
Spielen Kaiserin Sisi und Kaiser Franz: Dominique Devenport und Jannik Schümann.
Die Geschichte der jungen Kaiserin Sisi ist ein Klassiker. RTL+ erzählt sie nun aus einer völlig neuen Perspektive. Aus der märchenhaften Liebesgeschichte zwischen Elisabeth und Franz wird ein Coming-of-Age-Drama, das vor allem die düsteren Momente aus Österreichs Kaiserzeit aufgreift.
Ein Mädchen entdeckt ihren Körper, ihre Sexualität und rebelliert gegen alles, was ihre Eltern für das Beste halten. Was klingt wie eine Szene, die sich in diesem Moment hundertfach in Jugendzimmern in Berlin, Pforzheim oder einem anderen Fleck der Welt abspielt, verfrachtet RTL+ in die Wiener Kaiserresidenz des 19. Jahrhunderts. Auch die junge Frau ist kein gewöhnlicher Teenager, sondern die berühmteste Kaiserin Österreichs. "Sisi" erzählt als sechsteilige Serie aus einer völlig neuen Perspektive, wie Herzogin Elisabeth in Bayern erst zur Gattin von Kaiser Franz Joseph I. und dann zur Legende wurde.
Das mag nun klingen wie ein Déjà-vu einer Pressemitteilung aus den 1950er-Jahren. So gehört die "Sissi"-Trilogie für viele seit Jahrzehnten zum Weihnachtsritual. Ernst Marischka hat bereits verfilmt, wie die junge Herzogin sich Hals über Kopf in den mächtigen Franz verliebt, der zunächst für ihre große Schwester bestimmt war.
Zu aller Überraschung übergibt Franz Joseph I. von Österreich allerdings nicht Herzogin Helene in Bayern, sondern der jüngeren Elisabeth den Brautstrauß. Auf das unbekümmerte, bayerische Mädchen, das von allen Sisi genannt wird, kommen nun die Herausforderungen einer Kaiserin zu. Auch für die neu erzählte Serie bildet das den Grundstein.
Intime Szenen gleich zu Beginn
Muss sich "Sisi" also an der Kult-Version rund um Romy Schneider und Karlheinz Böhm messen lassen? Nicht wirklich, denn die Geschichte ist zwar keineswegs neu, die Erzählung aber schon. So stellen die Produzenten Andreas Gutzeit und Jens Freels weniger die märchenhafte Liebesgeschichte des Kaiserpaares als vielmehr dessen Zerrissenheit zwischen Liebe, Lust, politischer Überzeugung und Verantwortung in den Fokus. Schon die erste Szene der Serie, in der sich Elisabeth - zu der Zeit noch Herzogin - in ihrem Jugendzimmer selbst befriedigt, macht das deutlich. Die Abkopplung vom Heimatfilm ist damit durchaus radikal, aber gelungen.
Regisseur Sven Bohse ("Ku'damm '56/'59") hat Sisis Geschichte den Kitsch abgestreift und vor allem die fiktionalen Elemente mit Spannung versehen. Als die Herzogin wegen eines Streits mit ihrer Familie vom Hof des Kaisers flüchtet, wird sie von ungarischen Rebellen überfallen. Es kommt zum Kampf um Leben und Tod - in letzter Sekunde kann Kaiser Franz sie retten. Um die aufmüpfige Herzogin, die dem Kaiser eben noch den Knicks verwehrte, ist es damit geschehen.
Auch für die Identifikation mit der zweiten Titelfigur, Kaiser Franz, ist die Heldentat hilfreich. Denn dieser mimt gerade zu Anfang den düsteren Kaiser. Lächelnd gibt er den Befehl zur Hinrichtung eines Mannes, feiert wilde Orgien und ist Stammgast in einem Wiener Bordell. Für Schauspieler Jannik Schümann war der Spagat zwischen emotionslos und düster auf der einen und liebenswert und unschuldig auf der anderen Seite die größte Herausforderung seiner Rolle als Franz. Die Gratwanderung ist dem 29-Jährigen gelungen - der dauernde Wechsel zwischen fehlender Sympathie und Verständnis für die Herausforderungen eines jungen Kaisers macht für die Zuschauer einen besonderen Reiz aus.
"Ein Mensch mit Abgründen wie jeder andere"
Sisi hingegen überzeugt auf Anhieb als Titelheldin: Eine etwas naive, aber mutige junge Frau, die für ihre eigenen Interessen einsteht - wenn es sein muss, auch gegen die Etikette und ihre Eltern. Außerdem ist die junge Frau ihrer Zeit voraus und lädt ihren Gatten in spe kurzerhand auf eine Kutschfahrt ein. Die Eigeninitiative lässt dem Hof zwar den Atem stocken, zahlt sich aber aus. Newcomerin Dominique Devenport verkörpert die Rolle der jungen Kaiserin auf selbstbewusste und amüsante Weise. Dass sie sich dabei nach eigenen Angaben nicht an Romy Schneider orientierte, fällt nicht nur direkt auf, sondern hat auch einen ganz bestimmten Grund: Die 25-Jährige will keine Sisi, die vom Rollenbild der 50er-Jahre geprägt ist, darstellen, sondern "eine junge Frau mit großen Träumen und starken Gefühlen, für ihre eigenen Werte kämpfend". Die Serie setzt es sich zum Ziel, die Geschichte der tatsächlichen Kaiserin zu erzählen.
Aber was für eine Person war die tatsächliche Sisi? In einer Umfrage denken über die Hälfte der Befragten vor allem an ihre Schönheit. Die Film-Klassiker zeigen sie vor allem als gute Hausfrau und Mutter. Ganz bestimmt war sie eine herausragende Reiterin und auch tatsächlich eine Frau, die sich für ihre Zeit ungewöhnlich stark emanzipiert hat. Auch "Sisi" zeigt diese Seiten der Kaiserin, jedoch eben nicht ausschließlich: "Sie hat auch negative Seiten, sie macht auch mal Fehler, schreit oder wird wütend", sagt Devenport über ihre Rolle. "In Wahrheit wird diese Kaiserin ein Mensch wie jeder andere gewesen sein. Und jeder Mensch hat Abgründe."
Die Serie beleuchtet die Schwierigkeiten einer Kaiserin, aber vor allem das Erwachsenwerden eines Mädchens mit allen Schwierigkeiten und Erfahrungen - inklusive des ersten Mals. So macht sich Sisi vor der Ehe weitaus mehr Gedanken um ihre Hochzeitsnacht als um ihre höfischen Verpflichtungen. Heimlich folgt sie ihrem Verlobten ins Bordell, allerdings nicht, um ihm eine Szene zu machen, sondern um sich professionellen Rat zu holen.
Vater fürchtet goldenen Käfig
Bohse schafft es auf diesem Wege, "Sisi" in mehreren Genres zu erzählen. Fast szenenweise wechseln sich Coming-of-Age, Drama, Abenteuer und Liebesfilm ab. Die Geschichte der Kaiserin wird so für ein breiteres Publikum interessant. Trotz der modernen Erzählung kommen auch Fans historischer Kulissen auf ihre Kosten: Die Drehorte in Deutschland, Österreich, Lettland, Litauen und Ungarn sowie die originalgetreuen Kostüme vermitteln die Serie über ein ebenso kaiserliches Flair wie die ursprüngliche "Sissi"-Trilogie.
Spannend sind auch die unterschiedlichen Figuren, die Österreichs Kaisertum aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen. Da gibt es - weniger überraschend - Herzogin Ludovica in Bayern, Sisis Mutter, die ihre Töchter pausenlos lehrt, wie wichtig "Würde und Anmut in jedem Schritt und jeder Geste" sind. Helene nimmt diesen Rat viel mehr an als ihre kleine Schwester Sisi und hätte damit (der damaligen Gesellschaft nach zu urteilen) tatsächlich besser in die Rolle der Kaiserin gepasst.
Neben Sisi die wohl kontroverseste und auch modernste Figur ist ihr Vater, Herzog Max in Bayern. Er verkörpert den Gegenpart seiner Gattin, kritisiert die harte Herrschaft des Kaisers Franz und fürchtet vor allem, dass seine Lieblingstochter nach der Ehe in einem goldenen Käfig gefangen ist. Mit ironischen Bemerkungen wie "Sag meiner Frau, ich war dagegen, wenn sie sich den Hals bricht", als Sisi auf dem Rücken eines Pferdes balanciert, spendet er der Serie zudem die benötigte Prise Humor.
Nicht alles Gold, was glänzt
Die Liebesgeschichte des Kaiserpaares aus dem 19. Jahrhundert wird somit auch durch ein Stück Gesellschaftskritik ergänzt. Die Gedanken eines Teenagers auf dem Weg zur Frau sind ebenso Thema wie die Probleme einer Familie, die viel zerrütteter ist, als es nach außen scheint, und die Herrschaft eines jungen Kaisers.
Regisseur Sven Bohse vermittelt in rund 300 Minuten eine Botschaft, die zwar im 19. Jahrhundert spielt, aber in Zeiten von Social Media wichtiger denn je ist: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Mit dieser neuen Perspektive schafft es "Sisi", aus dem Schatten der Romy-Schneider-Klassiker zu treten und das Leben von Kaiserin Elisabeth auf eine moderne und für heute relevante Art und Weise zu erzählen.
"Sisi" ist ab dem 12. Dezember auf RTL+ abrufbar. Die sechs Episoden werden zudem am 28., 29. und 30. Dezember jeweils in Doppelfolgen um 20.15 Uhr bei RTL zu sehen sein.
Quelle: ntv.de