Harfouchs "Tatort"-Einstand Wie gut funktioniert das neue Berliner Team?


Regierungsviertel statt Wilder Osten: Der Berliner "Tatort" wird staatstragender.
(Foto: rbb/Pascal Bünning)
Ein neuer Sheriff ist in der Hauptstadt. Er ist eine Sie und auch ansonsten ist der erste Satz im Grunde großer Quatsch, denn Corinna Harfouch bringt etwas Staatstragendes mit in den Berliner "Tatort": Regierungsviertel statt Wilder Osten, Pumps statt Sneaker, Hosenanzug statt Club-Outfit.
Ein heruntergekommenes Lagerhaus irgendwo in Berlin, ein Transporter voll mit Waffen aus sowjetischer Produktion und jede Menge finstere Typen, die deren Übergabe an eine Bande rechter Verschwörer überwachen: Kein guter Zeitpunkt, um als Verfolgerin Nerven zu zeigen und die eigene Waffe zu verlieren. So wie Susanne Bonard, die bei ihrem ersten Außeneinsatz nach mehr als zehn Jahren als Dozentin an der Polizeiakademie ein bisschen eingerostet ist - und die Situation gerade noch rechtzeitig retten kann, weil sie mit ihren Pumps die Waffe aus dem Gefahrenbereich angelt, bevor sie jemand sieht.
Pumps statt Sneaker, Hosenanzug statt Club-Outfit, Regierungsviertel statt Wedding: Die neue Kommissarin und mit ihr zumindest die erste Doppelfolge des Hauptstadt-"Tatorts" sind der komplette Gegenentwurf zu dem Krimi-Berlin, dass ihre Vorgängerin Rubin (Meret Becker) verkörperte.
Die 62 Jahre alte Susanne Bonard, routiniert gespielt von Corinna Harfouch, gilt im Film wegen ihres Standardwerks "Polizeiarbeit im Rechtssystem: Herausforderungen und Chancen" als LKA-Legende und bringt etwas Staatstragendes mit ins Berliner "Tatort"-Universum. Dementsprechend viel Zeit, fast 45 Minuten, lässt sich Regisseur Robert Thalheim, bis er die neue Ermittlerin mit dem latent düsteren Kommissar Karow (Mark Waschke) zusammenbringt. "Ich mache nur diesen einen Fall und dann bin ich wieder weg", beschwichtigt Bonard ihren Kollegen, der der Neuen am Anfang eher skeptisch gegenübertritt.
Nicht ganz grundlos, denn während der verkopfte Karow und die impulsive Rubin vor allem über ihre Gegensätzlichkeiten funktionierten, tritt mit Bonard eine ebenso kühle (und lässige) Intellektuelle auf den Plan. Das ist, Stichwort Teambuilding, ebenso interessant wie die Tatsache, dass mit der kurz vor der Verrentung stehenden Bonard (die Schauspielerin Harfouch wäre mit ihren 68 Jahren sogar schon so weit) das Prinzip der "Neuen" auf den Kopf gestellt wird.
Harfouch und Waschke harmonieren
Zumindest in "Nichts als die Wahrheit" geht das Konzept aber erstaunlich gut auf: "Ich finde es durchaus reizvoll, durch die Begegnung mit Bonard eine andere Form der intellektuellen Reibefläche zu genießen", sagte Mark Waschke in einem Interview mit goldenekamera.de über seinen Film-Ermittler. "Mit Susanne 'prügelt' er sich auf Augenhöhe - ohne dass sie einander körperlich wehtun."
Harfouchs und Waschkes Energie trägt den Fall auch über einige inhaltliche Schlaglöcher hinweg. Denn es funktioniert bei weitem nicht alles im neuen Berliner "Tatort", ganz im Gegenteil: Bonards und Karows große Überraschung über die weiten Kreise, die die rechte Verschwörung zieht, dürfte jeden überraschen, der ab und an mal einen Blick in die Zeitung wirft - die Realität ist schließlich gar nicht mal so weit von der Filmhandlung entfernt. Aber das hat natürlich mehr mit dem Drehbuch als mit den Schauspielern zu tun, denn eines lässt sich schon nach 180 Minuten sagen: Harfouchs und Waschkes erster gemeinsamer Auftritt macht Lust auf mehr. Wie schön, wenn Kommissarin Bonard zum Abschied "Bis Montag!" sagt. Auch wenn es wahrscheinlich eher ein Sonntag wird.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 10. April 2023 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de