Fitzek und Prosopagnosie"Reale Ereignisse inspirieren mich"
Thomas Badtke
Wer auf Psychothriller steht, kommt um Sebastian Fitzek nicht herum. Jedes Jahr im Herbst führt er die Bestsellerlisten mit einem neuen Werk an. Diesmal lädt er die Leser in eine entlegene Berghütte ein. Aber das ist noch nicht alles, wie er ntv.de im Interview verrät.
Wer auf Psychothriller steht, kommt um Sebastian Fitzek nicht herum. Jedes Jahr im Herbst führt er die Bestsellerlisten mit einem neuen Werk an. Diesmal lädt er die Leser in eine entlegene Berghütte ein. Aber das ist noch nicht alles, wie er ntv.de im Interview verrät.
ntv.de: Herr Fitzek, es wird wieder dunkler draußen, ungemütlicher - die perfekte Zeit für einen schaurigen Psychothriller?
Sebastian Fitzek: Auf jeden Fall, zumal wenn er wie "Die Einladung" in einem abgeschiedenen Alpenchalet spielt. Ich selbst habe früher immer am liebsten gelesen, wenn es draußen gestürmt oder geschneit hat und der an die Scheiben prasselnde Regen mir den perfekten Soundtrack zum wohligen Grusel lieferte. Wenn ich es mir recht überlege, dann ist das auch heute noch mein liebstes Lesewetter.
Sie haben ein neues Buch am Start: "Die Einladung". Was verbirgt sich hinter dem Titel?
Marla Lindberg hat Jahre der Psychotherapie gebraucht, um zu verstehen: Sie wurde nie Opfer eines Angreifers, der Täter, der ihr im Dunkeln auflauerte, existierte nur in ihrer Vorstellungswelt - und auch den pfeifend röchelnden Husten des Killers hat sie sich nur eingebildet. Jetzt nimmt Marla an einem Klassentreffen in einer abgeschiedenen Berghütte teil. Doch als die dort ankommt, ist da niemand. Benutztes Geschirr steht auf dem Tisch, die Jacken und Schuhe, ohne die man bei der Eiseskälte die Hütte nicht verlassen würde, stehen in der Garderobe. Sie ist allein. Kein Lebenszeichen. Bis sie auf einmal hört, wie jemand pfeifend röchelnd hustet - draußen, in der eisigen Dunkelheit.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Marla. Sie leidet an Gesichtsblindheit. Was muss man sich darunter vorstellen?
Gesichtsblinde können Mitmenschen nicht an ihrem Gesicht unterscheiden oder wiedererkennen. Es handelt sich also, anders, als der umgangssprachliche Begriff nahelegt, nicht um eine Sehstörung, sondern eher um eine Gesichts-Amnesie. Unter Prosopagnosie, so der Fachterminus, leiden statistisch gesehen zwei Millionen Menschen in Deutschland. Wobei "leiden" eigentlich der falsche Ausdruck ist, denn sehr viele wissen gar nichts von dieser Beeinträchtigung. Sie haben nämlich, wie Marla in "Die Einladung", gelernt, Menschen an anderen Merkmalen zu unterscheiden, wie Gestik, Mimik, unveränderlichen Merkmalen, Frisur oder der Stimme.
Was bedeutet die Krankheit für Marla? Wie geht Sie damit um?
Marla kann sich keine Gesichter merken, dafür ist aber ihre restliche Beobachtungsgabe sehr viel geschärfter, als die ihrer Mitmenschen. Deswegen war sie lange Zeit eine der besten Videoanalysten des LKA. Ihr Job war im Grunde der schlimmste, den die Polizei zu bieten hat: Sie musste sich grausame Internetvideos anschauen von abscheulichen Taten, um in ihnen Hinweise auf die Täter zu finden. Da diese in der Regel vermummt oder gar nicht zu sehen sind, kommt es hier nicht auf Gesichter an, sondern auf die Analyse der Umgebung, in denen die Misshandlung, der Missbrauch oder noch Schlimmeres stattfand. Hier entgeht Marla nicht die geringste Kleinigkeit: ob die Tapete an der Wand, das Quietscheentchen auf dem Wannenrand, die Duschgelsorte, die vor Jahren aus dem Sortiment genommen wurde und nur noch bei einem Anbieter erhältlich ist. Dabei ist sie nicht nur eine akribische Analystin. Sie hat auch die Gabe, anhand derartiger Informationen Rückschlüsse auf das Täterprofil zu ziehen.
Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen, schon bei der Recherche zu Ihrem letztjährigen Bestseller "Mimik"?
Nein, das Thema beschäftigt mich schon seit Jahren, seitdem ich einen spannenden Wissenschaftsartikel darüber lesen durfte. Doch erst als ich eine Einladung zu einem Klassentreffen erhielt, dachte ich mir: "Was, wenn ich gesichtsblind wäre und mir nicht sicher sein könnte, ob ich mit den Menschen, die ich seit über einem Jahrzehnt nicht gesehen habe, damals wirklich zur Schule ging?
Der Stoff erinnert an klassische Escape-Games, verfeinert mit einem Schuss "Es kann nur einen geben". Dazu kommen jede Menge Twists, die den Leserinnen und Lesern den Atem rauben. Ist "Die Einladung" ein typischer Fitzek?
So wird es jedenfalls von den meisten Leserinnen und Lesern bislang gesagt. Wobei ich mir selbst nicht im Klaren bin, was ein "typischer Fitzek" überhaupt ist.
Das Ende des Buches hat ein paar Überraschungen parat, die auf die große Hollywood-Leinwand gehören. Gibt es schon Filmpläne?
Es sitzt tatsächlich bereits ein Team an der Entwicklung, aber das steckt noch so sehr in den Kinderschuhen, dass alles offen ist.
Mal ein Twist - oder ein Spoiler: Haben Sie Angst davor, dass Ihnen das passiert, was Marla in "Die Einladung" widerfahren ist?
(Lacht) … Tatsächlich werde ich immer von realen Ereignissen inspiriert und die bekomme ich auch nicht mehr aus meinem Kopf, sodass ich darüber schreiben muss. Wenn meine Lektorinnen sagen: "Fitzek, jetzt haste übertrieben!" bezieht sich das zu 99 Prozent auf Szenen, die sich (leider) wirklich so im realen Leben abgespielt haben. Daher ist es kein Spruch, wenn ich sage: Thrillerautoren müssen die Realität abmildern, damit sie uns in der Fiktion geglaubt wird!
"Die Einladung" ist wieder sofort auf Platz 1 in den Bestsellerlisten gelandet. Gibt es schon Ideen für ein neues Buch?
Ja, ich schreibe bereits an meinem nächsten Thriller und habe schon 100 Seiten fertig. Allerdings würde ich wirklich das Schicksal meiner Protagonisten teilen, wenn der Verlag mitbekommen würde, dass ich hier schon die Handlung ausplappere.
Mit Sebastian Fitzek sprach Thomas Badtke
