Die Busch-Trommel Kalinichta Deutschland!
14.06.2011, 12:49 UhrDas Niveau, mit dem über die Griechenland-Hilfen diskutiert wird, könnte für den Geschmack von Börsen-Kommentator Friedhelm Busch deutlich mehr Höhe vertragen. Denn was Deutsche von Griechen unterscheide, sei keine bessere Arbeitsmoral, sondern schlicht die Kraft des Exports.
Die Aufregung hierzulande über die uferlosen Finanzhilfen für Griechenland füllt die Schlagzeilen der Massenmedien. Erst recht, wenn immer wieder Hinweise auftauchen über einen unfassbaren Schlendrian griechischer Bürokraten im Umgang mit öffentlichen Geldern, wie jetzt im Zusammenhang mit andauernden Sozialleistungen für längst schon gestorbene Rentner. Doch diese Meldungen als Beweis zu nehmen, für die Sinnlosigkeit weiterer Unterstützungen, ist gerade aus deutscher Sicht reichlich arrogant.
Erinnert sei nur an die stetig wachsende Zahl der Straf- und Bußgeldverfahren gegen Hartz-IV-Empfänger. Im letzten Jahr ermittelte die Bundesagentur für Arbeit in mehr als 226 000 Fällen wegen Leistungsmissbrauchs. So ist es halt im menschlichen Leben: Wo der Sozialstaat sein Leistungsangebot immer weiter ausdehnt, nicht nur zu Gunsten der wirklich oder scheinbar Bedürftigen, sondern in der Konsequenz auch zu Lasten der Bürger, die mit ihrem Einkommen diese Sozialleistungen erst ermöglichen, dort wächst die Betrugsgefahr bei der Inanspruchnahme dieser Staatshilfen, wächst die Versuchung, auf illegalen Schleichpfaden aus der Steuerpflicht zu fliehen. Das gilt für Griechenland wie für Deutschland.
Nur der Export macht den Unterschied
Natürlich muss man über den Sinn, d.h. über die erwiesene Sinnlosigkeit bisheriger Hilfen für Griechenland diskutieren und über die Unverfrorenheit, mit der die Politik hier – auch in Berlin – europäisches Recht bricht. Aber doch nicht auf diesem platten Niveau! Das gilt ebenso für die peinliche Empfehlung der Bundeskanzlerin an die Adresse der griechischen Arbeitnehmer und Rentner, sie möchten sich doch am Fleiß der Deutschen ein Beispiel nehmen. Dabei machen wir kaum weniger Urlaub als die gescholtenen Südländer und der tatsächliche Rentenbeginn in Deutschland unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Griechen.
Was uns dagegen heute von den Griechen im Wesentlichen unterscheidet, ist weder die bessere Moral, noch die größere Leistungs- und Opferbereitschaft der Bevölkerung, es ist die Kraft unserer Exportwirtschaft, die überwiegend von den Aufträgen unserer europäischen Nachbarn lebt.
Noch ist die deutsche Politik in der Lage, die Lasten des eigenen Sozialstaates zu schultern und gleichzeitig ihren weltweiten Verpflichtungen nachzukommen, ohne das Vertrauen der internationalen Finanzinvestoren aufs Spiel zu setzen. Noch profitieren wir über niedrige Zinsen auf deutsche Staatsanleihen von den Schwächen anderer Schuldnerländer, sind also letztlich Gewinner der Krise, die wir so trefflich selber schüren.
Doch das könnte sich bald ändern, denn wir sägen mit Fleiß an dem Ast, auf dem wir recht komfortabel sitzen und aus hoher Warte selbstgerecht schlechte Noten und Ratschläge an andere verteilen.
Träume von der grünen Republik
Selbstverständlich können wir auf unseren Marktplätzen, in den Straßen oder auch auf Kirchentagen für eine heile, saubere Welt demonstrieren, für eine kuschelige Milieu-Insel, mitten in Europa. Ohne stinkende Industrie, ohne lärmende Autos, ohne staubige Großbaustellen vor der eigenen Haustür, ohne vergiftete Nahrung. Wer sehnt sich nicht danach? Wir können auch der Atomenergie schon im Diesseits – zwar wenig christlich - die irdische Pest an den Hals wünschen. Und jedem, der völlig uneinsichtig an den bisherigen wirtschaftlichen Nutzen und den hohen Sicherheitsstandard der deutschen Kernkraftwerke erinnert.
Spätestens an dieser Stelle möchte auch ich in das aktuelle Mantra der veröffentlichten Meinungsmehrheit einstimmen: Ja, ich bin für die erneuerbare Energie! Nein, ich bin nicht für eine unbegrenzte Nutzung der Kernenergie!
Aber ich bin auch nicht für eine Ökodiktatur, die aus ganz Deutschland, wenn nicht gar aus ganz Europa, über Nacht einen Abenteuerspielplatz machen möchte, wo jeder seiner eigenen Fahne hinterher läuft, wo heute noch keiner weiß, wie dieser deutsche Alleingang zur Rettung der Welt enden wird.
Wir sollten beim hymnischen Aufbruch in eine schöne neue Welt nicht vergessen, wem wir auf dieser Wanderung Reisegeld und Proviant verdanken: Wir können uns das alles nur dank der weltweiten Erfolge unserer Industrie leisten.
Doch Teile der deutschen Bevölkerung träumen sich offenbar in eine andere, eine grüne Republik, in der am Ende genau diese Industrie auf der Strecke bleiben könnte, weil sie durch steigende Stromkosten ihre internationale Konkurrenzfähigkeit einbüßt. Die Bundesregierung zeigt sich unbesorgt. Sollten durch den deutschen Alleingang die Strompreise zu stark steigen, werde man eben, wie auch in der Vergangenheit schon, deutsche Industriebereiche mit einem besonders hohen Stromkostenanteil entsprechend unterstützen. Und all die ausländischen Unternehmen, die über den europäischen Energieverbund auch vom deutschen Atomstrom abhängig sind?
Wo bleibt die Solidarität?
Solidarität mit Europa sieht anders aus! Dass Brüssel aus Wettbewerbsgründen dagegen protestieren könnte, beschäftigt Berlin nicht. Auch nicht die für die Industrie existenzielle Frage, wie verlässlich der Strom aus erneuerbarer Energie sein wird. Die deutschen Aluminium-Hersteller beispielsweise, deren Stromkosten immerhin 40 Prozent ihrer Produktionskosten ausmachen, müssten bei einem nur vierstündigen Stromausfall einen Totalschaden melden. Es ist daher durchaus vorstellbar, dass sie sich, wie andere Industriezweige auch, von diesem Abenteuerspielplatz Bundesrepublik ins benachbarte Ausland absetzen. Mit ihrer Produktion und mit ihren Arbeitsplätzen.
Zumindest die SPD hat die Sprengkraft erkannt, die in dem plötzlichen deutschen Atomausstieg steckt. Bemerkenswert, dass sich jetzt die SPD, statt wie bisher die Unionsparteien, für die Interessen der Industrie besonders stark macht. Aber taktisch nicht dumm, denn schließlich erhofft sich die SPD gerade aus diesem Bereich die Stimmen, auf die sie für ihre Wiederbelebung angewiesen ist.
Worauf Frau Merkel hofft, ist noch offen. Vielleicht auf ihren persönlichen Machterhalt, wohl kaum aber auf den Beifall der deutschen Wirtschaft. Wenn aber weite Teile der deutschen Industrie am Standort Deutschland das Licht löschen, dann könnte es bald sehr dunkel werden für uns Bundesbürger. Für Atomgegner wie für Befürworter. Für junge Menschen, die noch eine Berufskarriere vor sich haben, weniger für Rentner, die brauchen in der Regel keinen Arbeitsplatz mehr. Doch leider auch für diejenigen, die auf einen tätigen Sozialstaat tatsächlich angewiesen sind. Wo das enden kann, ist schon heute auf den Straßen Athens zu beobachten. Gut möglich, dass es in nicht zu ferner Zukunft heißen wird: Kalinichta Deutschland.
Quelle: ntv.de