Bücher

"Der amerikanische Investor" Zwischen Alltag und Abgrund

Ein amerikanischer Investor mit Privatjet, der das Haus unbarmherzig saniert, eine entfremdete Familie und nicht zuletzt eine lähmende Schreibblockade. Was passiert, wenn das Leben eines Schriftstellers völlig aus den Fugen gerät? Jan Peter Bremer beschreibt es witzig, erschreckend und zu Recht preisgekrönt.

Das ist es. Er würde diesem amerikanischen Investor einfach einen Brief schreiben. Und dann würde sich alles ändern. Ein Schriftsteller ringt während eines heißen Berliner Sommers mit seinem quälend leeren Notizbuch. Und weil ihm partout der eine Satz nicht mehr einfallen will, der ihn entscheidend vorwärts bringen würde, kontrolliert er wie besessen, ob sich der Zustand seiner Wohnung weiter verschlechtert hat. Denn das alte Mietshaus, in dem er mit seiner Familie lebt, wird gerade vom neuen amerikanischen Investor saniert und ächzt unter all diesen Veränderungen. In den Wänden finden sich täglich neue Risse und der Boden senkt sich an einigen Stellen bedrohlich ab. Oder ist es das Leben des Schriftstellers, das auseinander zu brechen droht?

Wo endet die Realität?

Wo endet die Realität?

Angesichts der Umbauten scheint sich weder der Hausputz noch irgendeine andere Tätigkeit noch zu lohnen. Dabei ist es doch gerade ein Neuanfang, den der Schriftsteller herbeisehnt. Seine Gedanken beginnen um den unbekannten amerikanischen Investor zu kreisen, diesen Milliardär, der seinerseits Schokolade essend in seinem Privatjet über ihnen kreist und vermutlich nicht mal ahnt, was seine Investitionen bei den Menschen in seinen neuen Mietshäusern auslöst. Ist es nicht seine Aufgabe als Schriftsteller diesem Amerikaner da oben klar zu machen, wie die Lage hier unten ist? Wenn er ihn nur mit seinen Brief erreichen könnte, würde bestimmt auch sein eigenes Leben wieder ins Gleichgewicht kommen. Er würde wieder so großzügig und gastfreundlich werden wie früher, ein kreativer Autor, ein gütiges Familienoberhaupt, zu dem Frau und Kinder aufblicken.

Doch auch beim Brief an den amerikanischen Investor findet der Schriftsteller den Anfang nicht und verheddert sich in seinen Ansprüchen, bevor er den Faden überhaupt richtig aufnimmt. Nach und nach wird immer deutlicher, dass sich der Schriftsteller nicht nur von seiner Arbeit entfremdet hat – seine Frau verliert die Geduld mit ihm, die Kinder nehmen ihn kaum mehr wahr, selbst der Hund scheint ihn nicht mehr zu lieben. Oder spielt sich das alles nur in seiner Fantasie ab?

Verloren in guten Vorsätzen

Es ist eine namenlose Welt, in die der Berliner Autor Jan Peter Bremer seine Leser mitnimmt. Der Schriftsteller, seine Frau, die Kinder, die fast 100 Jahre alte Frau aus dem Nachbarhaus, der pensionierte und der vorherige Hausmeister, sie alle existieren nur durch ihren Beruf oder ihre Beziehung zu dem Schriftsteller. Einzig in dem ebenfalls namenlosen amerikanischen Investor ist unschwer der deutsch-amerikanische Investor und Karstadt-Sanierer Nicolas Berggruen wiederzuerkennen, inklusive seines viel kolportierten Nomadenlebens mit Privatjet und der Schokoladensucht. Ansonsten überlässt es Bremer dem Leser, den Romanfiguren Gesicht und Namen zu geben, was es leicht macht, sich in sie hineinzuversetzen.

Einfach mal das Notizbuch beiseite legen, die Frau mit geputzten Fenstern und einer Kartoffelcremesuppe und die Kinder mit guter Laune überraschen, um sich dann wieder frisch ans Werk zu machen. Wer hat nicht schon innerlich viele Pläne geschmiedet und gute Vorsätze gefasst, nur um sie wieder und wieder fallen zu lassen und sich darüber maßlos zu ärgern? Mit feiner Situationskomik ermöglicht Jan Peter Bremer ein heimliches Wiedererkennen im alltäglichen Scheitern des Schriftstellers. Doch das Vergnügen weicht langsam einem gebannten Unbehagen, als klar wird, dass sich hier jemand vollkommen verliert. Welche Dialoge sind real, welche imaginär?

Der 1965 geborene Jan Peter Bremer wurde für einen Auszug aus "Der amerikanische Investor" mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Zu Recht. Denn das in diesem vollen Bücherherbst ein wenig untergegangene Buch verdient volle Aufmerksamkeit. Ob man als Hauptthema die Sorge vor dem Ausverkauf seiner liebgewonnenen Gegend, oder das permanente, quälende Kreisen der Gedanken um die eigene Person identifiziert, topaktuell sind sie angesichts der vieldiskutierten Schlagwörter Gentrifizierung und Burnout beide.

Das Buch hat Bremer "Meiner Straße" gewidmet. Die liegt in Kreuzberg und ist bekanntermaßen ein Objekt der Begierde, nicht nur für amerikanische Investoren. Bremer lebt dort mit Frau, Sohn, Tochter und Hund. Vermutlich ist es doch ebenso wenig notwendig, seiner jüngsten Romanfigur noch einen Namen zu geben, wie auf das große Vorbild Bremers hinzuweisen: Franz Kafka.

"Der amerikanische Investor" im n-tv Shop bestellen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen