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Gil Ofarim, Till Lindemann & Co Es muss ein anderer Umgang her

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Politik, Medien und Gesellschaft sollten Lehren aus seinem Fall ziehen: Gil Ofarim.

Politik, Medien und Gesellschaft sollten Lehren aus seinem Fall ziehen: Gil Ofarim.

(Foto: picture alliance/dpa)

Nach seinem öffentlich erhobenen Antisemitismus-Vorwurf erhält Gil Ofarim rasch jede Menge Unterstützung - von der Politik, Medien, Institutionen, Bürgerinnen und Bürgern. So verständlich das ist, mahnt dieser Fall dennoch zu mehr Trennschärfe. Und nicht nur dieser.

Als Gil Ofarim im Oktober 2021 seinen Vorwurf, er sei in einem Leipziger Hotel antisemitisch beleidigt worden, öffentlich macht, bringt das alsbald eine Lawine der Unterstützung für den Musiker ins Rollen. Sachsens Justizministerin Katja Meier etwa twittert, der "Antisemitismus im Hotel" sei "unsäglich und unerträglich". Der Vize-Regierungschef des Landes, Martin Dulig, nennt "inakzeptabel", was Ofarim widerfahren sei und kommt zu dem Schluss: "Wir haben noch viel zu tun in Sachsen!" Und sogar der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas schaltet sich in die Diskussion ein: "Leipzig ist kein Einzelfall", kommentiert er.

Der Zentralrat der Juden kritisiert nur einen Tag, nachdem der Sänger auf seiner Instagram-Seite ein Video mit seinem Vorwurf hochgeladen hatte, "dass eine deutliche Entschuldigung des Hotels gegenüber Gil Ofarim bisher ausgeblieben ist". Noch am selben Abend ziehen Hunderte Demonstrantinnen und Demonstranten vor das Leipziger Hotel, um dort ihre Solidarität mit dem Musiker kundzutun. Auch in den sozialen Netzwerken erfährt Ofarim jede Menge Zuspruch - während der Hotelmanager, der ihn angeblich beleidigt haben soll, rasch mit Hasskommentaren und Beschimpfungen überzogen wird.

Natürlich dürfen in dieser Aufzählung auch viele Medien nicht fehlen, die Ofarims Darstellung anfangs ungenügend oder gar nicht hinterfragt und mitunter einfach wie eine Tatsachenbehauptung wiedergegeben haben. Die Presse darf und muss sich in dieser Angelegenheit durchaus an die eigene Nase fassen und einräumen, dass dies in Teilen kein Ruhmesblatt für sie war, auch wenn speziell in diesem Fall der erste Reflex verständlich und in gewisser Weise sogar ein positives Zeichen gewesen sein mag.

Weg von der Empörungsökonomie

Schließlich erschien es den meisten wohl einfach ganz und gar unvorstellbar, dass ausgerechnet ein selbst jüdischer Musiker mit der hässlichen Fratze des Antisemitismus Schindluder treiben würde. Eine Fratze, die man aber nicht wie Ofarim herbeilügen muss, um ihr tagtäglich hierzulande und andernorts auf der Welt zu begegnen. Dies vorausgesetzt, war der Impuls, dem vermeintlich antisemitisch beleidigten Opfer beizuspringen, an sich nichts Schlechtes - zumal im Land des Holocausts.

Was jedoch - auch bei einer sensiblen Thematik wie der des Antisemitismus - schlecht war, war diesem Impuls spontan die Oberhand zu überlassen. Die Empörung mag sich anfangs allem Anschein nach richtig angefühlt haben - ihr die Abwägung der Aussagen, die Unschuldsvermutung für den Hotelmanager und die eben nun mal etwas länger dauernde Wahrheitsfindung unterzuordnen, war es nicht.

Nicht alle Journalistinnen und Journalisten, Politikerinnen und Politiker oder Bürgerinnen und Bürger, die sich in dem Fall zu Wort gemeldet haben, müssen sich diesen Vorwurf gefallen lassen, aber schon so einige. Nachdem die ersten Zweifel an Ofarims Darstellung aufgekommen waren, haben sich zwar nahezu alle rasch korrigiert und zu Maß und Mitte in ihrer Beurteilung zurückgefunden. Doch zunächst regierte eine Empörungsökonomie, von der es wegzukommen gilt.

"Verlogenheit des Establishments"?

Denn auch sie erzeugt Opfer. Abstrakte wie das der Glaubwürdigkeit, das Agitatoren wie die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch natürlich auszunutzen wissen, indem sie von einer "Verlogenheit des Establishments" schwadronierte, als die ersten Ungereimtheiten bei dem Antisemitismus-Vorwurf des Musikers zutage traten. Und konkrete, wie das des Hotelmanagers, der unschuldig in Verruf geriet. Dass er zwischenzeitlich sogar Morddrohungen erhielt, ist nicht minder unerträglich wie Extremisten oder Spinner, die mit Fackeln vor die Häuser politischer Gegner ziehen.

Der Appell zu Vor- und Umsicht ist selbstredend kein Aufruf zum Schweigen. Wenn Anschuldigungen wie die von Ofarim im Raum stehen, müssen sie auch aufgegriffen und thematisiert werden. Nicht anders war es in der Causa Till Lindemann. Auch hier hatten die potenziellen Opfer allemal das Recht, gehört zu werden. Was jedoch nie sein darf, ist, dass allein der Verdacht bereits in eine Vorverurteilung mündet. Das sollten diese Fälle Politik, Medien und Gesellschaft hoffentlich gelehrt haben.

Quelle: ntv.de

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