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"KI ist die neue Atombombe" Marc-Uwe Klings "Views" ist purer Sprengstoff

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War KI im Spiel oder nicht? Das ist bei dem Vergewaltigungsvideo die Frage.

War KI im Spiel oder nicht? Das ist bei dem Vergewaltigungsvideo die Frage.

(Foto: imago stock&people)

Eine 16-Jährige verschwindet spurlos. Danach geht ein Video viral, in dem sie vergewaltigt wird. Die Täter: mutmaßlich Afrikaner. Die Volksseele kocht, die Rechte ruft zu Vergeltung auf. Eine Gruppe namens "Aktiver Heimatschutz" greift zu den Waffen. Aber was, wenn das Video nur ein Fake ist?

Künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde. Marc-Uwe Kling macht sie zum Thema seines neuen Romans "Views". Dem ehemaligen Kleinkünstler raubt sie den Schlaf. Worte, Sätze, Formulierungen wabern in seinem Kopf. Eine Idee nimmt Form an, er muss sie zu Papier bringen. Die entstandene Geschichte könnte den Untertitel "Beruht auf einer wahren Begebenheit" tragen. Sie ist ein Manifest, eine Offenbarung. Hier eine Chronik der Ereignisse. Auf Vollständigkeit gibt es keine Gewähr.

Bestsellerautor Marc-Uwe Kling.

Bestsellerautor Marc-Uwe Kling.

(Foto: Sven Hagolan)

Yasira geht auf die 40 zu. Sie ist Deutsche, manchmal mehr, als sie sich eingestehen möchte. Ihr gegenüber im Hard Rock Cafe am Kudamm sitzt Stefan. Mal wieder ein Stefan, denkt sie. Ihre Gedanken schweifen ab. Sie ist unkonzentriert. Generell ist Stefan hübscher als der letzte Stefan. Yasira ist BKA-Ermittlerin. Ihr Chef heißt ebenfalls Stefan. Der heutige Date-Stefan ist aufgeregt: "Darf ich fragen, wo du herkommst?" Yasira: "Aus Wilmersdorf. Mit der U-Bahn." Den Scherz macht sie gern. Ihre Eltern stammen aus dem Libanon.

Als Yasira aufs Klo verschwindet und zurückkommt, glotzt Stefan gebannt auf sein Handydisplay. Es ist ein Video. Der Inhalt ist purer Sprengstoff. Das erkennt Yasira sofort. Das Date ist zu Ende.

Lena Palmer

Im Video zu sehen ist ein Mädchen, Lena Palmer. Die 16-Jährige ist seit ein paar Tagen spurlos verschwunden. Und nun offenbar auf irgendeinem Rastplatz an einem Wanderweg in Deutschland wieder aufgetaucht. Sie liegt auf einem Tisch, drei Männer stehen um sie herum. Ein Vierter filmt den brutalen Missbrauch des Mädchens. Die drei Männer am Tisch sind alle schwarz. Einer hat lockiges Haar, ein anderer eine Basecap falsch herum auf. Der Dritte trägt einen Snoopy-Pulli.

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Yasiras BKA-Stefan übergibt ihr den Fall. Sie soll ihn schnell lösen. Heißt: Lena finden, möglichst lebendig, und herausbekommen, wer die vier unbekannten Männer auf dem Video sind. Das wiederum geht steil viral, die breite Öffentlichkeit ist schockiert. Die Rechte ruft Zeter und Mordio, fordert Vergeltungsmaßnahmen. Die Politik macht der Polizei Feuer unterm Arsch. Der Druck ist enorm und wird stündlich größer.

"Aktiver Heimatschutz"

Yasira stellt ein Team zusammen. Hinweise auf die Herkunft des Videos, auf den möglichen Tatort oder die Tatzeit findet es nicht. Die Männer könnten aus Mali stammen. Immerhin ein Ansatz. Dann taucht ein weiteres Video auf. "Bär", Anführer des "Aktiven Heimatschutzes", posiert mit einer Waffe und ruft mit markigen Worten zu Selbstjustiz auf. Es dauert nicht lange, bis zum ersten Opfer: ein schwarzer Mann, dem seine Basecap zum tödlichen Verhängnis wird.

Ein weiteres Video, ein weiterer Rechter mit Reichsbürger-Gehabe, eine weitere Hinrichtung. Im Gegensatz zu "Bär" ist der Nachahmer aber polizeilich bekannt. Für einen Durchbruch im Fall sorgt das aber auch nicht, denn das Opfer ist erneut ein Unschuldiger. Die Sache wird für Yasira immer heikler, denn die Wut in der Bevölkerung wächst, geschürt von rechten Hasstiraden im Netz. Ein gewalttätiger Mob will sogar den Reichstag stürmen. Mehrere Menschen sterben.

Eine Idee, die heranreift

Yasiras ist ratlos: Wieso gibt es keine Anhaltspunkte? Keinerlei Hinweise auf Lena, auf die Täter aus dem Video? Und das bei Hunderten Hinweisen aus der Bevölkerung. Ein Video, dass Yasiras Tochter, im Alter von Lena, ihr zeigt, sorgt dann für eine Idee im Kopf der BKA-Ermittlerin. Aber kann das sein? Kann es wirklich sein, dass das Video nur ein Fake ist? Von einer KI generiert? Sie muss dem nachgehen, mehr herausfinden. Aber im Verborgenen. Denn liegt sie falsch, gibt sie sich und die gesamte Polizei der Lächerlichkeit preis. Die Rechte würde das ganze Thema nur noch intensiver ausschlachten und gegen "die da oben", den "Deep State", verwenden. Die Spirale der Gewalt würde sich noch schneller drehen. Droht dann gar ein Bürgerkrieg?

Andererseits: Was ist, wenn Yasira richtig liegt und ein perfekter Fake vorliegt? Sie schauert: Dann wäre "KI die neue Atombombe".

Darf's auch mal ein Thriller sein?

Ein erschreckendes Szenario. Aber eines, das wirklich so eintreten könnte. Oder anders gesagt: Wenn es so kommt, dürfte sich keiner darüber wundern. Es ist ein Szenario, das auch den Bestsellerautoren Marc-Uwe Kling nächtelang beschäftigt hat. Letzten Endes brachte er es zu Papier und natürlich auch mit eigener Stimme versehen als Hörbuch an den Start. Erschienen ist sein neues Werk "Views" bei Ullstein und Hörbuch Hamburg. Es ist Klings erster Thriller und zeigt eindrucksvoll das Können und die Vielseitigkeit des Autors. Erfolgreich sind seine Werke dabei immer, egal ob sie dystopisch daherkommen ("Quality Land"), fantastisch ("Der Spurenfinder") oder kindgerecht ("Das NEINhorn").

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Nicht zu vergessen die Geschichtenreihe über das kommunistische Känguru, das bei dem Kleinkünstler Marc-Uwe Kling einst vor der Tür stand und dessen Leben wortgewaltig, pointiert und urkomisch auf den Kopf stellte. Mit Nirvana, Schnapspralinen und philosophischen Ergüssen hinterließ das Beuteltier nicht nur beim Mitbewohner Kling tiefe Spuren im Gedächtnis, sondern auch bei einer Millionen -Fanschar. Es gründete unter anderem seinen eigenen Box-Klub, dessen Regeln lauten: "Die erste Regel des Box-Klubs: Wir reden nicht über den Box-Klub. Die zweite Regel des Box-Klubs lautet: Wir reden nicht über den Box-Klub. Die dritte Regel des Box-Klubs lautet: Wenn ihr einen Nazi seht, boxt ihr ihn!" In der heutigen Zeit hieße das: jede Menge Sparring!

Klings anarchischer Humor geht auch in "Views" nicht verloren. Humor ist ja eben, wenn man trotzdem lacht. Auch wenn der Plot des Werks alles andere als lustig ist. Die Sprache ist leicht, die Geschichte fließend, keine Schnörkel, immer direkt auf die Zwölf. Man sieht die Schläge in die Magengrube kommen, die Deckung ist permanent außer Gefecht gesetzt. "Views" rüttelt auf. Wehret den Anfängen! Wer das Buch gelesen oder das Audiobook gehört hat, kann danach nicht mehr sagen: "Ich hatte doch keine Ahnung …". (Anmerkung des Autors: Dieser Text wurde nicht KI-generiert!)

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