Schreiben, wo es wehtut Drei spanische Debüts - poetisch und ohne Tabus
23.11.2022, 13:03 Uhr (aktualisiert)
In den 1960er-Jahren bestimmen Herkunft und Geschlecht die Lebenswege spanischer Frauen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.
(Foto: imago images/ZUMA Wire)
2022 ist Spanien das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Alleine in diesem Jahr sind dem Veranstalter zufolge auf dem deutschen Markt etwa 150 Übersetzungen spanischer Romane erschienen. Darunter befinden sich auch drei Debüts jüngerer Autorinnen, die in Spanien für Aufsehen gesorgt haben - und das aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Eine Frage des Geldes
In "Die Wunder" erzählt Elena Medel vom Schicksal zweier Frauen, die in prekären Verhältnissen gefangen sind (Übersetzung: Susanne Lange). María muss Ende der 1960er-Jahre ihren südspanischen Heimatort und ihr neugeborenes Kind verlassen, weil sie es unehelich zur Welt gebracht hatte - für die Familie eine Schande. In Madrid arbeitet sie als Hausangestellte und Putzfrau. Alicia ist zuerst in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen, dann aber folgt auf eine Tragödie der soziale Abstieg. Zu Beginn des Milleniums flieht auch sie nach Madrid und jobbt in einem Bahnhofskiosk.
María und Alicia sind Großmutter und Enkelin, haben sich aber nie kennengelernt. Medel wechselt geschickt zwischen ihren Lebenswegen hin und her und zeigt plastisch, wie unterschiedlich die Frauen mit ihrer Situation umgehen. Während María liest, eine politische Haltung entwickelt und sich in einer Fraueninitiative engagiert, begegnet die emotional unterkühlte Alicia anderen Menschen mit Bosheit und Verachtung. Ihren Mann hat sie nicht aus Liebe geheiratet, sondern weil er ihr etwas Sicherheit bietet. María hingegen hat sich geweigert mit ihrem Partner zusammenzuziehen, um sich so wenigstens ein bisschen weibliche Selbstbestimmung zu bewahren.
Medel, Jahrgang 1985, schreibt in einem eleganten Stil und an vielen Stellen blitzt auf, dass sie ihre Karriere als Lyrikerin begonnen hat. Der teils poetische Ton will aber nicht über die bittere Lebensrealität der beiden Frauen hinwegtäuschen. Immer wieder lenkt Medel den Blick der Leserinnen und Leser auf deren finanzielle Notlage. Viele ihrer Entscheidungen sind abhängig vom Geld - oder besser: dem Mangel daran. Alles sei "eine Frage des Geldes", sagt María an einer Stelle, "und eine Frage der Macht." Sehr deutlich zeigt Medel auf, dass sich eines von der Franco-Zeit bis in die Gegenwart nicht geändert hat: Soziale Klasse und Geschlecht bestimmen allzu oft die Lebensumstände spanischer Frauen.
Eine Mädchenfreundschaft ohne Tabus
Ein echtes Ereignis ist Andrea Abreus Roman "So forsch, so furchtlos", übersetzt von Christiane Quandt. Der Titel des Buches ist Programm: Abreu schreibt ihre Geschichte zweiter Freundinnen auf Teneriffa frei von jeglichen sprachlichen und inhaltlichen Tabus. Das machen schon die ersten Zeilen deutlich: "Wie eine Katze. Isora kotzte wie eine Katze. Uckuckuck, und die Kotze platschte ins Klo, um vom unermesslichen Untergrund der Insel aufgenommen zu werden."
Isora und die namenlose Ich-Erzählerin, beide zehn Jahre alt, leben in einem ärmlichen, trostlosen Dorf unterhalb eines Inselvulkans, weit weg von den beliebten Touristenorten. Gerade sind Sommerferien, ihnen ist langweilig und sie sind traurig, weil sie statt des Strandes nur einen verdreckten Kanal haben. Und so stromern sie durch die Gärten, spielen mit Barbie-Puppen und kriegen von den Erwachsenen eingetrichtert, dass es am Wichtigsten ist, schlank zu sein.
Die beiden sind ein ungleiches Beste-Freundinnen-Duo. Isora, die sich ständig die Unterhose aus der Poritze pult und das Wort "Fitzelchen" liebt, ist draufgängerisch, hat vor nichts Angst. Die eher schüchterne Erzählerin bewundert sie dafür. Und merkt, dass sie irgendwie etwas für Isora empfindet, das sich anders anfühlt, als nur befreundet sein. Es ist der Sommer, in dem die Mädchen an der Schwelle zur Pubertät stehen, ihre Sexualität entdecken und in dem ihre Freundschaft am Ende zerbrechen wird. Die Art, wie die 27-jährige, selbst auf Teneriffa aufgewachsene Abreu über die beiden Mädchen und die qualvolle Zeit zwischen Kindsein und Pubertät erzählt, hat etwas Unbändiges, das fasziniert, berührt und den Leserinnen und Lesern manchmal verstörend nahe kommt.
Einsames Fremdsein
"Die Tochter des Kommunisten" ist demgegenüber ein eher zurückhaltendes Buch, das aber gerade dadurch eine Tiefgründigkeit entwickelt. Für ihr Erstlingswerk wählt die 1981 geborene Aroa Moreno Durán (Übersetzung: Marianne Gareis) ein Thema, das in ihrem Heimatland bisher kaum Beachtung gefunden hat: spanische Kommunistinnen und Kommunisten, die im Exil in der DDR lebten. Ihre Protagonistin Katia wächst Anfang der 1950er-Jahre zusammen mit ihrer jüngeren Schwester in Ostberlin auf. Der Vater ist vor dem Franco-Regime geflohen und tut alles, um sich in der DDR zu integrieren, die Mutter folgte ihrem Mann und fremdelt etwas mit ihrem neuen Umfeld.
Katia selbst ist in Berlin geboren und kennt kein anderes Leben als das in der DDR mit all seinen Entbehrungen. Über ihre Herkunft weiß sie nichts, die Fotos und vergilbten Schriftstücke in dem einzigen Koffer, den die Eltern aus Spanien mitgebracht haben, darf sie sich nicht ansehen. Als sie sich in den Westdeutschen Johannes verliebt, flieht sie ohne Abschied "aus einem reinen Bauchgefühl heraus" auf die andere Seite der Grenze. Sie heiratet Johannes, wird Mutter, aber nicht glücklich. So sehr sie auch versucht, ihr altes Leben zu verdrängen, nie kommt sie richtig im spießigen Backnang bei Stuttgart an, wo man sie "die Spanierin" nennt.
Als sich die DDR auflöst, ist auch ihre Ehe am Ende und Katia erfährt ein lange gehütetes Geheimnis über ihren Vater. Moreno Durán hat einen ergreifenden Roman darüber geschrieben, wie einsam und schmerzhaft das Leben als Emigrantin sein kann und was es heißt, sich fremd zu fühlen. In Spanien wurde "Die Tochter des Kommunisten" als bester Debütroman des Jahres ausgezeichnet.
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 16. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de