"Bewusst überzeichnet" Krisengespräch mit den Söhnen Mannheims
09.05.2017, 13:33 Uhr
"One Love, euer Xavier."
"Ich bin weder rassistisch noch rechtspopulistisch", richtet Xavier Naidoo via Facebook aus und erklärt sich in einem langen Statement. Zuvor hatte er mit seinen Söhnen Mannheims ein Treffen beim Mannheimer Oberbürgermeister, der sich von ihm distanziert hatte.
Lange hat Xavier Naidoo öffentlich zu der Kritik an dem umstrittenen Song "Marionetten" seiner Band Söhne Mannheims geschwiegen. Nach einem Krisentreffen im Rathaus mit dem Mannheimer Oberbürgermeister sah sich der 45-Jährige nun aber wohl doch gezwungen, ein Statement dazu abzugeben. Auf Facebook postete er seine Meinung zu der Geschichte.
Es handle sich bei dem Lied "um eine zugespitzte Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Strömungen, also um die Beobachtung bestimmter Stimmungen, Auffassungen und Entwicklungen", so der Sänger. Der Text sei "bewusst überzeichnet". Dies sei offenbar bei vielen missverständlich angekommen.
Weiter heißt es in dem Statement, dass sowohl die Söhne Mannheims als auch er sich seit Jahren "gegen jede Art von Gewalt, gegen jede Art von Fremdenhass, gegen jede Art von Diskriminierung und gegen jede Form von Radikalismus und Nationalismus" stellen würden. Stattdessen stünden sie für eine "offene freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft, in der viele Kulturen gemeinsam zusammenleben und in der es allen Menschen möglichst gut geht", ein. "Dass ich weder rassistisch noch rechtspopulistisch bin, bedarf für mich eigentlich keiner (erneuten) Erwähnung", so Naidoo.
Die Diskussion um den umstrittenen "Marionetten"-Liedtext der Söhne Mannheims zog in den letzten Tagen immer weitere Kreise. Und wie der Mannheimer Morgen berichtet, trafen sich die Bandmitglieder um Xavier Naidoo und der Oberbürgermeister der Stadt, Peter Kurz (SPD), am Montagabend zu einem Krisengespräch. Dieses sei auf Wunsch der Band einberufen worden, hieß es vorab. Das Gespräch sei den Künstlern "aufgrund ihrer Identifikation mit Mannheim und auch weil sie die von der Stadt Mannheim vertretenen Werte der Toleranz, Offenheit und Demokratie teilen, wichtig".
"Das Gespräch war intensiv, sehr ernsthaft", zitiert der "Mannheimer Morgen" Oberbürgermeister Kurz beim Verlassen des Technischen Rathauses um 23 Uhr abends. Xavier Naidoo und den Söhnen Mannheims wird vorgeworfen, mit dem Song "Marionetten" gegen die aktuelle deutsche Politik zu hetzen. Kurz nachdem der Diskurs entbrannt war, hatte sich Oberbürgermeister Kurz öffentlich von der Band distanziert, aber auch bekannt gegeben, dass ein gemeinsames Treffen geplant sei.
Hier Xavier Naidoos Post im Wortlaut:
Guten Morgen,
nach dem Treffen mit dem Oberbürgermeister und den Söhnen Mannheims habe ich das Gefühl, noch einmal das Wort für die Kunst ergreifen zu müssen. Ebenso wenig wie man einen Menschen in einem Satz erklären kann, kann man dies bei der Kunst. Wenn ich es ausnahmsweise nunmehr trotzdem versuche, ist es für mich gar nicht einmal so schwierig, da mir das Texten erfreulicherweise leicht fällt.
Ein Produzent, meistens zugleich ein Freund, spielt mir z.B. eine Komposition vor, bei welcher mir bereits nach ein paar Sekunden der Melodie die ersten Textfragmente in den Sinn kommen. Das bedeutet, mein Unterbewusstsein hat ganz sicher Einfluss auf die Entstehung der Songs. Selbstverständlich können und werden sicherlich Erfahrungen und Beobachtungen aus meinem erlebten Alltag in der Gesellschaft meiner Freunde, in der Gesellschaft in welcher wir leben sowie natürlich in meiner Familie - insbesondere meiner geliebten Frau und meinem Sohn - in diesen Schaffensprozess einfließen. In diesen Momenten verschwende ich keinen einzigen bewussten Gedanken darauf, wohin mich die Reise wohl führen mag.
Einer der neuen Songs der Söhne Mannheims, der Song mit dem Titel "Marionetten", hat zu hitzigen Diskussionen geführt. Einzelne Fragmente oder Satzteile wurden hier - teilweise aus dem Kontext gerissen - bewertet, gedeutet und heftig kritisiert. Damit kann ich gut leben - gerade als Musiker, für den Kunst- und Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter überhaupt ist. Dennoch ist es schade, dass in der Diskussion über diesen Song teilweise Unterstellungen wiederholt werden, zu denen es meinerseits zahlreiche Klarstellungen und unmissverständliche Dementis gab.
Bei dem Lied "Marionetten" handelt es sich um eine zugespitzte Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Strömungen, also um die Beobachtung bestimmter Stimmungen, Auffassungen und Entwicklungen, dies im Rahmen einer künstlerischen Auseinandersetzung bewusst überzeichnet.
Das mag missverständlich gewesen sein, daher ist mir folgendes wichtig: Die Söhne Mannheims und ich stehen für eine offene, freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft, in der viele Kulturen gemeinsam zusammenleben und in der es allen Menschen möglichst gut geht. Das ist mir wichtig und dafür lohnt es sich einzustehen. Wir erleben derzeit leider eine Phase, in der viele Menschen zumindest das Gefühl haben, dass es ihnen nicht mehr ganz so gut geht oder dass sie nicht mehr "mitgenommen" werden von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Das ist gefährlich und kann zu Extremismus führen. Und der ist nie gut.
Eine Demokratie und eine offene Gesellschaft leben davon, dass sie von der Mehrzahl der Menschen getragen wird, dass sie streitbar ist und auch, dass ihr Zustand kritisch hinterfragt werden darf. Gerade um sie zu erhalten und gerade um sie zu verbessern.
Dies gilt insbesondere in Zeiten, in der Globalisierung und internationale Abhängigkeiten es schwerer machen, jene unverzichtbaren Grundwerte einer Demokratie wie Freiheit, Frieden, Gleichheit und Solidarität so verständlich zu machen, wie wir es uns wünschen. Die Grundwerte, für die wir stehen, sind notwendige Grundlage für ein soziales und friedliches Miteinander ALLER Menschen, frei von Ressentiments und nationalem Gedankengut. Dabei ist auch Streitkultur wichtig - und es gibt abseits des Extremen ganz sicher kein monotones "Gut" oder "Böse" bzw. "Richtig" oder "Falsch". Wir müssen aufeinander hören und gegen Verdrossenheit angehen - wichtig ist aber tatsächlich, für welche Werte wir bei diesen Diskussionen stehen.
Die Söhne Mannheims und ich stehen (ohne das ernsthaft betonen zu müssen) seit vielen Jahren ganz klar gegen jede Art von Gewalt, gegen jede Art von Fremdenhass, gegen jede Art von Diskriminierung und gegen jede Form von Radikalismus oder Nationalismus. Genauso erheben wir seit Jahren unsere Stimme gegen alle menschenverachtenden, populistischen oder Hass säenden Personen und Bewegungen. Gerade meine Herkunft prägt mich als einen multikulturellen Menschen, mit meiner südafrikanisch-irischen Mutter und meinem indisch-deutschen Vater. Nachhaltig betroffen gemacht hat mich auch die Erfahrung, dass die Ehefrau meines geliebten jüdischen Patenonkels, die Schwester meines Vaters, meine dunkelhäutige Mutter aufgrund ihrer Hautfarbe abwertend behandelt und schlussendlich den Kontakt zu uns abgebrochen hat. Ich schätze mich glücklich und empfinde es als Bereicherung, dass ich viele Freunde jeglicher Nationalität und jeglichen Glaubens habe. Dass ich weder rassistisch noch rechtspopulistisch bin, bedarf für mich eigentlich keiner (erneuten) Erwähnung.
Ich widerspreche daher auch jeglicher Instrumentalisierung meiner Musik und Texte durch entsprechende politische Gruppierungen.
Ich gebe keinem meine Stimme, sondern erhebe meine eigene mit den Mitteln meiner Kunst. Und die ist oft hinterfragend, teils kindlich, im besten Fall zum eigenständigen Denken anregend, manchmal tiefsinnig, vielleicht auch für manche belanglos oder an ihrer Sache vorbei, gerne auch mal provozierend - aber im gleichen Atemzug stets voller Liebe und Überzeugung für die erwähnten Grundwerte.
One Love Euer Xavier
Quelle: ntv.de, soe/spot