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Kanzlerin in Daten und Fakten 16 Jahre Angela Merkel - eine Bilanz

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Angela Merkel blickt in eine Zukunft ohne Politik. Welche Bilanz kann sie als Regierungschefin vorweisen?

(Foto: imago images/Christian Spicker)

Die vierte Amtszeit von Angela Merkel neigt sich endgültig dem Ende zu. Nach 16 Jahren verlässt die Christdemokratin das Kanzleramt. Was bleibt von ihrer Zeit als Deutschlands Regierungschefin? Eine Annäherung in Daten und Fakten.

Sie kennen mich. Mit diesem Satz wirbt Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2013 um die Stimmen der Wählerinnen und Wähler. Ein Satz, der zieht. Ein Satz, der in den Augen vieler Menschen zutrifft. Merkel, das ist diese unaufgeregte, pragmatische, ostdeutsch geprägte, gewissenhafte Christdemokratin, die daheim im Kochtopf rührt und in solchen Momenten nicht denkt: "Die Kanzlerin rührt im Kochtopf." Eine Frau, die ob der vielen politischen Krisen, die sie als Regierungschefin anpacken muss, schon einmal nachts wachliegt und über "die Dinge" nachdenkt.

Irgendwie hat die deutsche Öffentlichkeit sie also in den vergangenen 16 Jahren kennen- oder zumindest einzuschätzen gelernt. 2013 fährt die CDU/CSU mit 41,5 Prozent der Zweitstimmen ihr bestes Bundestagswahlergebnis unter Merkel ein. Acht Jahre später tritt die beliebte Regierungschefin ab. Was bleibt von ihr und ihrer Zeit im Kanzleramt? Statistiken können uns nur in einem geringen Maße dem Wirken einer Person nahe bringen. Doch im Fall von Angela Dorothea Merkel, geboren am 17. Juli 1954 in Hamburg, fügen sie sich zu einem Bild zusammen, das einen Wandel beschreibt - und eine Politikerin zeigt, die zumindest daran beteiligt war, die Weichen für diesen Wandel zu stellen.

Deutschland im Wandel

Da wären zum Beispiel Kennwerte, die die Situation in der Bundesrepublik in den vergangenen 16 Jahren beschreiben. Angefangen bei der Situation auf dem Arbeitsmarkt: 2005 lag die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland bei 19 Prozent, in Westdeutschland bei 10 Prozent. In den darauffolgenden Jahren folgte eine kontinuierliche Verringerung. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" spricht sogar von einem "Beschäftigungswunder der Merkel-Jahre". Expertinnen und Experten sehen aber auch die Agenda-2010-Politik von SPD-Kanzler Gerhard Schröder als maßgeblichen Faktor für den Aufschwung. Lediglich die Nachwehen der Finanzkrise 2008 sowie die Corona-Krise 2020 und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft schmälern Merkels Bilanz.

Ära MerkelRente und Arbeit

Auch in Bezug auf die Gesamtwirtschaft hinterlässt die Kanzlerin ein eher positives Bild - einmal abgesehen von externen Krisen wie der Coronavirus-Pandemie, die so nicht vorherzusehen waren. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs in den vergangenen Jahren - bis auf die besagten Ausnahmen - stetig. Deutschland durfte sich viele Jahre Exportweltmeister nennen.

Ob dieser Wohlstand auch adäquat an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitergegeben wurde, ist strittig. Zwar wurde 2015 ein Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro eingeführt (inzwischen liegt er bei 9,60 Euro). Der durchschnittliche monatliche Bruttolohn von Vollzeitbeschäftigten stieg von 2901 Euro im Jahr 2005 auf 3975 Euro im Jahr 2020. Doch angesichts der derzeitigen Inflationsrate können sich Verbraucherinnen und Verbraucher davon weniger kaufen.

In einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" Ende 2019 bilanzierte der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, dass die Ära Merkel eine Zeit war, "in der trotz zwischenzeitlicher Krisen Wohlstand und Stabilität herrschten", aber in der ebenso am Ende "eine gewisse Bequemlichkeit einsetzte". Fuest: "Ob die nächste Regierung die anstehenden Herausforderungen mit frischer Kraft und besseren Ideen für die Sicherung künftigen Wohlstands angeht, wird sich bald zeigen."

Das ist für die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nicht nur in Bezug auf die anhaltende Corona-Krise zu sehen, sondern auch auf die größte Herausforderung unserer Zeit: den Klimawandel. Seit dem Bild von Merkel im roten Anorak neben dem damaligen Umweltminister Sigmar Gabriel vor einem Gletscher in Grönland ist viel Zeit vergangen. Hat sich auch viel getan? Klimaaktivistinnen und -aktivisten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gehen die Maßnahmen, die Deutschland unter Führung der Kanzlerin bislang ergriffen hat, nicht weit genug.

Ära MerkelKlima in Zahlen

Bezeichnend dafür: Die globale Lufttemperatur lag bei Merkels Amtsantritt 0,96 Grad Celsius über dem Durchschnitt des vorindustriellen Zeitalters. Im Jahr 2020 waren es bereits 1,28 Grad Celsius. Deutschland hat im internationalen Vergleich nur einen geringen Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen. Dennoch kommt der Bundesrepublik als Industriestaat eine gewisse Vorbildfunktion zu. Konnte diese erfüllt werden? Die Klimabilanz ist zwar etwas besser geworden. So hat sich etwa der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergiemix in Deutschland erhöht. Auch die CO2-Emissionen sind seit 2005 kontinuierlich gesunken. Maßgeblichen Anteil daran hat aber die Energiewirtschaft und nicht etwa die viel beschworene Verkehrswende. Entfielen auf den Sektor Verkehr im Jahr von Merkels Amtsantritt 160 Millionen Tonnen Kohlendioxid, waren es 2019 163 Millionen Tonnen.

Arbeit als Kanzlerin

Angela Merkel war die erste Frau an der Spitze der deutschen Regierung. Sie galt nicht wenigen als Hoffnungsträgerin für mehr Gleichberechtigung. Die hohen Erwartungen erfüllte sie nicht, wie etwa das "Zeitmagazin" im Sommer resümierte. Das lässt sich an einigen Kennwerten nachvollziehen. Positiv ist dabei etwa die Entwicklung in den Führungsetagen der 100 wertvollsten Unternehmen in Deutschland. Der Frauenanteil steigerte sich von 0,2 Prozent 2006 auf 13,7 Prozent 2020. Das ist natürlich im Hinblick auf eine paritätische Teilhabe noch immer zu wenig.

Und auch bei den geschlechterspezifischen Lohnunterschieden (Gender Pay Gap) hat sich nicht viel getan. 2018 verdienten Arbeitnehmerinnen im Durchschnitt - trotz vergleichbarer Tätigkeit und äquivalenter Qualifikation - sechs Prozent weniger pro Stunde als Männer. Aber immerhin: Inzwischen nennt sich die Kanzlerin selbst eine "Feministin".

Ära MerkelGleichberechtigung

"Wir schaffen das" zählt zu den wohl einprägsamsten Sätzen, die Angela Merkel als Kanzlerin gesagt hat. Die Fluchtkrise und Asylpolitik darf daher bei einer historischen Betrachtung ihrer Amtszeit nicht fehlen. Unabhängig von allen damit verbundenen gesellschaftlichen Implikationen lässt sich anhand der Daten nüchtern feststellen: Die Zahl der jährlichen Asylanträge hat sich nach Merkels ersten beiden Amtszeiten gesteigert. Höhepunkte waren 2015 und 2016.

Die Bewältigung etlicher Krisen schmälerten die Zustimmungswerte für die Regierungschefin nicht - im Gegenteil. Seit Beginn ihrer Kanzlerinnenschaft bewerten die Bürgerinnen und Bürger Merkels Arbeit als überwiegend gut. Die positive Stimmung drohte grundsätzlich nur an zwei Wegmarken zu kippen: Im Herbst 2010, als mit dem Protest gegen Stuttgart 21 eine breite Unzufriedenheit im Land aufflackerte, sowie im Herbst 2018, als sich herbe Verluste für CDU/CSU bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ankündigten und sich eine gewisse Merkel-Müdigkeit in der Bevölkerung breit machte. Die Kanzlerin zog die Konsequenzen: Sie gab den Vorsitz der CDU ab und kündigte an, dies sei ihre letzte Legislaturperiode als Regierungschefin.

Obwohl sie bereits am 22. November 2005 vereidigt wurde und mit ihren 16 Jahren auf eine beachtliche Zeit an der Spitze der deutschen Regierung zurückblickt, wird Angela Merkel übrigens nicht mehr Helmut Kohl einholen. Der CDU-Übervater war 5870 Tage Kanzler. Sollte Olaf Scholz wie geplant in der kommenden Woche im Deutschen Bundestag zum neuen Kanzler gewählt werden, wird Merkel die Kohl-Marke knapp verpassen.

Internationale Beziehungen

Seit ihrem Amtsantritt besuchte Angela Merkel 90 verschiedene Staaten. Die wenigsten ihrer 546 offiziellen Reisen unternahm sie pandemiebedingt 2020. Ihr häufigstes Ziel über die Jahre: Belgien. Genauer: Brüssel. Das unterstreicht die Bedeutung der Europäischen Union für die deutsche Regierungschefin. Nur ein weiteres Land steuerte die Politikerin ebenfalls mindestens einmal im Jahr an: Frankreich.

Die besondere Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin ist hinlänglich bekannt. Das war neben der politischen Bühne auch auf zwischenmenschlicher Ebene sichtbar: So stand Merkel dem französischen Präsidenten François Hollande zur Seite, als das Land durch schwere Terroranschläge 2015 in tiefer Trauer erstarrte. Und für Nachfolger Olaf Scholz steht das erste Reiseziel nach seiner Vereidigung ebenfalls schon fest: Paris.

Insgesamt 56 Mal reiste Angela Merkel in die USA, nach China und Russland. Auffällig bei Letzterem: Seit der Annexion der Krim Anfang 2014 flog die Kanzlerin weniger häufig nach Moskau. Ein Indiz, das die merklich abgekühlte Beziehung zu Kreml-Chef Wladimir Putin gut versinnbildlicht. In den Vereinigten Staaten erlebte die Christdemokratin dagegen historische Momente. So durfte sie 2009 als erste Kanzlerin seit Konrad Adenauer vor dem US-Kongress eine Rede halten. US-Präsident Barack Obama verlieh ihr 2011 die Medal of Freedom in Anerkennung "einer bemerkenswerten Karriere".

Ära MerkelDie Kanzlerin auf Reisen

Auf internationalem Parkett sah sich Angela Merkel vielen Staatsoberhäuptern, Regierungschefinnen und Premierministern gegenüber. In kaum einem demokratischen Land gab es seit November 2005 eine ähnliche Konstanz. Da wären die Extrembeispiele Italien und Japan, in denen fast jährlich ein neuer Regierungschef gewählt wurde. In der unmittelbaren Nachbarschaft Deutschlands musste sich die Kanzlerin dagegen weniger neue Namen merken. In Luxemburg regierte jahrelang Jean-Claude Juncker, ehe er 2013 von Xavier Bettel abgelöst wurde und sich zeitweise an die Spitze der EU-Kommission verabschiedete.

Merkel und die CDU

Angela Merkel saß seit 1990 für die CDU im Deutschen Bundestag. Sie konnte im Wahlkreis 15 in Vorpommern immer die meisten Erststimmen für sich verbuchen und mit einem Direktmandat einziehen. Als Kanzlerin hielt sie 79 Regierungserklärungen in dem Plenum.

Bei einem Rückblick auf ihr Verhalten bei namentlichen Abstimmungen als Kanzlerin fällt auf: In zwei prominenten Fällen folgte sie ihrer christdemokratischen Linie und stimmte mit Nein, obwohl eine Mehrheit im Bundestag mit Ja votierte. Das betrifft zum einen das Votum über die Ehe für alle, die am 30. Juni 2017 unter Konfettiregen im Plenum beschlossen wurde. Zum anderen stimmte Merkel gegen die eingeschränkte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik am 7. Juli 2011.

Parteivorsitzende war Angela Merkel übrigens länger als Kanzlerin. 18 Jahre stand sie an der Spitze der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. In anderen Parteien sah es mit der Konstanz in der Führungsriege eher schlecht aus.

Doch Merkels Nachfolgerinnen und Nachfolger hatten es an der Spitze der Union nicht leicht. Die kurzen Wirkungszeiten von Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet hätten sich bei einem Blick auf die Wahlergebnisse vermutlich schon vorausahnen lassen können. Allerdings mussten die beiden sich bei ihrem jeweiligen Votum auch gegen andere Kandidaten durchsetzen.

Auf "die Dinge" reagieren

Was lässt sich aus all diesen Zahlen und Fakten schlussfolgern? Angela Merkel hatte ganz schön viel zu tun. In der besagten Rede vor dem US-Kongress 2009 sagte sie: "Ich habe meine Arbeit als Physikerin in der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin hinter mir gelassen und bin in die Politik gegangen. Weil ich endlich gestalten konnte. Weil ich den Eindruck hatte: Jetzt sind die Dinge veränderbar, jetzt kannst du etwas tun." Doch fairerweise muss konstatiert werden: Selbst als mächtigste Frau auf der politischen Bühne hatte die Kanzlerin nur bedingt Einfluss auf das, was auf der Welt passierte und die Entwicklung in Deutschland beeinflusste. Als Regierungschefin war sie aber zumindest im Stande, auf "die Dinge" zu reagieren.

Wie viele Nächte musste die Christdemokratin eigentlich vor lauter Arbeit im Kanzleramt verbringen? Wie oft war die 67-Jährige krank? Wie viele und welche Diensthandys benutzte sie, um mit ihren Ministerinnen und Ministern zu kommunizieren? Das wissen wir nicht. Unter Verweis auf den Datenschutz und Sicherheitsfragen gibt die Bundespressestelle diese Fakten nicht preis.

Fakt ist aber: Rund 11,48 Millionen Menschen in Deutschland wissen nicht, wie es ist, von einer anderen Person als Angela Merkel regiert zu werden. Das wird sich mit der Wahl von Olaf Scholz als voraussichtlich neuen Bundeskanzler in wenigen Tagen ändern.

Und dann haben die Wahlberechtigten der Zukunft ein paar Jahre Zeit, um sich das Wirken der neuen Entscheidungsträgerinnen und -träger in der Bundesrepublik anzusehen. Wenn sie dann alt genug sind und selbst wählen dürfen, können sie sich fragen: Kenne ich die Person, die da die Regierungsgeschäfte führt? Macht sie eine Politik, mit der ich mich identifiziere? Und was hätte wohl Angela Merkel getan?

Quelle: ntv.de

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