Praxistest

Es kann nur einen Godzilla geben Nissan GT-R - das "Boah"-Monster im Test

Ein Nissan GT-R zieht die Blicke auf sich. Und das liegt nicht nur an der unglaublichen Performance.

Ein Nissan GT-R zieht die Blicke auf sich. Und das liegt nicht nur an der unglaublichen Performance.

(Foto: Holger Preiss)

Vergessen Sie Porsche, Ferrari und Co. Interessiert doch nicht die Bohne, wenn einer dieser Boliden über die Piste fliegt. Aber wehe, Sie lassen Godzilla brüllen, da drehen sich die Köpfe, da gibt es Beifall. Und das tut gut!

Das eigenwillige Heck des Nissan GT-R hat etwas, was nur noch wenige haben: riesige Endrohre.

Das eigenwillige Heck des Nissan GT-R hat etwas, was nur noch wenige haben: riesige Endrohre.

(Foto: Holger Preiss)

Haben Sie schon mal erlebt, dass ein kleiner Junge auf Sie zukommt und fragt: "Entschuldigen Sie, darf ich Ihr Auto fotografieren?" Nein? Dann könnte das daran liegen, dass Sie noch nie mit einem Nissan GT-R unterwegs waren. Dieses Auto zieht eine Aufmerksamkeit auf sich, die ihresgleichen sucht. Vergessen Sie Porsche, Ferrari, ja sogar ein Lamborghini dürfte es schwer haben, gegen Godzilla anzufahren. Und das betrifft nicht nur die hier generierte Aufmerksamkeit, sondern auch die Performance.

Dieses Auto ist in sich eine Gewalttat. Und dabei spielt es ehrlich gesagt überhaupt nicht die Geige, ob das letzte Facelift 10 PS auf die ohnehin gigantischen 560 Pferdchen aufgesattelt hat, die durch den bulligen 3,8 Liter V6 mit Bi-Turbo nunmehr zur Verfügung gestellt werden. Bei den Daten für die Beschleunigung hält sich Nissan ohnehin bedeckt. Unter vorgehaltener Hand ist die Rede von 2,9 bis 3,2 Sekunden, bis die Marke von 100 km/h geknackt ist.

Wenn die Uhr rückwärts dreht

Das Herz des Nissan GT-R: der 3,8 Liter V6 Bi-Turbo mit 570 PS und 637 Newtonmeter maximalem Drehmoment.

Das Herz des Nissan GT-R: der 3,8 Liter V6 Bi-Turbo mit 570 PS und 637 Newtonmeter maximalem Drehmoment.

Zahlenwerte sind in diesem Fall ohnehin Schall und Rauch. Denn wenn die drei Kipptasten in der Mittelkonsole auf R, also Race gestellt sind, läuft die Uhr ohnehin rückwärts. Das Monster bäumt sich auf, brüllt aus den vier Trompeten, die auch die Mauern von Jericho zum Einsturz gebracht hätten und lässt das japanische Urzeitvieh nach vorne schießen. Zeitgleich prügelt das Sechsgangdoppelkupplungsgetriebe gleich einem Mann mit dem Vorschlaghammer die sechs Gänge durch die Gassen und auf alle vier Walzen werden bei Bedarf unglaubliche 637 Newtonmeter gepresst. Ähnlich muss es Jetpiloten ergehen, wenn sie sich in die Lüfte erheben. Und genau wie die sollte der Fahrer eines GT-R den Steuerknüppel respektive das Lenkrad fest in den Händen halten. Denn ist das Kraftpaket erst von der Leine gelassen, gibt es kein Halten mehr.

Ohne den Hauch von Anstrengung fliegt die Tachonadel an der 200 vorbei. Auch dort, wo andere Hersteller ihr Heil in der freiwilligen Selbstbeschränkung suchen, macht der GT-R keine Pause. Erst bei 315 km/h kommt die Rakete in den Gleitflug. Zugegeben - bereits weit hinter der Asphalt-Schallmauer. Wichtig ist für derartige Ausrisse, dass Nissan mit dem Facelift auch den Geradeauslauf im Vergleich mit dem Vorgänger verbessert hat. Bis 250 km/h bleibt der Übersportler absolut stabil beim Geradeauslauf, versprechen die Japaner, aber auch darüber hinaus war kein Verzug zu erkennen. Dafür sorgt auch der mächtige Heckspoiler, dem die Ingenieure dem Raubsaurier aufgesetzt haben. Der erhöht den Anpressdruck bei der Hatz nämlich spürbar.

Drehzahlmesser und Tacho sind im Nissan GT-R analog und das passt auch.

Drehzahlmesser und Tacho sind im Nissan GT-R analog und das passt auch.

Natürlich kann dieser Straßentornado mehr als geradeaus in Richtung Schallmauer fliegen. Lenkung, Fahrwerk und die mit 39 und 38 Zentimeter Durchmesser üppig bemessenen Bremsscheiben lassen Kurvenfahrten zu, die ihresgleichen suchen. Der mit Semislicks beschuhte GT-R klebte förmlich am Asphalt, reagierte absolut präzise auf jede Lenkbewegung und forderte zum beherzten Tritt auf den Pinsel am Kurvenausgang, um mit gigantischem Brüllen auf die nächste Kehre zu jagen. Das ist Sport pur, das ist Präzision und ungebremster Spaß.

Ein Maulkorb für Godzilla

Allerdings muss an dieser Stelle einschränkend angemerkt werden, dass es ziemlich gewagt ist, sich in einen Godzilla zu setzen, alle Schalter auf Race zu stellen und loszufliegen. Das dürfte sich rächen, denn der Name mit Bezug auf das Urzeitmonster kommt nicht von ungefähr. Und weil das so ist, hat Nissan für die Annäherungsphase, für den leidigen Stadtverkehr oder den Stau so etwas wie einen Maulkorb für den Raubsaurier erschaffen. Eben jene Tasten, die hier die Sporen geben, können auch das Gegenteil bewirken. Wenn zwei der Kippschalter nach unten getastet werden, bewegt sich der GT-R im Modus Save und Comfort.

Nicht besonders stylisch, aber durchaus funktional: das Cockpit des Nissan GT-R mit den drei "Zaubertasten".

Nicht besonders stylisch, aber durchaus funktional: das Cockpit des Nissan GT-R mit den drei "Zaubertasten".

Die Lenkung lässt etwa an Straffheit nach und der Tritt aufs Gaspedal wird nicht mehr zum Flug zu den Sternen. Fast sanft schiebt der V6 jetzt an und das mächtige Brüllen aus den vier Endrohren weicht einem dumpfen Grollen. Ohnehin hat Nissan bei der Orchestrierung konsequent nach außen gearbeitet und nicht wie andere Hersteller einen Pseudosound über Aktuatoren oder andere Kunstgriffe ins Auto verlegt. Was für den Kenner ohnehin kein Zeichen von Sportlichkeit ist, sondern auf Dauer nur tierisch nervt. Wenn Godzilla brüllen darf, dann brüllt auch das Publikum an der Straße: "Boah Alter, hast du das gesehen?" Nein? Na dann aber gehört!

Und noch etwas wird auffällig wenn man mit einem Nissan GT-R unterwegs ist: Die Freude der Leute, ein solches Auto in freier Wildbahn zu erleben ist ehrlich. Lassen Sie mich noch eine kleine Anekdote zum Besten geben: So ein wildes Monster muss natürlich ab und an trinken. Ja, der Verbrauch ist mit 13,8 Litern während des Testzeitraums nicht gering, aber der Spaß und folgendes Erlebnis an der Tankstelle lassen den Umstand, dass hier das teure Super Plus durch die Endrohre gejubelt wird, schnell vergessen. Beim Bezahlen am Schalter steht nämlich ein Tankwart mit großen Augen da und fragt: "Ist das dort ein Nissan GT-R? Ich habe noch nie einen live gesehen. Ich kenne den nur aus Rennspielen. Der fährt doch 350, oder?" Dass er nicht ganz so schnell ist, hatten wir ja schon geklärt. Aber was soll's, nach dieser Begegnung steigt man erneut mit dem breitesten Grinsen der Welt in seinen GT-R.

Etwas Luxus und wenig Platz

Tief wie der Marianengraben ist der Kofferraum des Nissan GT-R für den, der ihn be- und entladen muss.

Tief wie der Marianengraben ist der Kofferraum des Nissan GT-R für den, der ihn be- und entladen muss.

Und das muss einem auch während der schon erwähnten lästigen Stadtfahrten nicht vergehen, denn obgleich der sportliche Japaner einer der archaischsten Renner ist, hat man es nicht versäumt, ihm einige moderne und luxuriöse Feature zu geben. Da wären zum einen die fantastischen Sportsitze, die den Piloten nicht nur bei der Kurvenhatz in Position halten, sondern auch böse Querfugen deutlich puffern und lange Strecken nicht zur Strapaze werden lassen. Zudem hat Nissan die Armaturen beledert und einen 8 Zoll großen Touchscreen als Multimediaeinheit verbaut, die auch über ein Steuerrad über dem Mitteltunnel bedient werden kann. Darin enthalten: Navi, DAB-Radio, Bluetooth für Telefon und den eigenen Sound. Apropos, beschallt wird der Innenraum von einer wuchtigen Bose-Anlage. Nur für den Fall, dass Sie dem Grummeln, Gurgeln, Husten und heiseren Brüllen des Godzilla nicht mehr lauschen wollen.

Gehen wir noch mal kurz auf die Reise- und Familientauglichkeit ein: Der Umstand, dass der GT-R ein 2+2-Sitzer ist, sollte nicht dazu verführen, zu glauben, man könne ihn getrost mit vier Leuten besetzen. Erwachsene passen, egal wie groß, dünn oder dick sie sind, nicht in die zweite Reihe. Selbst für Kinder wird es unangenehm. Die sind so tief in die schön ausgeformten Polster versunken, dass sie über die hohe Schulterlinie kaum noch etwas von der Außenwelt mitbekommen. Und im Kindersitz? Wissen sie einfach nicht, wohin mit den Füßen. Zudem könnte, wie dem Schreiber geschehen, nach einer etwa halbstündigen Fahrt aus dem Fond die Ansage kommen: "Mir ist schlecht!" Ein ernst zu nehmender Ausruf im Übrigen.

Auch für den erwachsenen Vordermann wird es beim Besetzen der zweiten Reihe eng, denn sein Polster muss weit nach vorne geschoben werden. Das erfolgt natürlich elektrisch. Dafür ist der Kofferraum des GT-R mit 315 Litern für einen Sportwagen geradezu riesig. Zwar verschwindet das Staugut scheinbar in den Tiefen des Marianengrabens und muss ähnlich umständlich wieder rausgeangelt werden, aber für einen Urlaub zu zweit ist das Gepäckabteil absolut ausreichend. Aber denken Sie daran, jemanden an Ihre Seite zu setzen, der mit dem Wesen eines Godzillas auch umgehen kann.

Der Nissan ist für sein Wesen als Supersportwagen mit knapp 100.000 Euro ein echtes Schnäppchen, das Fahrfreude pur und ungeteilte Aufmerksamkeit verspricht. Zudem hat der GT-R in allen Bereichen an Qualität gewonnen. Einzig als Kritikpunkt ist die sehr dünne Blechhaut geblieben, was vor allem beim Schließen der Türen und beim Zurückschnappen der in das Blech eingelassenen Türgriffe zu hören ist.

Fazit: Wer einen Supersportwagen sucht, der eher Begeisterung als Neid bei den Umstehenden auslöst, hat mit dem Nissan GT-R die Trumpfkarte gezogen. Wer zudem die Bandbreite von bissig verhalten bis ekstatisch ungezähmt sucht, kann mit einem Godzilla auch nichts verkehrt machen. Einzig die Familienkarte kann er nicht spielen. Für bequeme und vor allem schnelle Reisen zu zweit ist er hingegen bestens geeignet.

DATENBLATTNissan GT-R
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe)4,71 / 1,90 / 1,37 m
Radstand2,78 m
Leergewicht (DIN)1745 - 1752 kg
Sitzplätze2+2
Ladevolumen315 Liter
MotorV6 Bi-Turbo mit 3799 ccm Hubraum
Getriebe6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe
Systemleistung419 kW / 570 PS
KraftstoffartSuper plus
AntriebAllradantrieb mit variabler Kraftverteilung
Höchstgeschwindigkeit315 km/h
Tankvolumen74 Liter
max. Drehmoment637 Nm / zwischen 3300 - 5800 U/min
Beschleunigung 0-100 km/hk.A.
Normverbrauch (außerorts/innerorts/kombiniert)8,8 / 17,0 / 11,8 l
Testverbrauch13,8 l
EffizienzklasseG / EU6
Grundpreis  99.900 Euro
Preis des Testwagens101.900 Euro

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen