkauf von Brennstoffen ihre Geschäfte in der fossilen oder atomaren Wirtschaft machen. Dieses Geschäft würde damit beendet, und wer lässt schon gern sein Geschäft beenden? Weil sie nicht freiwillig umstellen wollen, sind sie die entscheidenden Bremser. Das merken wir an massivem Lobbyismus, der die ganze Gesellschaft durchdringt, bis hin zu Auswüchsen der Korruption.

Müsste man die Kanzlerin nicht an ihr Wort im Zusammenhang mit der Finanzkrise erinnern, dass das "Primat der Politik" wiedererrungen werden muss?

Natürlich. Das Primat der Politik muss heißen, die Mehrwerte der Gesellschaft zu finden. Die liegen eindeutig bei erneuerbaren Energien – durch Klimaschutz, Vermeidung der Abhängigkeit von fossilen und atomaren Ressourcen, durch Vermeidung lokaler Umweltzerstörung, durch Vermeidung von Konflikten um immer knapper werdende Rohstoffe. All dies sind Aspekte, die die Gesellschaft dringend braucht. Aber wer die Interessen der großen Konzerne vertritt, statt die Interessen der gesamten Gesellschaft, der hat das Primat der Politik abgegeben.

Sehen sie – vielleicht auch aus den Erfahrungen ihrer eigenen politischen Arbeit – eine Mehrheit für ihre Ziele?

Wir haben die größte Akzeptanz in unserer Gesellschaft für den Ausbau der erneuerbaren Energien, und nicht für Laufzeitverlängerungen für Atommeiler oder neue Kohlekraftwerke. Diese Akzeptanz wächst, je mehr wir auf Erneuerbare umstellen. Umso mehr erkennen die Menschen ihre positive Wirkung und sind Profiteure ihres Ausbaus – vor allem über die neu geschaffenen Arbeitsplätze. Ich kann nicht verstehen, warum eine konservativ-liberale Regierung aus Rücksicht auf die Interessen der großen Konzerne, die sowieso kaum Akzeptanz in der Gesellschaft haben, hier einen Rückschritt macht.

Ging schon 1997 mit gutem Beispiel voran: Fell und die Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach.

Ging schon 1997 mit gutem Beispiel voran: Fell und die Photovoltaik-Anlage auf seinem Dach.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Setzen Sie, um Menschen von der Richtigkeit ihrer Idee zu überzeugen, eher auf Überzeugung oder finanzielle Anreize? Anders gefragt, sollte man den Menschen eher ans Herz oder ans Portemonnaie gehen?

Beides ist wichtig. Wir müssen in die Geschichte zurückgucken. Als es in den 80er und 90er Jahren noch keine politische Unterstützung für unsere Ziele gab, trug die Bewegung für Erneuerbare den Charakter einer Bürgerbewegung. Es sind hunderte von Solarinitiativen entstanden, die aktiv an einer positiven Gestaltung der Gesellschaft gearbeitet haben. Dies hat letztendlich – dafür bin ich persönlich ein Beispiel, ich komme aus dieser Bewegung – auch zur Politikgestaltung geführt.

Als es unter Rot-Grün gelungen war, auch die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass es ökonomisch rentabel wird, in Erneuerbare zu investieren – der Grundgedanke des Gesetzes für den Vorrang neuer Energien (EEG) - ist die Bewegung explodiert. Man hat gemerkt, was für ein Potential in der Gesellschaft vorhanden ist. Viele Unternehmen gründeten sich, Investitionen wurden getätigt, die Häuslebauer haben sich damit auseinandergesetzt. Das war die Basis für die Bewusstseinsmachung.

Das gelang trotz der massiven Desinformation, die damals wie heute von den großen Konzernen gestreut wird. Ein Beispiel nur: Die Konzerne haben 1995 eine riesige Anzeigenkampagne geschaltet und behauptet, mehr als vier Prozent Strom aus erneuerbaren Energien seien in Deutschland technologisch nicht möglich. Jetzt haben wir 16 Prozent. Wenn wir jetzt auch im Wärme- und Transportsektor weitere wichtige Verbesserungen vornehmen, ist mir um unser Ziel nicht bange. Aber: Es hängt vom politischen Willen ab.

Die Bundesregierung hat wegen der angespannten Finanzlage das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien sowie weitere Programme der Nationalen Klimaschutzinitiative mit einer Haushaltsperre belegt. Besteht die Gefahr, dass die Entwicklung der Erneuerbaren der Finanzkrise zum Opfer fällt.

Die Gefahr ist da, weil wir unter der Kanzlerschaft Merkel eine schlechte Regierungsarbeit in diesen Fragen haben. Auch Herr Röttgen, der eine andere Politik verfolgen wollte, konnte sich nicht durchsetzen. Das zeigt die Machtverhältnisse in der Bundesregierung.

Die Begründung der Haushaltsnot ist schlicht nicht haltbar. Jeder aus Bundeshand herausgegebene Euro aus dem Programm - in Sonnenkollektoren, in Pellets-Heizungen, Wärmepumpen - generiert sieben Euro private Investitionen dazu. Und daraus fließen wieder Steuergelder zurück in den Staatshaushalt. Das ist keine Belastung für den Haushalt, wie Herr Schäuble sagt, sondern der Finanzminister nimmt sich sogar eine Einnahmequelle. Das ist kurzsichtiges Denken, das nichts mit einer vernünftigen Politik zu tun hat. Der Schaden ist bereits da, ich habe von Firmen gehört, die innerhalb weniger Wochen siebzig Prozent Markteinbruch verzeichnen.

In die jüngste Entwicklung fällt die Kappung der Solarförderung, die zwar vorher festgelegt war, von Kritikern aber angesichts der starken Verringerung der Vergütungssätze für ein falsches Signal gehalten wird. Ein politischer Fehler der Bundesregierung?

Wir sehen die Erfolgsgeschichte der Solarenergie. Die Produktionskosten sinken. Das hat übrigens vor Jahren keiner derjenigen geglaubt, die meinten, nur Kohle- und Atomenergie könnten billig bleiben. Die Kürzung der Vergütung hätte man trotzdem vorsichtig ansetzen müssen, damit man die heimische Industrie nicht überfordert. Genau das tritt mit der 15-prozentigen Senkung ein. Damit wird die deutsche Solarproduktion geschwächt. Ich fürchte, dass viele Unternehmen wegen des Kostendrucks ihre Produktion ins Ausland verlagern oder gar in Konkurs gehen können. Das kann ich als Politiker, der gerne Arbeitsplätze erhalten und schaffen würde, nicht verantworten.

Stellt sich die deutsche Politik also dadurch selbst einen Wirtschaftsmotor ab?

Ja. Wir haben die Erneuerbare-Energien-Branche als Stabilisierung der Wirtschaft in der Finanzkrise erkannt und haben gesehen, dass in diesem Sektor Wachstum entstanden ist. Das hat keine andere Branche geschafft. Mit inzwischen 300.000 Arbeitsplätzen ist die Branche der zweitgrößte Arbeitgeber nach der Automobilwirtschaft. Diesen Bereich, der ja perspektivisch der gesamten Wirtschaft hilft, indem er sie aus der Brennstofffalle – steigende Preise von Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran – befreit, auszubremsen, ist kurzsichtig und hat nichts mit den Herausforderungen einer exportorientierten Nation zu tun.

80 Prozent unserer Windräder gehen ins Ausland, die Photovoltaik ist auf dem Sprung zu einer Exportwirtschaft. Wir überlassen diesen Kampf aber den Amerikanern und Chinesen, die mittlerweile völlig anders motiviert ihre Industrie unterstützen. Da ist die Bundesregierung weit ins Hintertreffen geraten und gibt fast kampflos die Technologieführerschaft auf.

Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen der Politik der Bundesregierung und den Verlautbarungen aus dem Bundesumweltministerium, das von einem CDU-Mann geführt wird, der den Erfolg der Erneuerbaren immer wieder herausstellt?

Herr Röttgen macht sehr schöne Wort, die von uns Grünen kaum besser gemacht werden könnten, das will ich neidlos zugestehen. Vielleicht meint er es nicht ernst, das ist die eine Erklärung. Zum Andern kann er sich vielleicht auch nicht durchsetzen, denn in der Regierung dominieren die retardierenden Elemente. Das ist ein großer Problemfall. Wir können uns das nur so erklären, dass die Interessen der konventionellen Energieversorger dort so stark Gehör finden, dass andere Argumente hintangestellt werden. Wir wissen, dass die Chefs der großen Energieversorger die Handynummer von Frau Merkel haben - die hat kein Solarwirtschafts-Chef. Daran sieht man, wie direkt der Zugang in die Entscheidungsetagen ist.

Aus den Ländern, gerade Bayern, regt sich Widerstand gegen die Kappung der Solarförderung. Wie viel Hoffnung hegen Sie, dass hier ein Gegengewicht zur Politik der Bundesregierung geschaffen werden kann?

Bayern hat in der Vergangenheit nur eine große Klappe gehabt, um zuhause den Eindruck zu erwecken, man wäre eine Stütze der Solarwirtschaft. Weil das gerade ein bayrisches Erfolgsthema ist, versucht Ministerpräsident Seehofer, einen Spagat hinzubekommen zwischen Berlin und München. Aber allmählich wird das in der bayrischen Gesellschaft immer mehr als lächerlich wahrgenommen. In Berlin verursachen die CSU-Minister und -Abgeordnete das Problem und in München will dieselbe Partei es lösen. Ich habe da wenig Hoffnungen.

Im Herbst will die Bundesregierung ihr neues Energiekonzept vorlegen. Was erhoffen Sie sich davon?

Keine neuen Erkenntnisse. Ursprünglich war gedacht, dass dieses Konzept eine Begründung für die Notwendigkeit der Laufzeitverlängerung geben soll. Ich hatte mich schon immer gefragt, wie man das begründen kann. Wie der SRU aufzeigt, ist die Laufzeitverlängerung ja die Bremse für den Ausbau der Erneuerbaren. Wenn aber jetzt, wo es im Bundesrat keine Mehrheit für Atomenergie mehr gibt, eine Debatte geführt wird, ob der Bundesrat überhaupt zustimmungspflichtig ist, und ein vorgezogenes Gesetzesvorhaben für die Laufzeitverlängerung ohne Erstellung des Energiekonzepts gemacht werden soll, merkt man, dass es eine Farce war. Es geht Union und FDP um die Interessen der Atomwirtschaft und nicht um eine sinnvolle und zukunftsorientierte Energieversorgung.

Woher beziehen Sie als überzeugter Verfechter der Erneuerbaren Ihren Strom?

Ich habe schon lange bevor ich Abgeordnetendiäten bekam und unter Rot-Grün mithelfen konnte, die ökonomischen Investitionsmöglichkeiten zu verbessern, mein Haus - Strom, Wärme und Treibstoffe - auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt. Im Stromsektor bin ich sogar Exporteur. Es ist machbar für jeden Einzelnen, sicher nicht in jeder Situation - in großen Mietshäusern etwa gestaltet sich das schwierig -, aber wer es privat das in der Hand hat, ist gut beraten sich eine Vollversorgung aus Erneuerbaren zu schaffen. Das dient nicht nur der Ökologie, sondern auch dem Geldbeutel – man muss keine Angst mehr haben vor steigenden Ölpreisen.

Quelle: ntv.de, Mit Hans-Josef Fell sprach Christian Bartlau

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