Vom Platzen von Blasen Wie es zur Krise kam
30.10.2008, 15:35 UhrUm die Wirtschaft stand es auch schon einmal besser. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht, der Blick in die aktuellen Quartalsberichte treibt Börsianern Schweißperlen auf die Stirn. In der Vergangenheit wurden gewaltige Fehler gemacht und gigantische Risiken eingegangen. Wie kam es dazu?
Die US-amerikanische Wirtschaft befand sich 2001 in einer Rezession. Deshalb senkte die Notenbank Fed die Zinsen nach Kräften, um die Konjunktur anzukurbeln, der Leitzins fiel auf ein Rekordtief von einem Prozent. Damit waren Kredite günstig zu haben. Das machte unter anderem die Finanzierung von Immobilien billiger. Dazu kommt, dass kurz zuvor an den Börsen die Technologieblase geplatzt war. Viele Investoren hatten nun von Aktien die Nase gestrichen voll, suchten nach anderen Anlagemöglichkeiten, entdeckten den Immobilienmarkt und lösten einen regelrechten Immobilienboom aus.
Eine Blase entsteht
Die Preise stiegen und stiegen, ein Ende war nicht abzusehen. Banken gingen dazu über, auch weniger solventen Kunden das nötige Geld für einen Immobilienkauf zu leihen. Die Kalkulation war einfach: Die Banken liehen sich das Geld bei der Fed und gewährten Häuslebauern einen Kredit, selbstverständlich zu einem etwas höheren Zins. Der lag allerdings auf einem niedrigen Niveau. Der Haken war allerdings, dass die Zinsen variabel waren. Das heißt, dass sich die Raten an dem jeweiligen Leitzins der Notenbank orientierten. Das wurde später zu einem Problem für zahlreiche Schuldner, als ein stetig wachsender Leitzins dazu führte, dass sie die monatlichen Raten nicht mehr bezahlen konnten. Den Banken war dieses Risiko natürlich klar, als sie die Kredite selbst an Arbeitslose vergaben. Ihre Spekulation: Kann der Kredit nicht mehr getilgt werden, wird das Haus, das als Sicherheit dient, verkauft - und der Wert der Immobilie kannte ja nur die Richtung nach oben. Auch der Kreditnehmer ließ sich von dieser Annahme beruhigen, könnte er doch im schlimmsten Fall das Haus mit einem satten Gewinn verkaufen und so seine Bankschulden tilgen.
Das ging gut, so lange die Zinsen niedrig waren. Denn niedrige Zinsen führten zu größerer Nachfrage nach Immobilienkrediten, eine steigende Nachfrage nach Immobilien führte zu höheren Preisen und so fort.
Doch dann zog die Fed die Bremse. Um die Inflation zu bekämpfen, wurde der Leitzins Schritt für Schritt auf 5,25 Prozent erhöht. Banken passten ihre Kredite an. Viele Amerikaner konnten nun die Raten nicht mehr bezahlen und mussten ihr Haus der Bank überlassen, die Immobilie wurde verkauft. Diese Zwangsverkäufe führten dazu, dass die Immobilienblase platzte. Das war schon schlimm genug, verloren doch viele Menschen ihr Zuhause. Allerdings hatte das Platzen der Blase auch fürchterliche Folgen für die Bankenbranche.
Gefährliche Kreditbündel
Über eine lange Zeit verdienten Banken mit Hypothekenkrediten viel Geld - selbst mit denen, die an Schuldner mit geringer Bonität vergeben worden waren. Findige Banker schnürten die Forderungen zu Paketen und begannen damit, sie wie Wertpapiere zu handeln. In diesen Kreditbündeln (Derivaten) fanden sich vorzugsweise schlecht besicherte Forderungen. Der Wert eines Derivats hängt davon ab, wie stark der Vermögenswert ist, der dem Derivat zugrunde liegt. Die Bewertung dieser Bündel ist kompliziert, denn der Vermögenswert setzt sich aus einer Vielzahl von Hypotheken zusammen. Die Finanzprodukte waren bei Finanzinstituten dennoch sehr beliebt, versprachen sie doch kräftige Gewinne. Außerdem hatten die Ratingagenturen die entsprechenden Derivate meist mit den höchsten Ratings bewertet, also nur ein geringes Ausfallrisiko angenommen.
Das war ein Fehler, wie sich später zeigen sollte. Die Ratingagenturen sahen ein geringes Ausfallrisiko, weil sie annahmen, dass schwerlich der gesamte amerikanische Immobilienmarkt plötzlich in die Knie gehen werde. Das stimmte zwar, allerdings übersahen die Agenturen, dass der Immobilienmarkt extrem abhängig vom Leitzins war.
Als immer mehr Kredite ausfielen, bekamen die Banken ein Problem. Die Derivate verloren massiv an Wert und ließen sich angesichts der ihnen innewohnenden Risiken immer schwieriger verkaufen. Die Ratinagenturen stuften die Bewertung radikal herab. Daraufhin mussten die Banken massive Wertberichtigungen und Abschreibungen vornehmen. Dabei zeigte sich, dass die Bilanzierungsvorschriften zu heftigen Korrekturen zwangen. Denn die Banken mussten nach dem Marktwert bilanzieren. Das führte dazu, dass unverkäufliche Ramschkredite als wertlos in der Bilanz auftauchten. Das galt allerdings auch für solide Vermögenswerte, die lediglich wegen der großen Unsicherheit an den Märkten drastisch an Wert verloren hatten. Selbst wenn Banken diese Papiere in nächster Zeit gar nicht verkaufen wollten, mussten Abschreibungen vorgenommen werden.
Diese Wertberichtigungen gingen in die Milliarden. Bank-Aktien und Unternehmensanleihen brachen ein. Verheerend wirkte sich aus, dass es völlig unklar war, wie es um die einzelnen Banken stand. Während einige Häuser so auf die Hypothekenpapiere gesetzt hatten, dass nun ihre Existenz gefährdet war, hatten andere Institute die Finger von diesen Produkten gelassen und waren im Grunde kerngesund. Allerdings war an den Märkten völlig unklar, wie es um die einzelnen Häuser wirklich bestellt war. Als die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, erschütterte das die gesamte Branche. Vorher hatte die amerikanische Regierung noch taumelnden Instituten unter die Arme gegriffen und beispielsweise Bear Stearns gerettet. Es grassierte die Angst, andere Banken könnten Lehman folgen.
Kein Vertrauen
Nun wurde es wirklich gefährlich. Denn Banken sind darauf angewiesen, sich immer wieder Geld zu leihen. Ein Weg ist dabei, sich das Geld von anderen Finanzinstituten zu borgen. Am Interbanken- oder Geldmarkt versorgen sich Institute gegenseitig mit kurzfristigen Krediten für ihr tägliches Geschäft. Die Zinssätze liegen normalerweise in der Nähe der Leitzinsen der Zentralbanken. Durch die Finanzkrise stiegen sie aber massiv an. Der Kollaps von Lehman führte dazu, dass sich Banken untereinander nur wenig trauten. Also wurde zunehmend Geld bei den Notenbanken geparkt, dort gab es zwar weniger Zinsen, dafür war das Risiko gleich null. Diese Haltung hat massive Konsequenzen für die Realwirtschaft: Haben Banken weniger Geld zur Verfügung, vergeben sie auch weniger Kredite. Weniger Kredite bedeuten weniger Investitionen, das Wachstum geht damit zurück.
Deshalb pumpen die Notenbanken täglich frische Liquidität in Milliardenhöhe in den Geldmarkt. Außerdem haben sie die Leitzinsen gesenkt. Damit erleichtern sie den Banken die Refinanzierung und beruhigen damit die Lage am Geldmarkt. Außerdem hat die EU-Kommission die Bilanzierungsregeln für Banken in Europa gelockert und sich an den amerikanischen Vorschriften orientiert. Damit sollen neue Abschreibungen in Milliardenhöhe vermieden werden. Europäische Banken dürfen demnach bestimmte Wertpapiere und Kredite, für die es in der aktuellen Krise keinen Markt gibt, vom Handelsbuch in ihre Anlagebestände umbuchen. Voraussetzung ist, dass diese in absehbarer Zeit nicht mehr verkauft werden sollen. Damit müssen die Papiere nicht mehr nach aktuellen Marktpreisen bewertet werden und nur dann wertberichtigt werden, wenn sich ein dauerhafter Ausfall abzeichnet. Im Anlagebestand können die Banken die Papiere nach Ausfallrisiko und nicht nach aktuellem Marktpreis bewerten.
Wie es weitergehen wird, ist nicht vorherzusagen. Viel zu viele Faktoren sind viel zu unsicher. Eines allerdings steht fest: Erst wenn die Banken sich untereinander wieder vertrauen, wird eine der Hauptursachen für die Krise ein Ende finden.
Quelle: ntv.de