Hut ab vor Herrn W. Meine Güte, Gil!
28.11.2023, 17:01 Uhr Artikel anhören
Bat letztendlich um Entschuldigung: Gil Ofarim.
(Foto: picture alliance/dpa)
Dass sich Gil Ofarim in seinem Verleumdungsprozess letztlich zu einem Geständnis durchgerungen hat, ist gut. Trotzdem hinterlässt der Musiker einen Scherbenhaufen - für sich und andere. Größten Respekt verdient dagegen der unfreiwillig als "Herr W." bekannt gewordene Hotelmanager.
Man hätte in diesem Prozess viel für möglich gehalten: einen Freispruch, weil doch noch irgendwelche Ungereimtheiten bei den Ermittlungen gegen Gil Ofarim ans Tageslicht kommen. Eine Verurteilung, obwohl der Sänger entgegen aller Beweise felsenfest bei seiner Darstellung bleibt. Oder eine Verurteilung, nachdem Ofarim eingeräumt hat, dass ihm in seiner Wahrnehmung der Ereignisse dann vielleicht doch etwas verrutscht sei. Dass das Verfahren allerdings damit enden würde, dass der Musiker komplett geständig eine Lüge einräumt, hatten wahrscheinlich nicht allzu viele auf dem Zettel.
Die Lehren aus diesem Paukenschlag sind ebenso banal wie einschneidend. Zunächst einmal für Gil Ofarim selbst. "Die Chance auf einen befreiten Neustart ist sein Gewinn. Ja, er hat einen Fehler gemacht. Aber er hat sich dazu bekannt, er hat um Entschuldigung gebeten und hat sie erhalten. Damit ist die Sache vom Tisch", zeigte sich Richter Andreas Stadler laut "Focus" nach dem Geständnis gnädig mit dem Musiker.
Keine Frage, dass sich Ofarim letztlich doch noch zu einem Geständnis durchgerungen hat, ist ihm - unter den gegebenen Umständen, versteht sich - durchaus positiv anzurechnen. Dass er den Mut und die Kraft aufgebracht hat, die Ketten seiner Lüge am Ende selbst zu sprengen, war allemal besser, als weiter in den Tunnel zu laufen, in den er sich mit seiner Erzählung verirrt hatte. Ob die Öffentlichkeit in ihrer Gesamtbeurteilung allerdings ähnliche Milde an den Tag legen wird wie der Vorsitzende Richter, ist dann doch fraglich. Etwas wird haften bleiben. Und man möchte dem Sänger, dessen jüngstes Album immerhin Platz fünf der deutschen Charts eroberte, und strahlenden "Let's Dance"-Gewinner von 2017 am liebsten zurufen: Meine Güte, Gil! Wozu das Ganze?
Klare Worte des Zentralrats
Dass Ofarim der jüdischen Gemeinde mit seinem Lügenmärchen einen Bärendienst erwiesen hat, liegt ebenfalls auf der Hand. Antisemitische Rattenfänger egal welcher Couleur werden den Fehltritt des Musikers nur allzu gerne für ihre schmutzigen Hasskampagnen ausschlachten. "Damit hat Gil Ofarim all denen, die tatsächlich von Antisemitismus betroffen sind, großen Schaden zugefügt", stellte entsprechend auch der Zentralrat der Juden fest, kurz nachdem die Bombe im Leipziger Prozess geplatzt war. Die Pflicht der Zivilgesellschaft freilich wird es sein, genau dies nicht zuzulassen: dass ein individueller Fehler zu einem derart großen Schaden für alle umgemünzt wird. Oder wie es Richter Stadler formulierte: "Eines bleibt, wie es war: Antisemitismus ist eine Tatsache, der Kampf dagegen ist eine Aufgabe."
Was last but not least auch noch aus dem Prozess mitzunehmen ist, ist der allergrößte Respekt für das erste, eigentliche und wahre Opfer der von Ofarim initiierten Farce: "Herrn W.", wie der von dem Musiker beschuldigte Hotelmanager aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zumeist nur genannt wurde. Dass dieser Schutz allemal nötig war, ging nicht zuletzt aus den Schilderungen des Mannes vor Gericht hervor. "Das war dramatisch, wirklich schlimm", umschrieb er die Konsequenzen für sich und seine Kolleginnen und Kollegen, nachdem der Antisemitismus-Vorwurf des Sängers landauf, landab Schlagzeilen gemacht hatte.
Nicht nur sein kompletter Name sei im Internet öffentlich und verächtlich gemacht worden, er habe sogar eine Morddrohung erhalten, erklärte Herr W. Aus Angst vor Übergriffen entfernte der 35-Jährige das Klingelschild an seiner Wohnung, er bestieg keine Bahn mehr und tauchte sogar für zehn Tage unter. Er musste sich in psychologische Behandlung begeben, leidet bis heute unter Schlaflosigkeit und Nervosität und wechselte sogar den Job - nicht nur, aber auch wegen der Auseinandersetzung mit Ofarim, die sich im Oktober 2021 an der Hotel-Rezeption tatsächlich zugetragen hatte. Dort war es zwar nicht zu einer antisemitischen Beleidigung des Sängers gekommen, nach Aussagen vieler Zeugen in dem Prozess dafür aber zu einem Wutausbruch des Musikers, der darüber sauer war, in der Schlange stehen zu müssen. "Es ist schwer, wenn man dort immer wieder in den gleichen Räumlichkeiten rumläuft. Es holt einen immer wieder ein", erläuterte Herr W., weshalb er sich alsbald nach einem neuen Arbeitsplatz umsah.
"Mein Mandant ist sehr froh"
Doch der Hotelmanager verdient nicht nur Respekt aufgrund des Leids und Unrechts, das ihm widerfahren ist, sondern auch und vor allem wegen der Größe, die er nach Ofarims Geständnis an den Tag legte. "Mein Mandant ist nach der Odyssee sehr froh darüber, dass es so zu Ende gegangen ist. Er hat die Entschuldigung Ofarims angenommen und ist sehr froh, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist", zitierte der "Focus" seinen Anwalt.
Folgt man dagegen abermals den Worten von Richter Stadler gibt es außer dem moralischen Sieger in Gestalt von Herrn W. auch noch einen anderen Gewinner: "Die Gesellschaft. Sie hat die Wahrheit erfahren." Dies mag ein Triumph sein. Aber einer, auf dessen Genese man nur allzu gern verzichtet hätte.
Quelle: ntv.de