Gossip feiern Sensationscomeback Beth Ditto holt wieder den Body raus


Sie kam, sah und siegte: Beth Ditto beim Auftritt mit Gossip in Berlin.
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Zwölf Jahre sind seit dem letzten Album von Gossip vergangen. 14 Jahre, seit sich Frontfrau Beth Ditto auf Hansi Hinterseers Schoß setzte. Und sogar schon 15 Jahre seit dem Megahit "Heavy Cross". Jetzt feiert die Band mit neuem Album und intimer Show in Berlin ein phänomenales Comeback.
Die Erklärung auf der Website der Veranstaltungshalle klang fast wie eine Drohung: "Das Konzert ist restlos ausverkauft und es wird keine Tickets an der Abendkasse geben!" Mit anderen Worten: Kommt bloß nicht spontan vorbei, vergesst es, ihr kommt hier nicht rein! Grund für die klare Ansage war die Release-Show des ersten Gossip-Albums seit zwölf Jahren namens "Real Power", für das sich die Band um Sängerin Beth Ditto den Berliner Club "Lido" ausgesucht hatte, der gerade mal rund 600 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz bietet.
Ausverkauft war die Show tatsächlich bereits seit Monaten und im Handumdrehen. Sicher auch, da die Gruppe, ehe sie sich 2016 auflöste und Ditto erst einmal solo weitermachte, für ihre spektakulären Live-Shows berühmt-berüchtigt war. Das natürlich vor allem aufgrund ihrer Frontfrau, die mit ihrer brachialen Stimmgewalt, ihrer krassen Präsenz und ihrer Scheißegal-Attitüde gepaart mit selbstbewusster "Body Positivity" und LGBTQI+-Glamour einfach jede und jeden in den Bann zu ziehen wusste. Um den Saal zum Kochen zu bringen, musste Ditto nicht erst in Spitzen-Unterwäsche auflaufen.
Vor allem in Europa sorgte das nach der Gossip-Gründung um die Jahrtausendwende alsbald für Furore, während der im US-amerikanischen Portland ansässigen Gruppe in ihrem Heimatland der ganz große Erfolg stets verwehrt blieb. Der Peak war 2009 erreicht, als Gossip mit dem Lied "Heavy Cross" aus dem Album "Music for Men" von Deutschland über Großbritannien bis Australien einen Top-Ten-Hit landeten. Ein Jahr später wurde Beth Ditto gar mit einer Einladung zu Thomas Gottschalks "Wetten, dass..?" geadelt. Oder adelte vielmehr sie die Show, in der sie sich mal eben auf dem Schoß von Hansi Hinterseer fläzte? Ihr Auftritt in der Sendung ist jedenfalls legendär.
Punk's not dead
Und, das kann man wohl unumwunden so sagen, auch die Show der Gruppe am Donnerstagabend im "Lido" wird bei denen, die dabei sein durften, als legendär abgespeichert werden. Und das nicht nur, weil man die Band in einem derart intimen Rahmen nicht so schnell wieder zu Gesicht bekommen dürfte. Mehrfach verweist Ditto darauf, dass ja nun zwölf Jahre seit der letzten großen Gossip-Tour vergangen seien. Manche im Publikum seien in dieser Zeit sicher Eltern oder sogar Großeltern geworden - und sie mittlerweile 43.

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Doch dass der Zahn der Zeit gnadenlos an allen nagt, ist während dieses Konzerts nicht für den Bruchteil einer Sekunde zu spüren - weder beim restlos euphorisierten Publikum noch bei der Band rund um Ditto, die nichts von ihren Derwisch-Qualitäten eingebüßt hat, auch wenn sie sich zwischendurch gerne immer mal wieder mit einem Fächer Luft verschafft. Zugleich zieht sie an einer E-Zigarette Dampf in ihre Lungen oder lässt sich regelmäßig ein Gläschen "Tee" bringen, der verdächtig nach Whisky aussieht, um unmittelbar danach wieder unbeeindruckt loszuschmettern. Punk's not dead - wer hätte gedacht, dass den Beweis dafür eine 43-Jährige aus Oregon liefert?
Neben Ditto komplettieren der weitgehend für den Sound der Band zuständige Gitarrist Nathan Howdeshell und Schlagzeugerin Hannah Blilie das Trio, aus dem Gossip eigentlich besteht, auf der Bühne. Hinzu kommen eine Keyboarderin und am Bass ein gewisser Ted Kwo - Transgender-Mann und Lebensgefährte von Ditto, seit sie sich 2018 von ihrer Ehefrau trennte. Klar, dass sie alle unter der Ägide der omnipräsenten Frontfrau eher zu Randfiguren mutieren. Aber Randfiguren, ohne die das Rock-and-Roll-Gewitter, das sich über das Publikum ergießt, nicht denkbar wäre.
Here we are now - entertain us
Obwohl der Anlass des Konzerts ja die Veröffentlichung des neuen und damit sechsten Studioalbums "Real Power" der Gruppe ist, halten Gossip geschickt die Waage - zwischen ihren noch unbekannten Songs und Klassikern wie "Love Long Distance", "Men in Love", "Standing in the Way of Control" und natürlich "Heavy Cross", mit dem Ditto und Konsorten nach rund eineinhalb Stunden und einer herbeigetrampelten Zugabe die Meute aus dem Saal fegen. Dazwischen lässt die Sängerin immer mal wieder Text-Schnipsel anderer Heroen der Musikgeschichte in ihren Vortrag einfließen - von Kate Bushs "Running up that Hill" bis hin zu Nirvanas "Smells Like Teen Spirit". Als sie sich dann zur Zugabe noch umzieht, ihr Kleid erst gegen einen glitzernd-roten Tüten-BH eintauscht, um schließlich nur noch im schwarzen Body auf der Bühne zu stehen, gibt es längst kein Halten mehr.
Here we are now - entertain us. Live gelingt das Gossip zu 110 Prozent. An die Songs des neuen Albums müssen sich die Fans dagegen erst noch ein bisschen gewöhnen, auch wenn bei ihm - wie schon beim Erfolgsalbum "Music for Men" - wieder Starproduzent Rick Rubin mitgemischt hat. "Real Power" ist zwar musikalisch enorm vielschichtig, doch kommt es samt Balladen und viel Synthie-Sound streckenweise ungewohnt ruhig für die furiose Formation daher. Spätestens nach dem zweiten oder dritten Durchhören bekommt man allerdings den Titeltrack des Albums oder Songs wie "Edge of the Sun" und "Turn the Card Slowly" nur noch schwer wieder aus dem Kopf.
Wer nicht zum erlauchten Fan-Kreis bei der Release-Show gehörte, sollte sich nicht allzu sehr grämen. Im Juli und August kommen Gossip für mehrere reguläre Konzerte wieder nach Deutschland. In Berlin bespielen sie dann etwa am 20. August die Freilichtbühne Wuhlheide - mit 17.000 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Arena und auf den Rängen. Wenn die dann aber ähnlich abgehen wie das Publikum im "Lido", dürfte auch diese Veranstaltung legendär werden.
Quelle: ntv.de