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Lissabon eröffnet ESC-Festspiele Sie sind dann Helden für einen Tag

Dafür interessiert man sich sogar in China: Michael Schulte bei der ESC-Eröffnung in Lissabon.

Dafür interessiert man sich sogar in China: Michael Schulte bei der ESC-Eröffnung in Lissabon.

(Foto: Andres Putting / eurovision.tv)

Alles so schön blau hier. Nein, nicht die ESC-Teilnehmer selbst, aber der Teppich, auf dem sie in diesem Jahr ihren Wimpernschlag des Ruhms feiern. Mittendrin: Deutschlands Hoffnungsträger Michael Schulte. Doch der könnte sich eigentlich auch als Kanzler bewerben.

Lissabon ist wunderschön. Historische Altstadt, grandiose Bauten, malerische Gassen. Und die Sonne lacht sowieso den ganzen Tag, als wäre sie besoffen. Aber vielleicht waren das auch die Verantwortlichen, als sie den Ort für die diesjährige Eröffnung des Eurovision Song Contests (ESC) am Sonntagabend auswählten - irgendwo in Front des Museums für Kunst, Architektur und Technologie, weit draußen im Westen der Stadt, rund eine halbe Autostunde vom Zentrum und jedweder nicht geladener Öffentlichkeit entfernt. Was haben sie sich nur dabei gedacht?

Will es in Lissabon noch einmal wissen: Alexander Rybak.

Will es in Lissabon noch einmal wissen: Alexander Rybak.

(Foto: REUTERS)

Es könnte an den notorischen Sicherheitsbedenken gelegen haben, die gegen die Veranstaltung inmitten der City sprachen. Aber vielleicht gibt uns die Antwort auch ein deutscher TV-Kollege: "Wenn ich mit meiner Kamera in diese Richtung filme, sieht es traumhaft aus", erklärt er sinngemäß, als er uns über den Ort des Geschehens nörgeln hört. Gute Fernsehbilder sind schließlich alles. Wenn wir jedoch an seiner Kamera vorbeischauen, sehen wir Industrieanlagen. Und jede Menge Schiffchen - Tanker, Ausflugsboote und ein mächtiges Segelschiff. Ja, klar, Wasser gibt es hier. Und in der Ferne den Blick auf eines der Wahrzeichen der portugiesischen Hauptstadt, die Cristo Rei genannte Jesus-Statue in Übergröße. Aber die idyllische Kulisse des Flusses Tejo, der sich kilometerlang an Lissabon vorbeischlängelt, hätte man zweifelsohne auch an einem etwas zentraleren Ort in der Stadt gebührend einfangen können.

Mister "Fairytale" und die Russin

Sei's drum. Blau ist schließlich auch der Teppich, auf dem die Teilnehmer aus den 43 ESC-Ländern in diesem Jahr ihren rund eine Woche währenden Moment des Ruhms feiern, ehe sie beinahe alle so sicher wie das Amen in der Kirche wieder in Vergessenheit geraten werden. Mal abgesehen von den Ausnahmen, die die Regel bestimmen. Alexander Rybak aus Norwegen zum Beispiel. Der Mister "Fairytale", der 2009 den ESC gewann und im Jahr darauf in Oslo so um unsere Lena herumscharwenzelte, als wolle er ihr gleich einen Heiratsantrag machen, will es jetzt noch einmal wissen. Er geht erneut ins Rennen und gehört sicher zu den begehrtesten "Stars" auf dem roten, pardon, dem blauen Teppich.

Oder die im Rollstuhl sitzende Russin Julija Samoilowa. Ihre etwas längere Halbwertszeit an Bekanntheit speist sich allerdings in erster Linie aus einem Eklat. Die Ukraine verweigerte ihr im vergangenen Jahr den Auftritt beim ESC in Kiew, was zum russischen Boykott der Veranstaltung führte. Nun darf sie dafür in Lissabon ran.

Deutsches Understatement

Man in Black: Michael Schulte bei der Probe in Lissabon.

Man in Black: Michael Schulte bei der Probe in Lissabon.

(Foto: REUTERS)

Und Deutschlands ESC-Hoffnungsträger Michael Schulte? Der versprüht zwischen all den hohen Hacken, den bärtigen Berserkern aus Dänemark oder dem Ranzen auf dem Rücken tragenden Lausbub aus Tschechien das für deutsche ESC-Teilnehmer fast schon typische optische Understatement - hießen sie nun Max Mutzke, Roman Lob oder zuletzt auch Levina. Ganz in schlichtem Schwarz ist er gekleidet, nur seine feuerroten Haare sieht man schon von Weitem. Und ist er bei all den Fans und Journalisten, die sich um ein paar Worte von oder ein Selfie mit ihm balgen, tatsächlich schon so beliebt? Oder nimmt er sich bei seinem Gang an all den Kameras und Handys vorbei einfach nur so viel Zeit? Jedenfalls scheint er auch nach über einer Stunde noch kaum einen Meter vorangekommen zu sein, während ihn so manche erst nach ihm auf den Teppich gekommenen ESC-Kandidaten längst überholt haben.

Schon am Sonntagmorgen geriert sich Schulte geradezu staatsmännisch. Nicht unbedingt bei seiner mittlerweile zweiten Probe, die er in der Altice Arena mit seinem Song "You Let Me Walk Alone" absolviert. Auch hier ganz in Schwarz gehüllt, steht er da zunächst mutterseelenallein und ein wenig verloren auf der Bühne, ehe er visuelle Unterstützung von der Videowand in seinem Rücken bekommt. Der 28-Jährige wirkt dabei im ersten Moment weniger selbstsicher als im Vorjahr Levina, die bis zu ihrem bitteren vorletzten Platz am Ende in Kiew vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Als er dann jedoch zu singen beginnt, schmettert der Buxtehudener seinen Schmachtfetzen so ins weite Rund, dass man schon fast von einer diesmal vielleicht wenigstens einstelligen Platzierung träumen möchte. Okay, nur fast.

Um den Finger gewickelt

Seine Qualitäten als deutscher ESC-Botschafter stellt Schulte dann jedoch vor allem in der darauffolgenden Pressekonferenz unter Beweis. Nicht nur, weil er die Fragen in lupenreinem Englisch pariert. Nicht nur, weil er die Beobachter mit einer a cappella vorgetragenen Version des portugiesischen Siegertitels "Amar Pelos Dois" von Salvador Sobral aus dem vergangenen Jahr um die Finger wickelt. Und nicht nur mit Aussagen der Marke, er wolle vor allem authentisch sein und fände es toll, wenn Menschen ihre Liebe und Männer ihre Gefühle zeigten. Auch seine lobenden Worte für die Schönheiten Lissabons, für den Fleiß der vielen ESC-Helfer und das Talent der Konkurrenz würden ihn regelrecht zum Kanzler prädestinieren. Oder zumindest zum Außenminister.

Schultes Song ist bekanntlich seinem toten Vater gewidmet. Doch die Erinnerungen an ihn bleiben. So wie auch David Bowies Hymne "Heroes" für die Helden an einem Tag unvergänglich ist. In Lissabon wird sie - jedenfalls zwischen den Zeilen - gerade gesungen.

Quelle: ntv.de

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