Hoher Absatz teuer erkauft Blase am US-Automarkt platzt
20.05.2008, 16:57 UhrIn den vergangenen zehn Jahren sind bereits einige Blasen geplatzt: eine für Technologieaktien, eine weitere am Immobilienmarkt und schließlich jüngst jene am Markt für Kreditprodukte. Nun scheint ein weiterer Sektor der irrationalen Überschwänglichkeit zum Opfer zu fallen: der US-Automobilmarkt. Ähnlich wie die Investoren die Kurse der so genannten Dot-Com-Aktien sowie die Hauspreise in unhaltbare Höhen getrieben haben, so haben die US-Automobilhersteller ihren Absatz in der vergangenen Dekade auf Höchstwerte gesteigert, schreibt das "Wall Street Journal".
Kunden wurden die Fahrzeuge mit hohem Rabatt zum gleichen Preis angeboten wie den Beschäftigten, oder es wurden ihnen bis zu sechs Jahre lang zinsfreie Darlehen gewährt. Zudem wurde eine noch nie dagewesene Anzahl von Fahrzeugen an Mietwagenfirmen abgesetzt. Alle diese Strategien ließen die Verkäufe nach Meinung einiger Analysten in künstliche Höhen steigen.
In nahezu allen Jahren von 1990 bis 2000 setzten die Fahrzeugbauer in den USA jährlich gut 15 Mio. Pkw und leichte Nutzfahrzeuge ab. Ende der neunziger Jahre gab es dann einen Schub. Günstige Treibstoffpreise und Barmittel dank des Booms bei Technologieaktien ließen den Absatz in die Höhe schnellen. Im Jahr 2000 erreichte der Absatz mit 17,4 Mio. Einheiten einen Spitzenwert, weitere fünf Jahre pendelte er um die Marke von rund 17 Mio. Stück. Bei General Motors und Toyota war man überzeugt, dies sei der Beginn des "goldenen Zeitalters" am US-Automobilmarkt. 2003 sagte der Toyota-Leiter für die Region Nordamerika einen Absatz von 20 Mio. Fahrzeugen pro Jahr in naher Zukunft voraus.
Doch es kam anders. Im Jahr 2006 gingen die Verkäufe zurück. Und in diesem Jahr dürfte das Niveau der 90er Jahre erreicht werden, gut 15 Mio. Einheiten. Erst in der vergangenen Woche hat das Marktforschungsunternehmen Global Insight seine Vorhersage für den US-Absatz 2008 auf weniger als 15 Mio. Stück gesenkt. Global Insight geht inzwischen davon aus, dass einstige Höhen erst wieder 2012 und nicht wie bisher prognostiziert 2011 erreicht werden könnten. Und dabei wäre ein Jahr mit Verkäufen von 16 Mio. Fahrzeugen ein gutes Jahr, sagte Ron Harbour von Harbour Consulting, einer Firma, die die Fahrzeugproduktion in den USA verfolgt.
Falsche Prognosen schlagen durch
Fehleinschätzungen der US-Automobilbranche wirken sich nun auf die gesamte US-Wirtschaft aus. Denn die Branche ist der größte Fertigungssektor des Landes und trägt nahezu 4 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Direkt und indirekt beschäftigt die Branche rund 2,5 Millionen Menschen. Zudem investieren die Automobilbauer jährlich zweistellige Milliardenbeträge in Forschung und Entwicklung. Fehlkalkulationen schlagen sich auch in den Ergebnissen nieder. Der Absatzrückgang erschwert den Big Three - GM, Ford Motor und Chrysler - die geplante Sanierung. Und auch die Gewinne ausländischer Hersteller wie Toyota und Nissan geraten unter Druck.
GM-Sprecher Tony Cervone hält dem entgegen. Ihm zufolge hat das Unternehmen die Absatzchancen nicht überschätzt. Er macht laut "Wall Street Journal" vielmehr die Schwäche der US-Wirtschaft für die jüngste Entwicklung verantwortlich. Zu Beginn der Dekade hätten Trends bei den Haushaltseinkommen und der Kaufkraft auf stetiges Absatzwachstum schließen lassen. Auch die einstige Daimler-Tochter Chrysler sieht dank steigender Bevölkerungszahlen und Einkommen langfristig Wachstumschancen in den USA.
Ausgelöst worden war der Boom am US-Automobilmarkt 1999. Am Aktienmarkt ging es in die Höhe, und die Kunden wollten neue Fahrzeuge, oftmals Trucks, fahren. Seinerzeit war zudem Sprit billig. Die Gallone kostete gerade einmal rund 1,15 US-Dollar. Ein Jahr später platzte die Blase am Markt für Technologieaktien und die Konjunktur kühlte sich ab. Schließlich versetzten die Terroranschläge am 11. September 2001 den US-Bürgern einen Schock und ließen sie beim Konsum innehalten.
Seinerzeit wollte GM der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen und startete die Kampagne "Keep America Rolling" - Verbrauchern wurde beim Automobilkauf für eine Zeit von 60 Monaten ein zinsloses Darlehen gewährt. Der Absatz gewann wieder an Fahrt. Ford, Chrysler und andere Hersteller zogen mit eigenen Rabattprogrammen nach. Ende 2002 kritisierten die meisten GM-Wettbewerber, dass die Rabatte zu Einschnitten bei den Gewinnen aller Hersteller führten.
Zum hohen Absatz trugen zudem umfangreiche Verkäufe an Autoverleiher bei. Die Big Three waren jeweils an Verleihfirmen beteiligt und brachten Pkw, die sie anderweitig nicht loswurden, zu günstigen Preisen bei diesen Gesellschaften unter. 2005 zum Beispiel entfiel ein Viertel der Verkäufe von GM und Ford in den USA laut der Zeitung auf den Absatz an Flottenbetreiber.
Die Rabattschlacht ging unterdessen weiter. 2005 boten die Big Three für einige Nutzfahrzeuge Rabatte von bis zu je 8.000 US-Dollar. Zudem konnten Endverbraucher im Sommer 2005 Fahrzeuge zum gleichen Preis erwerben wie die Beschäftigten von Ford, GM und Chrysler. Dies fachte den Absatz für einige Monate weiter an. Die Nachfrage nach Fahrzeugen war dann zunächst weitgehend gesättigt. Die großen Hersteller kämpfen inzwischen mit hohen Verlusten und haben in den vergangenen drei Jahren bereits umfangreiche Entlassungen vorgenommen.
Die Branche wird auch in Zukunft mit Überkapazitäten zu kämpfen haben, so das "Wall Street Journal". Aktuell liege die Kapazität bei rund 18,7 Mio. Stück, hergestellt würden wahrscheinlich nur etwa 14,1 Mio. Einheiten, erwartet J.D. Power & Associates. Zwar hätten General Motors, Ford und Chrysler schon Werke geschlossen. Da aber gleichzeitig ausländische Hersteller Werke in den USA errichteten seien die Kapazitäten insgesamt nicht gesunken. Darüber hinaus werden in den kommenden ein bis zwei Jahren mindestens drei weitere Anlagen in den USA eröffnet: Toyota, Honda und Kia hatten zur Zeit des boomenden Absatzes die Expansion in den USA in Angriff genommen. Zudem will Volkswagen im Sommer den Standort für ein Werk in den USA festlegen.
Die neuen Werke - in vier Anlagen können jährlich knapp 1 Mio. Einheiten montiert werden - werden den Druck auf die Big Three verstärken, ihre Kapazitäten noch weiter zu verringern. Am stärksten betroffen dürften dabei Werke zur Herstellung von Trucks sein, da sich die Verbraucher mit Blick auf die hohen Treibstoffpreise inzwischen von den Spritfressern verabschieden. In diesem Jahr werden wahrscheinlich rund 500.000 normale (full-size) SUVs verkauft werden, zu deren Produktion benötigt man gerade einmal zwei Werke. Zudem wäre es gerade einmal die Hälfte des Absatzes von 2003.
Quelle: ntv.de