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Comeback nach Krebserkrankung Ans Aufgeben hat Nicole nie gedacht

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"Skorpione haben keine Angst": Nicole.

"Skorpione haben keine Angst": Nicole.

(Foto: Nikolaj Georgiew)

24. April 1982, Harrogate, Eurovision Song Contest (ESC - oder wie er damals noch hieß: Grand Prix Eurovision de la Chanson), England: Die damals 17-jährige Nicole sitzt im schwarzen Glitzerkleid und mit der schneeweißen Akustikgitarre im Arm auf einem Hocker und trällert der neugierigen ESC-Welt ihren sehnlichsten Wunsch entgegen. "Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne für diese Erde auf der wir wohnen", flüstert die blutjunge Saarbrückerin ins Mikrofon.

Es ist der Anfang einer beeindruckenden Schlagerkarriere, die, geprägt von vielen Höhen und wenigen Tiefen, im Dezember 2020 plötzlich von einem Moment auf den anderen zu zerbrechen droht. Die Diagnose Brustkrebs stürzt Nicole aber nur kurzzeitig in ein tiefes Loch. Die Sängerin kämpft um ihr Leben - mit Erfolg.

Im Sommer 2022 genießt Nicole ihre Branchenrückkehr auf der großen "Schlagercomeback"-Bühne von Florian Silbereisen in vollen Zügen. Weitere zwölf Monate später feiert die erste ESC-Gewinnerin aus Deutschland ihr 40-jähriges Bühnenjubiläum. Im kommenden September geht Nicole erstmals wieder seit über drei Jahren auf Tournee. Mit ntv.de sprach die Schlager-Ikone über die bevorstehenden Aufgaben, schwere Zeiten und den künstlerischen Niedergang des ESC.

ntv.de: Wenn du die Zeit zurückdrehst und an deine ersten Auftritte vor Publikum denkst, welche Gedanken und welche Bilder schießen dir da durch den Kopf?

Nicole: Das ist jetzt schon über vier Jahrzehnte her. Aber natürlich erinnere ich mich noch sehr gerne an die Zeit, in der wir noch alles alleine machen mussten. Manchmal mussten wir sogar die Bühne selber mit aufbauen, bei den Lichtern helfen und in vielen anderen Bereiche noch mithelfen. Das war schon eine sehr schöne und prägende Zeit.

40 Jahre später stehst du nun vor deiner großen Comeback-Tournee. Welche Gefühle sind da vorausblickend präsent?

Angst habe ich jetzt keine. Aber ich spüre schon eine gewisse Anspannung und natürlich auch viel Vorfreude.

Bist du jemand, der mit Lampenfieber zu kämpfen hat?

Ja, vor allem vor den ersten Shows. Da fragt man sich immer: Passt die Songauswahl? Wie reagieren die Leute auf die neuen Lieder? Die Aufregung vor einem Konzert hat sich auch nach 40 Jahren nicht wirklich gelegt.

Was können die Fans von den Shows erwarten?

Das wird ein Feuerwerk! Das kann ich schon mal versprechen. Ich werde alle großen Hits und natürlich auch viele neue Lieder mit im Gepäck haben.

Große Konzerte liegen vor dir. Große Shows liegen aber auch hinter dir. War der Auftritt beim ESC vor 40 Jahren dein für dich bis dato wichtigster?

Im Sommer 2022 begrüßte Florian Silbereisen Nicole beim "Großen Schlagercomeback".

Im Sommer 2022 begrüßte Florian Silbereisen Nicole beim "Großen Schlagercomeback".

(Foto: picture alliance/dpa)

Nun, an diesem Abend ging ein Kindheitstraum von mir in Erfüllung. Es war aber nicht nur das, sondern es waren auch die Umstände, die diesen Auftritt so besonders gemacht haben. Es war die Zeit der Aufrüstung und des Kalten Krieges. In jener Woche brach der Falkland-Krieg aus - und dann singt da plötzlich eine junge 17-Jährige vom Frieden. Das hat Millionen Menschen berührt und mir natürlich viele Türen geöffnet. Kurz darauf war ich mit dem Song in vielen Ländern an der Spitze der Charts - sogar in England mit einer englischen Version. Ich auf der Eins und dahinter Paul McCartney und Stevie Wonder: Das muss man sich mal vorstellen.

Stehst du lieber auf der Bühne oder sitzt du lieber vor einem leeren Blatt Papier mit neuen Songideen im Kopf?

Ich liebe beide Szenarien. Ich schreibe ja viele meiner Texte selbst. Das macht mir schon viel Spaß. Aber ich liebe es auch, auf der Bühne zu stehen. Wenn man live spielt und die direkte Resonanz vom Publikum bekommt, dann ist das schon ein unvergleichliches Gefühl.

Du hast im letzten Jahr ein neues Album mit dem Titel "Ich bin zurück" veröffentlicht. Nur wenige Monate vor der Veröffentlichung war aufgrund deiner Krebserkrankung nicht klar, ob du überhaupt jemals wieder eine Bühne betreten wirst. Wie sehr hat dir die Musik während dieser schweren Zeit geholfen?

Ich selbst konnte während dieser Zeit nicht in Aktion treten. Aber die Musik war natürlich immer da. Musik ist ein ständiger Begleiter in meinem Leben. Egal ob zum Aufputschen, zum Therapieren oder einfach nur zum Genießen: Ohne Musik geht nichts in meinem Leben.

Der Krebs hat dir zwei sehr schwere Jahre beschert. Letzten Sommer kam es dann endlich zum Comeback. In Leipzig warst du bei Florian Silbereisen und seinem "Schlagercomeback" zu Gast. Im Einspieler vor deinem Auftritt warst du sehr emotional.

Ich war einfach nur dankbar und froh, dass ich endlich wieder das machen kann, was ich am meisten liebe. Ich war unheimlich aufgeregt vor diesem Auftritt.

Du hast damals auch deinem "Dorf" gedankt (Nicole lebt mit ihrer Familie in Neunkirchen, einem Ortsteil der Gemeinde Nohfelden im Saarland), das während der schweren Krebszeit "verschwiegen und unterstützend" zu dir gehalten hat. Was sind das für Menschen?

Das sind Leute, die mich schon mein ganzes Leben lang kennen. Ich bin nie irgendwo anders gewesen. Dort, wo ich herkomme, bin ich einfach nur die Nicole, die schon immer da war und die genauso zum Dorf gehört, wie alle anderen Menschen auch. Dass mich damals keiner verraten und verkauft hat, das war schon ein sehr großer Liebesbeweis.

Wie sieht es mit den vielen Kolleginnen und Kollegen aus, die dich jahrzehntelang auf den großen Bühnen begleitet haben? Wer stand dir während deiner schwersten Zeit auch abseits des Rampenlichts zur Seite?

Ich habe ja keinem etwas davon erzählt. In der Branche wusste niemand Bescheid. Nur Heinz Rudolf Kunze und Hape Kerkeling waren eingeweiht. Das sind nicht nur Kollegen, sondern auch sehr enge Freunde von mir.

Hast du in den vergangenen zwei Jahren auch mal ans Aufgeben gedacht?

Nein, niemals. Ich bin ein Skorpion - und Skorpione haben keine Angst. Wir weichen zwei Schritte zurück und setzen dann zum Gegenangriff an.

Du kehrst jetzt wieder zurück in eine Branche, die unheimlich boomt. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Schlagermusik?

Nicole auf RTL+ Musik
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(Foto: picture alliance/dpa)

Auf der Suche nach Musik von Nicole? Songs, Alben und Infos von ihr gibt es auf RTL+ Musik.

Die Leute wollen wieder verstehen, um was es in den Liedern und den Texten geht. Das funktioniert bei englischsprachiger Musik nicht immer ganz so gut. Wenn man sich Sendungen wie den "Fernsehgarten" oder "Immer wieder Sonntags" anschaut, dann werden die deutschen Künstler wieder richtig gefeiert. Das ist natürlich eine tolle Entwicklung.

Was fasziniert dich persönlich an Schlagermusik?

Na ja, definiere Schlager? Ich würde mich ja eher als Chanson-orientierte Schlagerpop-Sängerin bezeichnen. Mir war es immer wichtig, dass meine Musik und meine Texte einem gewissen Anspruch entsprechen. So reine Mitklatschnummern, das war nie so meine Welt. Ich möchte die Leute mit ernsten und ehrlichen Themen und Geschichten erreichen. In einem Song wie "Spuck die Tränen aus" geht es um Gewalt in der Ehe. Beim Lied "So oder so andersrum" geht es um das Thema Vielfalt. Das sind alles Songs und Themen, die man zwar nicht im Radio hört, die aber trotzdem wichtig sind. Schlager ist keine Heile-Welt-Musik - nicht nur.

Wie gefällt dir der Song "Layla"?

Das ist nicht so mein Ding. Aber ich schätze alle Kollegen sehr, die sich auf Mallorca in die Zelte stellen und die Leute unterhalten. Das ist richtig körperliche Arbeit. Das respektiere ich schon. Aber es ist nicht meine Musik.

Helene Fischer hat sich letztens bei einer ihrer Trapez-Nummern verletzt. Es gibt Leute, die sagen: Der Show-Anteil bei den Konzerten drängt die Musik immer mehr in den Hintergrund. Wie siehst du das?

Nicole live

Nicole ist ab September 2023 auf Tour: Bad Orb (1. September), Meschede (2. September), Hitzacker / Elbe (3. September), Lübeck (5. September), Verden (6. September), Stade (7. September), Gifhorn (8. September), Cottbus (13. September), Osterode am Harz (14. September), Lohr am Main (15. September), Mannheim (16. September), Gießen (17. September), Gera (26. September), Rheine (27. September), Unna (28. September), Bad Homburg v.d. Höhe (29. September), Linkenheim-Hochstetten (30. September), Bad Neustadt a.d. Saale (1. Oktober), Osterholz-Scharmbeck (8. Dezember), Berlin (9. Dezember), Magdeburg (10. Dezember), Neubrandenburg (13. Dezember), Apolda (14. Dezember), Suhl (15. Dezember), Leuna (17. Dezember). Tickets gibt es unter anderem bei Eventim.

Ich verfolge diese Entwicklung schon sehr lange. Mich stört das vor allem beim ESC. Ich habe schon lange vor "The Voice" gesagt, dass man die Künstler im Dunkeln auftreten lassen müsste, ohne zu wissen, woher sie kommen, ohne Tänzer und all das ganze Drumherum. Der ESC war mal ein Lieder-Wettbewerb. Mittlerweile geht es mehr um die Show als um die Musik. Das nervt mich schon sehr.

Dieser Tage wird auch viel über das Thema Machtmissbrauch in der Musikindustrie diskutiert. Hast du dich in den 40 Jahren im Business je unterdrückt gefühlt?

Nein, das habe ich nie erlebt. Ich habe mich aber auch nie verbiegen lassen. Ich bin immer meinen Weg gegangen. Ich denke, dass die besagten Probleme auch viel mehr in der normalen Arbeitswelt zum Tragen kommen als in der Show-Branche.

Die Thematik deines erfolgreichsten Songs ist momentan leider wieder sehr aktuell. Mit welchen Gedanken und Gefühlen blickst du in die Zukunft?

Ich mache mir natürlich große Sorgen. Wir haben "Ein bisschen Frieden" auch deswegen noch einmal neu aufgenommen, mit einer russischen Strophe. Die vielen Leute, die gerade aus der Ukraine flüchten, sollen nicht das Gefühl haben, dass man sie hier mit ihren Schmerzen und ihrem Leid alleine lässt. Hier bei uns im Flüchtlingslager läuft die neue Version rauf und runter.

Mit dem Song "Ein bisschen Frieden" bist du vor 40 Jahren über Nacht berühmt geworden. Was bedeutet dir dieser Song?

Ich denke, dass 99 Prozent aller Deutschen dieses Lied kennen. "Ein bisschen Frieden" ist ein Jahrhundertsong. Hört man "Ein bisschen Frieden", denkt man an Nicole - und umgekehrt. Dieser Song hat so viele Menschen berührt - und er tut es auch heute noch.

Mit Nicole sprach Kai Butterweck

Quelle: ntv.de

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