Politik und Gewalt in ComicsEin Funke genügt - und das Ganze explodiert
Von Markus Lippold
Von Unruhen in Nordindien über Öko-Aktivisten in der Südsee bis zu unterdrückten Musikern in Griechenland: Drei Comics tarieren das Spannungsfeld von Politik und Gewalt aus. Helden gibt es hier nicht, nur Überlebende. Aber die können wenigstens ihre Geschichte erzählen.
Modi zündelt am Pulverfass Indien
August 2013. Im nordindischen Uttar Pradesh erstechen zwei Hindus einen Muslim. Er soll ein Mädchen belästigt haben. Daraufhin werden die beiden Täter von einer aufgebrachten muslimischen Menge getötet. Das löst Unruhen zwischen beiden Religionsgruppen aus, bei denen Dutzende Menschen sterben und Hunderte verletzt werden. 50.000 Menschen, vor allem Muslime, werden aus ihren Heimatorten vertrieben. Was hat die Unruhen ausgelöst? Wie kam die Spirale der Gewalt in Gang? Und hätte sie aufgehalten werden können? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Comic-Journalist Joe Sacco in seinem Buch "Indien - Öl ins Feuer" (Reprodukt) - und geht noch darüber hinaus.
Um den genauen Ablauf der Unruhen rekonstruieren zu können, interviewt Sacco Beteiligte, Zeugen, Beamte und Experten. Minutiös arbeitet er die Ereignisse und deren Hintergründe auf - und stößt auf Widersprüche, Vertuschungen und offensichtliche Lügen. Denn Sacco geht es nicht nur um die Unruhen an sich. Er bettet sie in den größeren Zusammenhang des Hindu-Nationalismus ein: "Indien ist ein Paradebeispiel für religiös bedingte Spaltungen, die schon seit Jahrzehnten von der politischen Klasse ausgenutzt werden", sagt der Zeichner. Die Unruhen seien der hindu-nationalistischen Partei BJP zugutegekommen und hätten Narendra Modi zum Amt des Premierministers verholfen.
Sacco ist mit Comicreportagen über den Nahost-Konflikt und den Bosnien-Krieg bekannt geworden. Ihn zeichnet dabei seine journalistische Herangehensweise aus, der er in seinem neuen Buch treu bleibt. Seine Zeichnungen sind nüchtern, aber realistisch und präzise, auch bei Gewalttaten. Die Bilder stellen die Opfer oder die Gesprächspartner nicht bloß, sondern flankieren ihre Aussagen. Den Zitaten (in runden Sprechblasen) fügt Sacco kommentierende und einordnende Sätze (in eckigen Sprechblasen) hinzu. So wird Saccos Recherche zu einem spannenden Kriminalstück, wenn er Widersprüche aufdeckt und Aussagen widerlegt.
Zum Polit-Krimi wird der Comic am Ende: Die religiösen Spannungen in Indien haben in den vergangenen Jahren zugenommen, angestachelt auch von Premier Modi. Kritiker werfen ihm vor, aus dem säkularen Indien einen autoritären Hindu-Staat machen zu wollen. Saccos Gesprächspartner sind sich einig: Die Lage ist explosiv. "Es kann jederzeit passieren", sagt ein Muslim, "auf dem Land oder in der Stadt, am Tag oder in der Nacht." Und das gilt nicht nur für Indien. "Man könnte also sagen, dass politische Gewalt Modi groß gemacht hat. Jemand wie Trump scheint aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein", sagt Sacco.
Jesus kam nur bis Tuvalu
Corto Maltese war immer ein Abenteurer, der die Freiheit liebte. Um Politik scherte sich der Comic-Held, der 1967 von Hugo Pratt erschaffen wurde, höchstens am Rande - wenn es ihm nutzte. Und auch diesmal wird er eher hineingezogen, als dass er freiwillig mitmachen würde. Jedenfalls wird er in "Corto Maltese - Der gestrige Tag" (Schreiber und Leser) von Öko-Kämpfern gekidnappt. Die brauchen ihn, um eine Mitstreiterin aus dem Gefängnis zu holen. Der Kapitän ohne Schiff bereist wie schon bei seinem ersten Abenteuer Südseeinseln, die es nicht mehr lange geben wird, erlebt die chinesische Einflussnahme am eigenen Leib - und sogenannte Cargo-Kulte, die Erlösung in westlichen Konsumgütern zu finden glauben. Corto lässt sich mitreißen, wird zum Verbündeten, hofft am Ende aber nur, lebend wieder rauszukommen.
Bereits zum dritten Mal legen Zeichner Bastien Vivès und Autor Martin Quenehen einen Corto-Maltese-Band vor. Ihre Comics erscheinen neben der regulären Reihe, und sie spielen im Gegensatz zu dieser in der Gegenwart. Das gibt den Künstlern nicht nur die Gelegenheit, auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Sie haben auch die Freiheit, die Titelfigur zu einer modernen Gestalt zu machen. Also weniger Piraterie, mehr Aktivismus? Nicht unbedingt, Corto bleibt ein Freigeist, der sich nicht binden lassen will. Und der stets nach dem nächsten Schatz Ausschau hält.
Zu Cortos Unbändigkeit passt Vivès' lockerer Strich, der zum Skizzenhaften neigt. Ihm fehlt die Grazilität von Hugo Pratt, allerdings schafft es Vivès mit einfachsten Mitteln, seinen Protagonisten Leben einzuhauchen. Das liegt auch an den Grautönen, die die schwarz-weißen Zeichnungen ergänzen. Ungewohnt hell ist der Band, wie das Licht der Südsee, und es gibt recht viele Weißflächen - wie Pratt verzichtet Vivès gern auf Hintergründe. Ansonsten aber kann der Comic nach mehrmaligem Lesen künstlerisch überzeugen.
Die Geschichte strotzt derweil nur so vor Anspielungen. "Der Pazifik ist der neue Hotspot der geopolitischen Krisen", heißt es - und Autor Quenehen nutzt das für einen ungeschönten Blick auf Gewalt, Armut und politische Verflechtungen. Umweltschutz trifft auf Volksaufstände, Meme-Kultur auf einen mythischen Touch, der Corto schon immer umgeben hat. Der Band erreicht nicht ganz die Dichte von "Schwarzer Ozean", dem Erstling von Vivès/Quenehen, führt die Reihe aber logisch weiter - bis zum Ende, wenn der Band noch einmal richtig an Fahrt gewinnt.
Der griechische Blues
Dieses Licht. Diese Sonne, die durch das Schilfdach helle Streifen auf die Gesichter zeichnet. Diese Hitze, die selbst in den schummrigen Kaschemmen zu spüren ist, auf den glühenden Wangen und in den Bewegungen. Allein dafür muss man "Rembetissa" von David Prudhomme (Reprodukt) lieben. Rot- und Brauntöne, durchbrochen vom Blau des Himmels und des Meeres. Das Leben könnte leicht sein in Piräus, doch es ist schwer für die Musikerinnen und Musiker des Rembetiko, des "griechischen Blues".
Die, die den subversiven Rembetiko spielen, kommen aus Kleinasien. Im Griechisch-Türkischen Krieg mussten sie nach Westen fliehen. Sie haben die Massaker an den Griechen überlebt, schlagen sich nun aber am unteren Ende der sozialen Leiter durch, gehasst von den Einheimischen. Seit sich Ioannis Metaxas 1936 zum Diktator aufgeschwungen und alle orientalisch geprägte Musik verboten hat, unterliegen sie zudem scharfen Repressionen. Sich unterordnen oder aufbegehren - und damit zur eigenen Kultur stehen: Vor dieser Entscheidung stehen die Musiker und Sängerinnen wie Beba, mit der dieser wunderbare Band beginnt und endet.
Mehr als 15 Jahre nach dem preisgekrönten "Rembetiko" kehrt Prudhomme zurück in die Tavernen und Armenviertel, in denen die Musik erklingt. Er legt diesmal den Fokus auf die Frauen, die an dem Druck, der auf ihnen lastet, zu zerbrechen drohen. Mit sinnlichem, realistischem Strich, wundervoller Farbgebung und viel Liebe für die Charaktere begleitet der Zeichner die Musiker durch den Alltag. Er lässt sie leiden, aber auch die Erlösung der Musik spüren. Deren Melodien werden allein durch Gestik und Mimik der Figuren lebendig, die alle Tragik, Traurigkeit und Trotz des Rembetiko ausdrücken.
Gekonnt seziert Prudhomme aber auch, wie Menschen in einer Diktatur zu einem Drahtseilakt gezwungen werden. Liebespaare werden entzweit, Freundschaften zerbrechen, Existenzen scheitern. Prudhomme gelingt erneut eine meisterhafte Liebeserklärung an einen Musikstil, vor allem aber an die Menschen, die ihn spielen.


