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Léa Linster: "Ich bin froh mit dir" Lust auf das Sinnliche im Leben

Léa Linster erzählt, warum das Leben ein Genuss ist.

Léa Linster erzählt, warum das Leben ein Genuss ist.

(Foto: Kiepenheuer & Witsch)

Léa Linster ist Sterneköchin, alleinerziehende Mutter und liebt über einen Ozean hinweg. In ihrem Buch "Mein Weg zu den Sternen" schreibt sie freimütig über ihren harten Job, über Erfolg und Niederlage; erzählt, was Emanzipation mit ihrem Busen und Boris Jelzin mit ihrer Taille zu tun haben.

Léa Linster, die Sterneköchin aus Luxemburg, die Frau mit der blonden Mähne und dem ansteckenden Lachen, wird am 27. April 60 Jahre alt. Ein Ereignis, an dem die meisten Menschen Bilanz ziehen; Léa Linster lässt uns daran teilhaben, denn sie hat ein Buch geschrieben (mit Kerstin Holzer): "Mein Weg zu den Sternen". Es ist mehr ein Gespräch mit einer guten Freundin: Auf dem Tisch die leergefutterten Teller, der letzte Wein im Glas, man sitzt mit Léa auf der Terrasse und sie erzählt - mit klaren, einfachen Worten, keine verschnörkelten Sätze, tiefsinnig und einprägend, traurig oder lustig; aber immer sprühend vor Lebensfreude. Und sie lässt nichts aus.

Geboren im kleinen Luxemburg und aufgewachsen im noch kleineren Frisange (Friesingen), ist Léa Linster bodenständig geblieben. In Friesange, wo sie Haus, Bistro, Kegelbahn und Tankstelle erbte und schon als Vierjährige nichts anderes als Köchin werden wollte, hat sie ihres Vaters Traum verwirklicht und bewirtet dort Gäste in ihrem Sterne-Restaurant "Léa Linster". Inzwischen führt sie noch zwei weitere Häuser: den Pavillon "Madeleine" in Kayl und "Léa Linster Delicatessen" im Herzen von Luxemburg-Stadt. Auf dem Weg dahin ist vieles passiert. In all den Jahren hat sich Léa Linster Kratzer und Beulen geholt, aber aufgegeben hat sie nie.

2011 in Köln: Léa Linster und Alfred Biolek sind seit vielen Jahren eng befreundet.

2011 in Köln: Léa Linster und Alfred Biolek sind seit vielen Jahren eng befreundet.

(Foto: imago stock&people)

Im Café Linster ihres geliebten Vaters spielte sich das ganze Dorfleben ab, schreibt Linster, "es herrschte immer reger Betrieb… Ich hatte nie die Vorstellung: Das hier ist die Familie und das der Rest der Welt. Ich dachte: Der Rest der Welt ist auch Familie, wenn er zu uns nach Hause kommt." Und weil in jedem Restaurant die Plätze beschränkt sind, möchte sie mit diesem Buch "die Tafel einfach mal ein bisschen vergrößern" und die Leser dazuholen an ihren Tisch. Und selbstverständlich gibt es in einem Buch über ein Köchinnen-Leben auch Rezepte. Frau Linster lüftet das Geheimnis ihres perfekten Lammbratens, mit dem sie 1989 den "Bocuse d’Or" gewann, verrät, wie ihre berühmten Madeleines die typische Beule bekommen oder was sie mit ihrer großen Liebe Sam frühstückt.

"Wer gut kocht, dem wird alles verziehen"

Die Freude am Kochen hat Léa Linster von ihrem weltoffenen Vater Emile geerbt, der die Träume in ihr weckte. Ihrer Mutter Marie-Antoinette, die "den Laden am Laufen hielt", verdankt sie die Kraft, diese Träume zu verwirklichen. Das Verhältnis zur Mutter war nicht gerade konfliktfrei oder gar zärtlich. Unter ihrer Strenge und der lockeren Hand hat sie sehr gelitten, ihre Schinkenbrote und das Ossobucco dagegen sehr geliebt. Ihre Motzigkeit, mit der sie die Mutter nervte, legte sie mit elf Jahren ab: "Irgendwie fand ich wohl heraus, dass man weiterkommt, wenn man freundlich ist."

Auch ihr ansteckendes Lachen rettete sie, vor allem, wenn sie ständig irgendwo zu spät kam, weil sie am Duft aus der Bäckerei nicht vorbeikam. "Ich lachte nicht viel als Kind, aber wenn, dann waren alle hin und weg. Dieses Lachen gebrauchte ich zur Verführung …" Überhaupt: Verführung! "Um Verführung geht es doch, beim Essen wie im Leben", findet Léa Linster. Es macht sie zufrieden, wenn sie mit ihrer Kochkunst Genuss und Freude bereitet. "Verwöhnen macht die Menschen glücklich, ob sie es nun selbst tun oder ob sie es erfahren." Deshalb liebt sie den verführerischen Geschmack ihrer Speisen, das ansprechende Ambiente, in dem sie serviert werden, die kleinen Überraschungen, die neugierig machen und den Gast in freudige Erwartung versetzen. Es ist wichtig, neugierig zu bleiben: "Mit einer müden Einstellung kann man kein lustiges Leben führen."

Léa Linster ist die erste Sterneköchin, die eine Autobiografie geschrieben hat.

Léa Linster ist die erste Sterneköchin, die eine Autobiografie geschrieben hat.

(Foto: Kiepenheuer & Witsch)

Dass man es als Frau schwerer hat als männliche Kollegen, vor allem in sogenannten Männerdomänen (die ja die Sterneküche trotz einiger geehrter Köchinnen bis heute ist), ist wahrlich kein Geheimnis. Blond, jung, weiblich - Léa Linster war 25, als sie nach dem Tode des Vaters das Geschäft übernahm. Doch die kleine Tochter vom alten Linster hatte auch einen enormen Willen, steckte voller Visionen und legte sich ein dickes Fell zu gegen Missgunst, Ablehnung und Überheblichkeit. Für besonders emanzipiert hielt sie sich dennoch nicht, seitdem ihr Vater ihr erklärt hatte, warum sie über Emanzipation nicht nachzudenken braucht: "Du bist ja ein Mädchen, das weiß, was es will." Dieses Mädchen, dem der Vater mit Liebe und Vertrauen einen professionellen Blick auf die Dinge beigebracht hatte, war es gewohnt, in einem Männerberuf alleine bestehen zu müssen. Macht das nicht hart, männlich, unweiblich? "Der Trick besteht gerade darin, feminin zu bleiben, auch wenn man Großes vorhat", schreibt die überaus weibliche Léa Linster. Die Modelmaße 90-60-90 kamen in ihrer Familie nicht vor. "Mit einem solchen Busen, dachte ich mir, wirst du nie zum Mannweib. Ausgeschlossen."

"Karten auf den Tisch"

In Léa Linster steckt viel Frau: Sie ist modeinteressiert und hat die passende Antwort auf patzige Verkäuferinnen-Bemerkungen über üppige Frauen, hat einen Handtaschentick, kennt sich mit Lustkäufen aus, zelebriert Extravaganzen und ist so herrlich unvernünftig! Und hadert typischerweise auch mit ihrer Figur (obwohl sie zu ihrem Körper steht). Frustessen! Aus allen Nähten platzen, mittels Diäten abnehmen (oder auch nicht), Jo-Jo-Effekt und alles wieder auf Anfang. "Mit Diäten kenne ich mich fast so gut aus wie mit 7-Gänge-Menüs." Es ist erheiternd zu lesen, was die Köchin über Figurschummler aus Gummi schreibt, über Hummerdiät statt Hungerdiät, Lust auf Sinnlichkeit, über Lebenslust und keinen Bock auf eingeschläferte Hühner.

In dem amüsanten Kapitel "Genussdiät à la Léa" geht es mitunter auch prominent zu: Léa Linster erzählt über das nervtötende Trara, das die Entourage von Prinzessin Diana vor einem offiziellen Essen machte. Di, sehr elegant, aber auch sehr dünn, hat damals jedenfalls den ganzen Steinbutt aufgegessen. Oder wie Boris Jelzin, 1986 immerhin schon Moskauer Parteichef, die Köchin in seiner Begeisterung über ihr Essen mühelos in der Luft herumschwenkte. Noch nie habe sie sich so grazil gefühlt!

"Denn ich will mal die Karten auf den Tisch legen: Auch für eine selbstbewusste Person wie mich ist mein Gewicht manchmal ein Thema, und nicht mein allerliebstes." Und natürlich war Jelzin nicht nur zufrieden, sondern am Ende des Abends war die ganze russische Truppe schlicht und einfach betrunken; "strack", wie das in Luxemburg heißt.

"Königin des Geschmacks"

Was in vielen Familienbetrieben passiert, geschah auch in Frisange: Der Vater wurde krank und eines der Kinder musste weitermachen. Die Geschwister Maryse, Jean und Marianne winkten ab; das Faible für den Herd hatte ohnehin nur Léa geerbt. Das war ein Jahr vor dem Tod des Vaters im Januar 1981, als sie das ungeliebte Jurastudium - "trocken wie Milchpulver" - an den Nagel hängte und sich vollberuflich, aber ohne Berufsabschluss in die Küche stellte. Vier Monate später war sie dann schon Köchin mit Diplom und präsentierte im Dezember 1981 etwas völlig neues: ihr "Léa Linster Cuisinière". Schon 1987 wurde das Restaurant vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeichnet. Den Stern hat sie seither ununterbrochen gehalten und sich geärgert, dass es bei dem einen geblieben ist. Beim "Gault-Millau" besitzt sie 17 von 20 möglichen Punkten.

Der "Bocuse d'Or" ("Goldbocuse") ist ein internationaler Kochwettbewerb, der seit 1987 alle zwei Jahre in Lyon ausgetragen wird.

Der "Bocuse d'Or" ("Goldbocuse") ist ein internationaler Kochwettbewerb, der seit 1987 alle zwei Jahre in Lyon ausgetragen wird.

(Foto: Thesurvived99 cc-by-sa 3.0)

Zwei Jahre später gewann Linster den "Bocuse d’Or". Allein der Weg nach Lyon war schon aufregend genug für jemanden, der sein "sympathisches Kuhdorf" noch nicht oft verlassen hatte. Natürlich passierte auch noch eine Katastrophe; die 33 Jahre junge Außenseiterin gewann dennoch - mit einem Matschauge! Linster wurde zur "Königin des Geschmacks". Bis heute ist sie die einzige Frau der Welt, die den "Oscar der Köche" errang - mit dem schon erwähnten Lammrücken, aus dem mit wenigen Zutaten ein köstliches Gericht wurde, das sie heute noch in Frisange serviert.

So ist Léa Linster Küche: klassisch, aber nie langweilig, mit einfachen Zutaten, aber den besten, von der luxemburgischen Landesküche inspiriert, aber nicht altbacken. Sie kocht die Gerichte, für die sie berühmt ist. Dafür braucht sie keinen wallenden Stickstoffnebel oder Schischi und Heititei. Doch gerne lässt sie sich auf Reisen von fremden Küchen inspirieren, geht auch schon mal zu Silvester in Brasilien selbst an den Herd der Hotelküche, weil der Koch nichts taugt; sie liebt Improvisationen und Abwechslung, neue Eindrücke und Empfindungen. Léa Linster schwärmt New York, dort möchte sie sich einmal heimisch fühlen. "Ich möchte sagen können: Das ist auch meine Stadt." Natürlich mit Sam …

Neun Monate nach einer Karibik-Kreuzfahrt mit ihrem Lebensgefährten, ihrem Sommelier Francis, kam Sohn Louis auf die Welt. Da war sie 35 Jahre alt, und als Louis sieben Jahre alt war, wurde Léa zur alleinerziehenden Mutter. Linster lässt auch da nichts aus und erzählt, warum die Beziehung in die Brüche ging und wie schwer es war, niemals den Satz zum kleinen Louis zu sagen, den sie selbst als Kind zu oft von ihrer Mutter gehört hatte: "Ich habe jetzt keine Zeit für dich". Denn ihr harter Job fraß ihre Kraft auf. Heute kann sie einen Teil der Verantwortung an Louis abgeben, der irgendwann einmal das Restaurant in Friesange ganz übernehmen wird; darf wieder ein bisschen freier sein: "Was für ein Glück! Der Sohn wird seriös, und seine Mutter darf wieder spielen."

"Waiting for Sam"

Was wäre das Leben ohne die Liebe? Nur ein Dasein - das gilt auch für Léa Linster. Ihrer großen Liebe Sam, einem Amerikaner, begegnete Léa mit 21 Jahren, ungeschminkt und mit Kochschürze. Das war 1976 in Frisange und die Anbahnung der Bekanntschaft begann mit seiner Frage: "Wem gehören die Kühe auf der Weide?"

Linster beschreibt sich selbst als "Spätpubertierende", der Romanzen unheimlich waren und die sich vor den eigenen Gefühlen fürchtete, denn das bedeutete Kontrollverlust. Dieser Sam aber, Macho mit viel, viel Seele, zog sie magisch an. Außerdem hatte er ihre Seezunge gegessen … Zwischen San Diego und Frisange lagen Welten, zwischen ihrem Wiedersehen 22 Jahre. 2001, in der größten  Krise ihres Lebens, gab Sam Léa ihr Selbstvertrauen zurück.

Inzwischen haben sich beide schon seit 14 Jahren wieder, leben immer noch auf zwei Kontinenten, telefonieren jeden Tag, treffen sich mehrmals im Jahr und zum Frühstück gibt’s "Verliebte Frühstückseier à la Sam": "Manchmal überlege ich, ob ich meine Abneigung gegen die Ehe nicht doch überdenken sollte." Eine filmreife Liebe!

"Scheitern ist kein Problem"

Doch nicht alles im Leben der Léa Linster war von Erfolg und Glück gekrönt. 1997 ließ sie sich "verführen", nicht zu einer köstlichen Suppe, sondern zur Eröffnung eines Restaurants mit feiner Adresse in Luxemburg-Stadt. Die Sache endete im kläglichsten Debakel ihres Lebens; Ablehnung schlug ihr entgegen, Gerüchte waren im Umlauf. Sie hatte zum ersten Mal Feinde und einen Geschäftspartner, und mit dem leider auch noch eine Affäre. Mit dem "bad boy" saß sie in der Falle, Linster kassierte Schläge, auch buchstäblich, und musste sich schließlich freikaufen, ebenfalls buchstäblich. 2001 meldete sie mit dem schicken Bahnhofslokal Insolvenz an. Aber dann kam ja Sam...

Passt doch gut: Léa Linster im Februar 2009 in Berlin.

Passt doch gut: Léa Linster im Februar 2009 in Berlin.

(Foto: imago stock&people)

Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade daraus - Glück ist eben auch eine Frage der Haltung. Linster kennt auch das: Probleme, Ärgernisse, Durchhänger, Diebstähle. Während ihrer Pleite mit dem "bad boy" hat sie zwei Jahre lang nicht gelacht, ihren Grundsatz jedoch, ein optimistischer Mensch zu sein, glücklicherweise nicht aufgegeben. Fantasie und das Pläneschmieden hat sie beibehalten, und findet es inzwischen nicht mehr so schlimm, wenn etwas nicht klappt. Und so hat sie auch große Lust, ein schönes Bistro in Berlin zu eröffnen. (Hoffentlich!) Denn Berlin und Linster passen gut zusammen. Einen guten Draht zu Deutschland hat sie schließlich schon lange. Mitten in der "bad boy"-Misere bot ihr das Frauenmagazin "Brigitte" eine Kolumne an, im "Tatort" spielte sie eine Wirtin, eine eigene Fernsehsendung folgte, dann Einladungen zu diversen Kochsendungen; Kochbücher erschienen: Linster war wieder jemand. 

"Mein Weg zu den Sternen" ist eine Reise durch Léa Linsters aufregendes, ungewöhnliches und inspirierendes Leben, sinnlich und mit viel Humor erzählt. Frauen werden es lieben; Männer dürfen es dennoch lesen! Linsters Lebensbekenntnisse machen Mut, etwas zu wagen. Für junge Köchinnen und solche, die es werden wollen, sollte das Buch unterhaltsame Pflichtlektüre werden. Es ist so geschrieben, wie sie kocht: mit viel Liebe. "In Luxemburg tun die Menschen sich schwer mit großen Gefühlsausbrüchen", schreibt Léa Linster. "Ein 'Ich liebe dich' kommt hier keinem über die Lippen. Das würde als sehr übertrieben gelten, wir haben nicht mal die Worte dafür. Die größte Liebesbezeugung bei uns lautet: 'Ech si frou mat dir'. Ich bin froh mit dir."

Das Buch, Autobiografie, Kochbuch und Liebesroman in einem, ist im März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Es hat 240 Seiten, mehrere sehr persönliche Fotos und Rezepte und kostet 18,99 Euro.

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Quelle: ntv.de

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