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Ronja von Rönne über Tiefpunkt Warum Trotz lebenswichtig sein kann

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Ihr neues Buch ist eine "Hommage an den Trotzkopf in uns", sagt Ronja von Rönne.

Ihr neues Buch ist eine "Hommage an den Trotzkopf in uns", sagt Ronja von Rönne.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Autorin Ronja von Rönne widmet sich in ihrem neuen Buch einem Gefühlsaudruck, der eigentlich am Kindertisch vermutet wird: dem Trotz. Sie beschreibt, wie "trotzig sein" zur Revolution führen kann und erklärt, wie ihr eigener Trotzkopf in einer Lebenskrise zum Rettungsanker wurde.

Im Grunde war ihr wohl größter Shitstorm längst vergessen, zumindest in der Öffentlichkeit. Nun ist es Ronja von Rönne selbst, die ihren 2015 erschienenen Artikel über Feminismuskritik wieder ins Rampenlicht zerrt. In ihrem neuen Buch und Hörbuch "Trotz" schreibt sich die Autorin ihren damaligen Beitrag und alles, was daraufhin auf sie einprasselte, von der Seele. Vor allem aber erklärt sie, was sich damals in ihr zusammenbraute und wie diese Mischung aus Frustration, Angst und Selbstbehauptungswillen zu ihrem Rettungsanker wurde. Damit ist "Trotz" das bisher persönlichste Werk der 31-Jährigen. Das Hörbuch ist am 6. Oktober im Aufbau-Verlag erschienen.

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Nun handelt es sich bei von Rönnes Werk weder um eine Autobiografie noch um einen Ratgeber für Lebenskrisen. Auch, wenn beide Elemente an verschiedenen Stellen im Buch durchdringen - mal zwischen den Zeilen, mal ganz direkt -, geht es in "Trotz" in erster Linie um den gleichnamigen Gefühlsausdruck. Dabei dürfte es kaum jemanden geben, der bei Trotz nicht an die Fünfjährige denkt, die sich im Supermarkt kreischend auf den Boden wirft, weil die Eltern ihr die dritte Schokoladentafel verwehren. "Trotzig sein" ist in den meisten Köpfen mit kindlicher Bockigkeit, vielleicht noch mit jugendlichem Auflehnen, verknüpft.

Von Rönne gestattet dem Trotz nun, vom Kinder- an den Erwachsenentisch zu wechseln. Sie gibt der Zuhörerin einen Anreiz, dem Trotz die negative Hülle abzustreifen und dem Gefühlsausdruck deutlich mehr zuzutrauen.

Trotz als Motor

Trotz ist ein interessantes Phänomen. Es ist eine Art Widerstand gegenüber der Realität und den Widrigkeiten, die uns im Leben begegnen. Es ist die Entscheidung, nicht aufzugeben und sich nicht von den Umständen unterkriegen zu lassen. Trotz ist also eine Form der Selbstbehauptung. Der Trotz behauptet frech: so nicht. Das muss besser gehen. Da muss doch noch mehr sein. Und ist damit Wegbereiter für den Fortschritt. (Aus: "Trotz" von Ronja von Rönne)

Im Anschluss rast von Rönne durch die Geschichte, um ihre These mit Beispielen zu veranschaulichen: Als es die Menschen satt hatten, Mammuts zu jagen, erfanden sie die Landwirtschaft. Wer keinen Bock mehr hatte, drei Tage zu den Schwiegereltern zu brauchen, entwarf Modelle für Dampfmaschinen. Und weil da draußen viel mehr sein könnte, besitzt die Menschheit nun das James-Webb-Teleskop.

Trotz, so macht die Autorin deutlich, ist die Unzufriedenheit mit dem Status Quo und die Fähigkeit, diesem Ist-Zustand die Stirn zu bieten. Eine Art Kraftquelle und Motor - etwa für eine gewisse Rosa Parks, die sich 1955 weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Passagier freizumachen und damit ein ganzes System infrage stellte. Für Frauen im Iran, die ihr Kopftuch abwerfen. Oder für Studenten, die ihr verhasstes Studium hinwerfen und Neues wagen.

Die dunkle Seite

Von Rönne selbst bezeichnet ihr Werk auf Instagram als "Hommage an den Trotzkopf in uns". Allerdings wird dieses Loblied auf einen deutlich unterrepräsentierten Gefühlsausdruck an vielen Stellen unterbrochen.

Denn Trotz hat auch eine dunkle Seite. Er ist Yin und Yang, Fortschrittsbereiter und Starrsinn. (...) Trotz kann zu mächtig werden, dann erstickt er die Neugier, die Weltoffenheit, die Hoffnung und die gelassene Gutmütigkeit gegenüber allem Fremden.

Somit ist "trotzig sein" keineswegs die Lösung aller Probleme, das macht die Autorin deutlich. Nimmt der Trotz überhand, wirkt er plötzlich nicht mehr als Motor, sondern als Bremse. Dann sei er der Grund dafür, dass Menschen zu Protestwählern oder Verschwörungstheorien befeuert werden. Er könne Menschen verbittern lassen oder aber dazu führen, dass junge Freunde ihre Diabetes-Erkrankung so lange ignorieren, bis die Konsequenzen sie direkt in den OP führen. Was also tun? Trotz zurück ins Kinderzimmer verbannen oder darauf hoffen, mit ihm die nächste Revolution anzustoßen? Es gehe darum, das richtige Maß zu finden, schreibt von Rönne. Wie das geht, verrät sie nicht. "Trotz" ist, wie gesagt, kein Ratgeber.

Der Shitstorm

Die Autorin springt zwischen historischen Trotz-Momenten, philosophischen sowie psychologischen Ansätzen und ihrer eigenen Beziehung zum Trotz. Dabei geht von Rönne gewohnt ehrlich und selbstreflektierend vor. Schonungslos beschreibt sie das gigantische Loch, in das sie als 22-Jährige fiel, nachdem ihr Essay "Was mich am Feminismus anekelt" 2015 in der "Welt am Sonntag" erschienen war. Von Rönne schreibt von Hassnachrichten im Netz und burschikosen, wütenden Frauen in Leipzig, deren Faust sie nur knapp entkommen ist. Es geht um Drohungen aus der linken Ecke und Beifall aus der CSU. Um Panikattacken, Selbstzweifel und Existenzängste einer jungen Autorin, die eigentlich ganz am Anfang ihrer Karriere stand.

In dieser Zeit wuchs eine Art Trotz in mir, die im Rückblick wahrscheinlich überlebenswichtig gewesen war. Nein, auf gar keinen Fall wollte ich mich von so etwas Lächerlichem wie einem Shitstorm in die Knie zwingen lassen. Im Gegenteil, wenn es schon um mich tobte und mich auf einmal Menschen auf der Straße erkannten (und mit erkennen meine ich meistens: beleidigten), dann würde ich diese Aufmerksamkeitswelle halt nutzen.

Für den Zuhörer sind diese sehr persönlichen Passagen über von Rönnes Rettungsanker wichtig. Sie sind nicht nur mutig und damit besonders erkenntnisreich. Sie sorgen zwischen vielen losen und oft sehr abstrakten Gedankenfetzen auch für einen roten Faden im Hörbuch. Zudem bieten sie eine Art Erklärungsansatz für die mit Trotz gefüllte Welt der Autorin. So braucht die Zuhörerin an vielen Stellen zweifellos eine gute Portion Fantasie, etwa wenn von Rönne auch die Schöpfungsgeschichte oder aber Luthers Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg mit Trotz begründet.

"This one is for you, baby"

Spätestens an diesen Stellen wird deutlich: Das Hörbuch bietet weder eine abschließende noch eine allgemeingültige Beschreibung des Gefühlsausdrucks Trotz. Wer das erwartet, wird es im besten Fall maximal verwirrt, im schlechtesten Fall frustriert ausschalten. Vielmehr fühlt sich "Trotz" wie ein riesiges Brainstorming mit dem Input verschiedenster Gruppen an: Die Diskussion beginnt ergebnisoffen, eine Einwürfe klingen absurd - führen aber zu einem spannenden nächsten Gedanken. Wer sich darauf einlässt, hat gute Chancen, mit "Trotz" den eigenen Horizont zu erweitern.

Von Rönnes viertes Buch, das als gebundene Fassung im dtv-Verlag erschienen ist, fordert dem Leser mehr Aufmerksamkeit und Mitdenken ab als ihre früheren Werke. Das macht "Trotz" aber nicht weniger hörenswert, im Gegenteil. Der Autorin und Moderation gelingt es auf innovative Weise, die philosophischen und psychologischen Gedankengänge mit ihrer eigenen Geschichte, ihren privaten Erkenntnissen zu verweben. Nun mag diese Beschreibung nach einem 500-Seiten-Schinken klingen. Allerdings ist die Buchfassung von "Trotz" kaum größer als zwei Pixi-Bücher und gerade einmal fünfmal so lang.

Das Hörbuch hat rund zwei Stunden Länge und den entscheidenden Vorteil, dass es von der Autorin selbst gesprochen wird. Von Rönnes Stimme macht gerade bei diesem Werk einen Unterschied. Denn obgleich Fans der klassisch rotzig-trotzigen Rönne-Sprache auf gewohnte Weise auf ihre Kosten kommen, ist es weitaus persönlicher als frühere Romane der Autorin. Sie selbst beschreibt es auf Instagram so: "Für die kleine, manchmal verunsicherte und immer trotzige Ronja: This one is for you, baby."

Quelle: ntv.de

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