Unterhaltung

Grotesk und streitbar"Eddington" öffnet die Wunden der Pandemie-Ära

20.11.2025, 16:36 Uhr
imageVon Linn Penkert
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Stehen nicht nur politisch auf unterschiedlichen Seiten, sondern auch persönlich: Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix) und Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal). (Foto: IMAGO/Landmark Media)

Ari Asters "Eddington" beleuchtet eindringlich die Spaltung der USA während der Pandemie. Zwischen Verschwörung, persönlichen und politischen Fehden eskaliert in einer Kleinstadt die Lage. Für viele endet es im Desaster - ein unbequemer Rückblick auf eine zerbrechliche Gesellschaft.

Fünf Jahre ist es her, dass die Welt plötzlich nur noch um ein einziges Thema zu kreisen schien: Inzidenzen, R-Werte, Abstand halten, Superspreader-Events, Lockdowns, Teststationen an jeder Ecke - die Corona-Pandemie war in jeder Unterhaltung, in jeder Schlagzeile und in jedem persönlichen Streit präsent. Verschwörungstheorien über den Ursprung des Virus, hitzige Debatten über Impfstoffe, Abwehrkämpfe gegen das Tragen von Masken inklusive.

Ari Asters "Eddington" schleudert einen mit voller Wucht zurück diese Zeit. In eine kleine, abgelegene US-Stadt in New Mexico, in der die großen Konflikte dieser Ära - die Pandemie, politische Polarisierung, soziale Gerechtigkeit, der Kampf um die Wahrheit - nicht nur nebeneinander existieren, sondern täglich frontal aufeinandertreffen.

Eddington selbst wirkt schon ohne Krise wie ein Ort, der ein wenig am Rand der Welt steht: wirtschaftlich angeschlagen, sozial zerfasert, voller Menschen, die sich von "denen da oben" im Stich gelassen fühlen. Der Frust über Dr. Fauci und die Regierung hat sich in vielen Köpfen festgefressen - besonders aber in dem von Sheriff Joe Cross, dargestellt von einem groß aufspielenden Joaquin Phoenix. Cross ist wütend, überfordert und er versteht die Welt nicht mehr. "Es gibt kein Corona in Eddington", behauptet er trotzig in einem Instagram-Livestream, in dem er voller Ignoranz und Selbstmitleid gegen die neuen Maßnahmen wettert, für die er den demokratischen Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal) verantwortlich macht. Und weil Wut oft in Größenwahn kippt, verkündet der Sheriff schließlich, selbst für das Bürgermeisteramt kandidieren zu wollen.

Zu Hause stoßen seine politischen Ambitionen jedoch auf Widerstand. Seine Frau Louise (Emma Stone) und ihre Mutter Dawn (Deidre O'Connell), die bei dem Paar lebt, sind alles andere als begeistert. Dabei ist Dawn ironischerweise selbst Verschwörungsanhängerin und überzeugt davon, dass Corona nur ein Werkzeug von Regierung und Wirtschaft sei. Louise, ohnehin psychisch verletzlich nach einem traumatischen Vorfall, wird zunehmend empfänglich für den paranoiden Nonsens, den Dawn aus dubiosen Blogs zieht. Halt findet sie schließlich beim esoterischen Schwurbler Vernon Jefferson (Austin Butler), der von Gehirnwäsche und "Gott spricht durch dich" schwadroniert.

Die Worte des Sheriffs finden ein Publikum

Parallel dazu trifft sich die lokale Teenager-Clique nachts auf einem abgelegenen Feld: Alkohol fließt, gefeiert wird dennoch verantwortungsbewusst - mit Maske und Abstand. Sie sind "woke", engagieren sich nach dem Tod von George Floyd für Black Lives Matter (BLM) und gegen Polizeigewalt.

Sheriff Cross' Wahlkampf wiederum entwickelt sich schnell zu einer Farce, die stark an eine sehr reale orangefarbene, politische Figur erinnert, die seit Anfang des Jahres wieder im Oval Office sitzt. Mit seinen Deputies Guy (Luke Grimes) und Michael Cooke (Michael Ward) zieht Cross durch die Stadt, schürt Ängste, schickt Videos an die Bürgerinnen und Bürger, wirft mit Schlagworten wie "Bitcoin" und "Deep State" um sich. Seine Rhetorik wirkt wie ein Echo jener schwer erträglichen Tage, in denen die "Proud Boys" auf ein halbironisches "Stand back and stand by" ihres Idols warteten. Und im Film wie in der Realität finden solche Worte ein Publikum.

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Versinken im Verschwörungssumpf: Louise (Emma Stone) und ihre Mutter Dawn (Deidre O'Connell). (Foto: IMAGO/Landmark Media)

Als die Lage in Eddington eskaliert - nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch wegen der aufgeheizten BLM-Debatten, alter Ressentiments und persönlicher Feindseligkeiten - kippt der Ton des Films ins zunehmend Groteske und schließlich Gewaltvolle. Paranoia greift um sich, alte Wunden brechen auf, Stadtbewohner verlieren jegliche Hemmungen. Nach einem Doppelmord schwillt das Chaos an - bis die Stadt am Ende in Trümmern liegt und viele weitere Menschen ihr Leben verloren haben.

Der Wahlkampf zwischen Cross und Garcia erweist sich dabei als weit mehr als eine persönliche Fehde zweier Männer mit Vergangenheit. In ihm verdichtet sich der Umgang einer ganzen Nation mit einer historischen Ausnahmesituation. "Eddington" zeigt, wie Angst, Fake News, sozialer Druck und das Bedürfnis nach einfachen Antworten ineinandergreifen - und wie diese Dynamiken die politische Landschaft der USA nachhaltig verändert haben, bis hin zur heutigen zweiten Amtszeit von Donald Trump. Regisseur Aster liefert damit eine der ersten umfassenden filmischen Auseinandersetzungen mit dieser Zeit und zeigt, wie die Pandemie nur ein Katalysator war, der längst vorhandene Risse sichtbar machte.

"Eddington" springt von einem Genre zum nächsten

Doch bei allem Mut zum großen Bild kämpft der Film mit einem klaren Problem: Er will zu viel auf einmal erzählen. Frustrierend ist vor allem der Versuch, unbedingt "beide Seiten" abzubilden, was an manchen Stellen zu einer unerwarteten Verharmlosung von Verschwörungserzählungen führt. Man fühlt sich unweigerlich an Trumps berüchtigtes Zitat nach dem Neonazi-Aufmarsch in Charlottesville erinnert, in dem er "beiden Seiten" die Schuld an der Gewalt gab. Besonders beim Porträt der BLM-nahen Jugendlichen wird das heikel - wenngleich er die Bewegung als solche nicht kritisiert, zeigt Regisseur Aster ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer oft als privilegierte, gelangweilte Gen-Z-Kids, die alles überdramatisieren. Mag ja sein, dass es solche Fälle gab. Doch sie in dieser Breite und Zuspitzung zu zeichnen, verwässert die Legitimität der Bewegung und spielt jenen in die Hände, die sie ohnehin ablehnen.

Hinzu kommt Asters Neigung, sämtliche Nebenthemen, die ihn interessieren, ebenfalls in den 2.25 Stunden verarbeiten zu wollen: das esoterisch-geschäftstüchtige Ausnutzen der Pandemie, ein geplantes Rechenzentrum am Rande der Kleinstadt, das Umweltfolgen haben wird, und dann noch Fragen rund um indigene Gemeinschaften. Dazu jongliert der Regisseur, der sich bereits mit Filmen wie "Midsommar" und "Hereditary" einen Namen gemacht hat, munter mit Genres: von schwarzer Komödie, Drama, Tragikomödie, Action, Contemporary Western, Thriller, Mystery, bis hin zu Horror, Asters Spezialgebiet, ist von allem etwas dabei. Das Ergebnis ist zweifellos unterhaltsam, aber auch anstrengend.

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Schwurbler Vernon Jefferson (Austin Butler) schafft es, aus der Pandemie Profit zu schlagen. (Foto: picture alliance/dpa/Leonine)

Unbestritten ist hingegen die Qualität des Casts. Aster hat einige der derzeit angesagtesten Hollywood-Stars versammelt, und sie liefern - soweit es der übervolle Stoff zulässt - hervorragende Leistungen. Besonders Joaquin Phoenix glänzt als Sheriff Cross mit einer Intensität, die zwischen Abgrund, Pathos und peinlichster Lächerlichkeit wechselt. Emma Stone überzeugt als fragile, manipulierbare Louise. Austin Butler verleiht seinem esoterischen Prediger einen unheimlich sanften Fanatismus. Doch letztlich kommen viele Talente - allen voran Pedro Pascal - zu kurz, schlicht weil der Film zu viele Baustellen gleichzeitig eröffnet.

"Eddington" ist die erste große filmische Aufarbeitung der Pandemie-Jahre - wuchtig, provokant, manchmal brillant, manchmal überladen. Ari Aster wirft einen ebenso schonungslosen wie chaotischen Blick auf die USA der Jahre 2020 bis 2021 und zeigt, wie nah Komödie und Horror beieinanderliegen, wenn eine Gesellschaft kollektiv den Boden unter den Füßen verliert. Auch wenn der Film thematisch zu viel will und moralisch nicht immer sauber ausbalanciert ist, bleibt er ein mutiges, bedrückendes, streitbares Stück Zeitgeschichte. Gerade weil er uns zwingt, uns erneut mit jener chaotischen Phase auseinanderzusetzen, von der vielleicht dachten, wir hätten sie längst hinter uns gelassen.

Quelle: ntv.de

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