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Das "Monster" Erinnerung Wie schreibt man über den Holocaust?

Szene aus der US-TV-Serie "Holocaust". Fiktionale Geschichten überlagern oft historische Fakten.

Szene aus der US-TV-Serie "Holocaust". Fiktionale Geschichten überlagern oft historische Fakten.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mitten in der hitzigen Debatte um das Buch des Journalisten Takis Würger erscheinen zufällig perfekt dazu passende Romane. "Abels letzter Krieg" erklärt, wie es zu einem Buch wie "Stella" kommen kann. "Monster" geht brillant gegen die Wohlfühl-Erinnerungskultur an.

Schon lange hat kein Buch mehr das Feuilleton so aufgebracht wie "Stella" von Takis Würger. Klischeehaft, bar jeden Gefühls für Geschichte, lautet das harsche Urteil der Literaturkritik. Der Roman über Stella Goldschlag, eine Jüdin, die während des Zweiten Weltkriegs untergetauchte Juden der Gestapo auslieferte, verdrehe historische Ereignisse für eine banale Liebesgeschichte. Wie konnte das Würger, dem profilierten Journalisten und Autoren, wie konnte das einem Verlag wie Hanser passieren?

Eine Antwort darauf liefert vielleicht ein Buch eines anderen jungen Autoren: In "Abels letzter Krieg" von Daan Heerma van Voss fällt einem erfolglosen Autor und Historiker mittleren Alters das Tagebuch eines Auschwitz-Überlebenden in den Schoß. Es ist eine Gelegenheit zu Ruhm und zu heroischen Taten. Abel Kaplan, so der Name des Protagonisten, fängt an, das Tagebuch abzuschreiben, und wie von alleine fügt seine Hand Szenen hinzu. Irgendwann weiß er nicht mehr, wann er wörtlich abschreibt und wann er ausschmückt.

Am liebsten selber dabei gewesen

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Für "Stella" bedient sich Takis Würger der wahren Geschichte Stella Goldschlags und fügt noch eine Liebesgeschichte hinzu. In "Abels letzter Krieg" fügt die Romanfigur Kaplan dem zufällig gefundenen Tagebuch einen besonders grausamen SS-Offizier hinzu und identifiziert sich bald mit dem Auschwitzhäftling. Wünscht sich gar, alles selbst erlebt zu haben: "Ihm wäre es auch lieber gewesen, alles wäre original aus ihm heraus entstanden, aber die Geschichte hatte ihm nicht die Chance dazu gegeben."

Heerma van Voss beschreibt den Rausch des Schreibens, die Vorfreude auf den erwarteten Ruhm so bildhaft, das man meint, Takis Würger zu verstehen, seinen Antrieb zu erkennen. Auch ein abgeklärter Verleger, der weiß, wie man Bücher über den Holocaust verkauft, fehlt in "Abels letzter Krieg" nicht. Unabsichtlich hat der niederländische Autor damit einen hochaktuellen Beitrag zur deutschen Debatte über Holocaust-Literatur geliefert. Hätte Heerma van Voss das beim Schreiben vorhersehen können, vielleicht hätte er dann den Erzählstrang mit dem von seiner Figur versteckten Roma-Jungen, diesen Brückenschlag zur Flüchtlingsdebatte, ausgelassen.

Wie ringt man sich noch eine Träne ab?

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Gleichzeitig beschreibt "Abels letzter Krieg" zwar bildhaft, wie es zu solchen Büchern wie "Stella" kommen kann, hat aber auch keine Lösung dafür, wie man es künftig schaffen kann, Themen wie den Holocaust literarisch aufzuarbeiten, ohne Geschichtsfälschung zu betreiben und das historische Grauen in Kitsch aufzulösen.

Ein brillantes Beispiel dafür, wie das gehen kann, liefert Yishai Sarid mit seinem Buch "Monster". In dem schmalen, dichten Roman erzählt der israelische Autor von einem Tourguide, der Schüler, Soldaten und Touristen in Polen durch Auschwitz und andere ehemalige Vernichtungslager führt. Als junger, durch und durch intellektueller Doktorand gestartet, kann er sich über die Jahre immer weniger dem Grauen dieser Orte und der steigenden Wut auf die beobachteten sinnentleerten Rituale und mühsam abgerungenen Tränen entziehen -  bis seine Frustration sich in einem Gewaltausbruch entlädt.

Sarid nimmt den Leser dabei nicht nur detail- und kenntnisreich zu den Gedenkstätten mit, sondern auch mit einem feinen Gefühl für die Wirkung, die diese Menschen-Vernichtungsstätten auf die Psyche haben können. Wer auf den Böden von Majdanek und Auschwitz gestanden und festgestellt hat, dass all die Bücher, Filme und Dokumentationen ihn nicht auf das Grauen vorbereitet haben, das einen dort erfassen kann, den werden einige Beschreibungen bis ins Mark treffen. Wem beim Anblick von Selfies machenden Touristen eine stille Wut gepackt hat, der wird sich in dem Buch wiederfinden. Und wem das alles bisher nichts sagte, der wird sich vielleicht dennoch einen respektvollen Umgang mit diesen Orten überlegen. Das Thema Holocaust auch ohne Zeitzeugen künftigen Generationen zu vermitteln, wird schwer. Yishai Sarid hat aber gezeigt, dass es nicht unmöglich ist.

 

Quelle: ntv.de

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