Gelungene Alternative Erste Fahrt mit dem neuen Nissan Micra - charmant und leise


Ist der neue Nissan Micra noch authentisch? Mit den Kulleraugen greifen die Japaner eine Formensprache der 2000er-Jahre auf.
(Foto: Nissan)
Mit einer charmanten Renault-5-Ableitung möchte Nissan Kleinwagen-Kunden in die Autohäuser locken. Kann das funktionieren? Uncool ist der abermals auf den Namen Micra getaufte Verwandte jedenfalls nicht. ntv.de hat ihn gefahren.
Mal ehrlich, hätten Sie gedacht, dass hinter dem Micra-Badge in Wirklichkeit ein Renault 5 steckt? Eigentlich liegen die Dinge ja anders. Nissan und Renault sind schließlich noch immer über eine Allianz verbunden, und was läge da für Nissan näher, in das Plattform-Regal des Allianzpartners zu greifen?
Nun ist es zuletzt eine Preisfrage, wie sehr man bei der Karosse differenziert. Und Nissan hat differenziert - statt markant-kantiger Scheinwerfer wie beim R5 gibt es LED-Ringe, die die Lichtspender in Kulleraugen verwandeln. Und die wiederum erinnern dann eher an den einprägsamen K12 aus den Nullerjahren. Mit Heck assoziiert man jedoch eher den neuen Lancia Ypsilon - schön, wenn von jeder Designrichtung etwas dabei ist.
Klar, das Grundlayout ist kaum Nissan - aber ist das wirklich relevant für eine Klientel mit dem schlichten Wunsch, ein möglichst praktisches Gefährt zu erwerben, das einfach seinen Job verrichtet? Und zu einem kleinen Easteregg hat sich Nissan dann auch hinreißen lassen. Statt Baguettehalter lacht die vorderen Passagiere eine aufgehende Sonne aus der Mittelkonsole heraus an. Und wer um das Auto herumgeht, entdeckt den prägnanten Nissan-Schriftzug auf dem Heckdeckel, dem Hersteller ist offenbar etwas an der Markenwahrnehmung gelegen.
Unter dem Strich ist der neue Micra eine coole Kiste, auch wenn die Japaner nicht die Heritage für sich vereinnahmen können wie die Franzosen. Aber wichtig ist die Botschaft auch und gerade für Nissan-Autohaus-Stammkunden, dass sie jetzt einen kleinen futuristisch anmutenden Stromer einsammeln können, mit dem Shopping in der City gleich doppelt so viel Spaß bereitet. Denn erstens sind die Abmessungen mit 3,97 Metern hinreichend kompakt für eine entspannte Parkplatzsuche. Und zweitens kann man eine gewisse aufkommende Fahrfreude im Micra nicht leugnen.
Durchaus dynamisch
Vor allem nicht im Falle der stärkeren Version - und der Importeur hat für erste Testfahrten ausschließlich die 150-PS-Variante mitgebracht. Den 1,5-Tonner mal eben per Fahrpedalstoß in eine sich gerade für kurze Zeit öffnende Verkehrslücke zoomen? Geht klar, denn der Bursche marschiert stramm, erreicht Landstraßentempo schon nach acht Sekunden (Höchstgeschwindigkeit 150 km/h). Außerdem läuft er selbst auf schneller gefahrenen Runden solide geradeaus, umrundet Kurven stabil. Die Verantwortlichen erwähnen in diesem Kontext gerne die Mehrlenker-Hinterachse. Insgesamt fühlt sich der Micra ausgewogen an, geizt überdies durchaus nicht mit Fahrkomfort.

Einen Zacken geräumiger könnte es innen schon zugehen. Die Architektur gefällt indes.
(Foto: Nissan)
Alles rosarot? Na ja, innen ist der Wahljapaner ohne Frage nicht der geräumigste Kandidat. So nimmt man kniewärts gelegentlich Kontakt mit der Mittelkonsole auf, und Hinterbänkler müssen ihre Beine schon ein wenig anziehen. Macht aber nichts, denn das Grinsen ist fast gesichert, wenn der Blick auf den belederten Vorsprung im Bereich der Armaturentafel fällt. Innenarchitektonisch ist dieses Plattformprodukt nämlich fein gestaltet inklusive Screen in Übergröße mit recht intuitiver Menüführung. Und wer nicht gern toucht, bekommt für das Klimaanlagenmodul immerhin ganz klassische Drucktasten.
Nissan ist dennoch daran gelegen, infrastrukturell möglichst digital unterwegs zu sein. So gibt es nicht zuletzt auch eine App, um bestimmte Fahrzeugstatus überwachen zu können, worunter auch der Batterieladestand fällt. Und das ist ein guter Stichpunkt, denn das Laden ist ja beim elektrischen Antrieb ein zentrales Thema. So zentral gar, dass davon häufig der Kauf abhängig gemacht werden dürfte.
Knapp 400 Kilometer sind drin
Vor allen kommt oft die Frage auf, wo und wie schnell man den 52-kWh-Akku wieder vollmachen kann, wenn man keinen Stromanschluss in der heimischen Garage oder auf dem Parkplatz hat. Immerhin schon mal die gute Nachricht, dass bei milden Temperaturen knapp 400 Kilometer Reichweite nicht unrealistisch sind - jedenfalls gilt das für Stadt- und Überlandfahrten. Bei schnellen Autobahnrunden schmilzt der Energievorrat gerne mal zusammen. Und dann heißt es: Pause einlegen am Schnelllader. Hier zieht der Nissan mit maximal 100 kW, und man liegt rund 30 Minuten an der Leine.
Gut zu wissen ist, dass man quasi von jedem Standort in Deutschland aus (selbst auf dem Land) von leistungsfähigen Chargern umzingelt ist. Aber gerade im privaten Bereich, wo das batterieelektrische Fahrzeug keine steuerliche Förderung erfährt, überlegen sich potenzielle Kunden sehr genau, ob sie lieber 25 bis 30 Minuten laden oder 3 Minuten tanken wollen. Insofern dürfte es eine Challenge sein, wenn man in dieser Klasse ausschließlich elektrisch unterwegs ist. Für den klassischen Antrieb verweist Nissan allerdings auf den Juke.
Ein ganz billiges Vergnügen ist der kleine Nissan Micra nicht. Unter 27.990 Euro geht nichts, und dann gibt es auch bloß 40 kWh sowie 122 PS. Immerhin sind Klimaautomatik, der große LED-Bildschirm, LED-Scheinwerfer, Parkpiepser, schlüsselloses Schließsystem, Smartphone-Integration plus Tempomat immer an Bord. Allerdings muss man bei der Basis damit rechnen, vor allem im Winter alle 300 Kilometer an die Lade zu müssen, wenn nicht sogar noch häufiger. Und das Grundmodell kann bloß mit 80 kW Strom aufnehmen. Außerdem gibt es hier keine Akku-Vorkonditionierung im Rahmen der Routenplanung. In jedem Fall an Bord sind Batterieheizung und Wärmepumpe.
Und was es in jedem Fall wiederum nicht gibt, sind die Farben, die den Renault 5 zieren. Die auffällige Kommunikationsfarbe "Authentic Blue" zeigt das eindrucksvoll und distanziert sich deutlich vom französischen Bruder. Und im Konfigurator finden sich weder Gelb noch Grün. Ob das reicht, um Kunden einzusammeln, die nicht lieber zum Original greifen, bleibt abzuwarten. Aber für sich genommen ist der Micra ohne Zweifel eine stylishe Alternative in der grauen Kleinwagen-Modelllandschaft.
Quelle: ntv.de