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Stefan Riße Starks Rücktritt ist Fahnenflucht

Chefvolkswirt Jürgen Stark wirft wegen offensichtlicher Zerwürfnisse im Rat der Europäischen Zentralbank das Handtuch. Doch dieser symbolische Akt ist kontraproduktiv. Für eine Stabilitätspolitik à la Bundesbank ist es längst zu spät. Nur mehr Inflation kann den Euro noch retten.

Stefan Riße

Stefan Riße

Politiker, die zu ihren Positionen stehen, auch wenn dies bei Wählern unpopulär ist, oder sie es ihr Amt kosten kann, sind selten geworden. Die meisten drehen ihr Fähnlein der eigenen Karriere willen lieber in den Wind und tragen ihren Teil zum Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Institutionen bei.

Eines ist sicher, diesen Vorwurf kann man Jürgen Stark nicht machen. Am vergangenen Freitag gab der Chefvolkswirt der EZB seinen Rücktritt bekannt. Offiziell hieß es "aus persönlichen Gründen" tatsächlich sollen es große Zerwürfnisse im EZB-Rat über den Ankauf von Staatsanleihen der Peripherie-Länder und die Ausrichtung der weiteren Geldpolitik insgesamt gewesen sein. Stark geht insofern offenbar aus den gleichen Motiven, die bereits Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber dazu bewegten, sein Amt niederzulegen und sich nicht mehr um den Posten des nächsten EZB-Präsidenten zu bewerben.

Zugegeben, auf den ersten Blick ringt der Schritt Starks und Webers einem Respekt ab, näher beleuchtet sind sie jedoch Fahnenflüchtige, die mitgemacht haben, solange die Fehler der von ihnen mitgetragenen Politik nicht auffielen, und die nun, wo diese offensichtlich werden, vor den Folgen davon laufen. Denn nichts anderes sind die Staatsanleihekäufe durch die EZB. Sie sind die Konsequenz einer über Jahre viel zu stark wachsenden Verschuldung in der Eurozone und einer grundsätzlichen Fehlkonstruktion des Euros an sich. Dies war Axel Weber und auch Jürgen Stark von Beginn an bewusst, wie aus Interviews mit beiden zumindest zwischen den Zeilen immer wieder erkennbar wurde.

Alte Bundesbank ist passé

Für die von ihnen offenbar noch immer geforderten Stabilitätspolitik à la Deutsche Bundesbank ist es jetzt viel zu spät. Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Nützlich wäre es gewesen, wenn beide und auch Starks Amtsvorgänger Ottmar Issing, der immer die gleiche Linie vertrat, ihre gewichtigen Stimmen viel früher erhoben oder durch Rücktritte auf die zu erwartenden Folgen dieser falschen Politik hingewiesen hätten. Das einzige, was Jürgen Stark mit seiner Ankündigung nun bewirkt hat, war eine weitere Schwächung des bereits angeschlagenen Euros.

Ob die Gemeinschaftswährung in der heutigen Form überleben wird, ist ohnehin fraglich. Die Währungsunion vor der politischen Union zu installieren, war ein großer Fehler. Alle Verträge und Absprachen beginnend beim Maastricht-Vertrag und allem, was zusätzlich in den vergangenen zwei Jahren seit Ausbruch der Euro-Krise an Maßnahmen und Sanktionen zur stärkeren Etatdisziplinierung beschlossen wurden und womöglich noch beschlossen werden, sind im Grunde wertlos.

Die Teilnehmerstaaten sind souveräne Demokratien, das darf nicht vergessen werden. Im besten Fall werden die gerade im Amt befindliche Regierungen der einzelnen Länder noch bereit sein, sich an die Verträge und Absprachen zu halten, die sie selbst eingegangenen sind. Spätestens wenn diese jedoch abgewählt werden, und eine Partei in die Regierungsverantwortung gewählt wird, die einen völlig anderen Kurs in der Europapolitik fordert, sind alle Verträge Makulatur. Denn mögen diese auch noch strenge Sanktionen für Schuldensünder vorsehen, Brüssel fehlt die militärische Macht, sie durchzusetzen. Es mag hart klingen, aber wenn diese Ultima Ratio als Druckmittel am Ende fehlt, wird letztendlich kein Land davon abzuhalten sein, die Verträge zu brechen, wenn dies Volkes Wille ist.

Dass dieser schon heute nicht überall mit den deutschen Sparvorstellungen übereinstimmt, kann seit Ausbruch der Eurokrise auf den Straßen Athens, Roms und Madrids eindrucksvoll beobachtet werden. Und die Proteste dürften an Schärfe noch zunehmen, denn die Sparauflagen werden den betroffenen Ländern über Jahre hinweg schwächeres Wachstum, höhere Arbeitslosenzahlen und geringere Sozialleistungen bescheren.

Viel steht auf dem Spiel

Natürlich kann man ein Land, das sich nicht an die Sparauflagen hält, in die Pleite rutschen lassen, so wie es offiziell auch vorgesehen ist. Inoffiziell aber wird dies allenfalls noch für ein kleines Land wie Griechenland als Option gesehen, im Falle von Spanien oder Italien wird jedoch ein Bankenkollaps befürchtet, der die Lehman-Krise noch weit überbieten würde.

Ein Auseinanderbrechen des Euros wäre wohl die zwangsläufige Folge und damit wohl auch das Ende der vor mehr als 50 Jahren begonnen europäischen Integration. Vor dem Hintergrund, dass sie die Folge von zwei verheerenden Kriegen in Europa war und die 400-jährige Erbfeindschaft mit Frankreich beendete, wird deutlich, dass es sich lohnt, für den Erhalt des Euros zu kämpfen.

Die Initiative Frankreichs und Deutschlands, eine europäische Wirtschaftsregierung ins Leben zu rufen, ist der richtige Weg, weil er hin zu einer politischen Union führt, die eigentlich vor der gemeinsamen Währung hätte geschaffen werden müssen. Der Prozess benötigt jedoch Zeit und die nationalen Regierungen werden nur bereit sein, Souveränität nach Brüssel zu verlagern, wenn die Eurozone in der Zwischenzeit wieder stabilisiert werden kann. Reine Spar- und Stabilitätspolitik, wie die geldpolitischen Falken Axel Weber und Jürgen Stark fordern, führt dabei jedoch in die Sackgasse. Die von ihnen befürchtete höhere Inflation, ist nämlich der einzige Weg, den Euro noch zu retten.

Fataler Boom

Hauptursache für die Probleme der Peripherieländer ist deren mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, bewirkt durch die tiefen Zinsen, die diese Länder mit der Einführung des Euros quasi aus Deutschland importiert bekamen und bis dahin nicht kannten. Entsprechend freudig wurden diese von den Spaniern, Portugiesen, Griechen und Iren aufgenommen und auf Kredit gekauft, was das Zeug hielt - vor allem Immobilien. Der hierdurch entfachte Bauboom kreierte ein Wirtschaftswachstum, das uns Deutsche jahrelang neidisch nach Spanien und Irland blicken ließ. Es sorgte in den boomenden Ländern für einen wachsenden Lebensstandard und steigende Löhne und damit aber eben auch zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Kernländern Europas.

Da eine Abwertung der eigenen Währung zum Ausgleich dieser Wettbewerbsunterschiede nun nicht mehr möglich ist, bleibt nur eine Umkehr dieses Prozesses. Und das bedeutet nichts anderes, als das die Löhne in Deutschland und den anderen Kernländer Europas rauf müssen, um die Lohnkosten in der angeschlagenen Peripherie wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Natürlich wäre es theoretisch auch möglich, die Löhne in Spanien, Portugal, Griechenland und Italien zu senken, praktisch wird eine solche Politik diese Länder immer tiefer in die Wirtschaftskrise führen, wie sich am Beispiel Griechenlands mit den aktuellen Wachstumszahlen zeigt. Deflation wäre die Folge und damit ein weiterer Anstieg der Verschuldungsrelationen. Denn in der Deflation wächst der Wert des Geldes und damit auch der der Schulden. In der Inflation ist es umgekehrt. Auch deshalb ist höhere Inflation wünschenswert, denn so wäre es möglich ohne weitere schmerzhafte und politisch kaum durchsetzbare Sparmaßnahmen, die Schuldenlast der Länder zu reduzieren. Angst vor Hyperinflation braucht deshalb niemand zu haben. Wer davor warnt, vergisst ganz offenbar, dass diese in der deutschen Geschichte Folge von verlorenen Kriegen waren.

Stefan Riße ist freier Börsenexperte und Buchautor. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender n-tv. Sein aktuelles Buch "Die Inflation kommt", belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten. Mehr von und über ihn unter https://www.rissesblog.de/

Quelle: ntv.de

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