Gesangsporno de luxe Die Befreiung der Christina Aguilera
15.06.2018, 16:23 Uhr
Christina Aguilera meldet sich mit neuem Studioalbum zurück.
(Foto: Sony Music)
Sechs Jahre sind seit dem letzten Studioalbum von Christina Aguilera verstrichen. Sechs Jahre, in denen sie sich endgültig vom Girlie-Image gelöst hat. Auf "Liberation" präsentiert sich Aguilera ganz erwachsen - und scheitert auf hohem Niveau.
Was?! Ist es tatsächlich schon beinahe 20 Jahre her, dass Christina Aguilera wie eine "Genie in a Bottle" und wie aus dem Nichts plötzlich auf der großen Pop-Bühne erschien? Ja, ist es. Damals war "X-Tina" gerade mal süße 18. Aber immerhin schon zwei Jahre älter als eine gewisse Britney Spears, ihre ehemalige Kollegin im Disney Channel, die mit "... Baby One More Time" nur kurz zuvor für eine Gesangskarriere Micky Maus ebenfalls den Laufpass gegeben hatte.
Wer würde das Rennen um die Krone der Popprinzessin machen? Spears? Aguilera? Keine von beiden? Heute wissen wir: Ein One-Hit-Wonder ist weder die eine noch die andere geblieben. Und tatsächlich teilen sie sich den Thron, wenngleich mit Blick auf Verkäufe und Hitparaden Spears die Nase etwas vorn hat. Dafür jedoch verliefen Aguileras Leben und Karriere deutlich weniger skandalös als bei ihrer Nebenbuhlerin. Eine Scheidung, immer mal wieder ein paar Gewichtsprobleme und einige kalkulierte Aufreger wie ihre bewusst freizügige "Dirrty"-Phase - tiefere Abgründe lassen sich bei Aguilera nicht finden.
Mittlerweile ist aus dem Teenager, der einst den Pop-Geist aus der Flasche entließ, eine 37-jährige Frau und Mutter von zwei Kindern geworden. Aguileras zweites Kind kam im August 2014 zur Welt, knapp zwei Jahre nach Erscheinen ihres bis dato letzten Studioalbums "Lotus". Doch nicht nur ihren mütterlichen Pflichten ist die Sängerin seither nachgegangen. Mehrfach fungierte sie auch als Jurorin in der US-Castingshow "The Voice".
Die Ketten der Vergangenheit
Nun jedoch war es für Aguilera wieder an der Zeit, ins Studio zurückzukehren und ihr erstes Album seit sechs Jahren aufzunehmen. Der Titel "Liberation" ("Befreiung") ist dabei Programm, denn die Mittdreißigerin scheint darauf so ziemlich alle Ketten ihrer Vergangenheit sprengen zu wollen - die des ewigen Teenie-Stars, die des Popstars von der Stange, aber auch die der Hitmaschinerie. Aguilera möchte endlich erwachsen sein und als brachial stimmgewaltige Chanteuse ernst genommen werden.
Und das hört man - auf einem Album, das eher wie ein Monolith daherkommt als wie eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger ohrwurmtauglichen Pop-Perlen. Und das, obwohl für "Liberation" geradezu eine ganze Armada an Songschreibern und Produzenten verpflichtet wurde. Unter ihnen befindet sich etwa beim eigentlichen Album-Opener "Maria", der auf die Vorgeplänkel-Nummern "Liberation" (analog zum Albumtitel) und "Searching For Maria" folgt, auch ein gewisser Kanye West.
Ein Hit? Fehlanzeige!
Der zu Spinett-Klängen sanft vor sich hin pumpende Song umreißt im Wesentlichen bereits die Grundprinzipien des gesamten Albums. Von einigen kleineren Ausreißern wie "Sick Of Sittin'" oder "Accelerate" (mit den Rappern Ty Dolla Sign & 2 Chainz) mal abgesehen, plätschert "Liberation" 15 Songs lang in aller Ruhe vor sich hin. Da macht es auch keinen Unterschied, ob Aguilera in "Pipe" oder dem Demi-Lovato-Duett "Fall in Line" eher im Soul badet, in "Right Moves" mit Keida und Shenseea in Richtung Reggae schielt oder in "Twice" eine klassische Klavierballade schluchzt. Alles total entspannt hier. Alles außer Aguileras Stimme, die jeden Song so dominiert, dass man das Gefühl hat, einem Gesangsporno beizuwohnen.
Nein, wirklich hitverdächtig ist auf diesem Album nichts. Und so schaffte es Aguilera mit den ersten beiden Single-Auskopplungen "Accelerate" und "Fall In Line" auch tatsächlich noch nicht einmal in die Top 100 der US-amerikanischen Billboard-Charts. Als Popprinzessin eigentlich undenkbar. So gesehen ist Aguilera mit "Liberation" auf gesanglich fraglos hohem Niveau gescheitert. Aber vielleicht muss man sich auch einfach gedanklich ein für alle Mal von der alten "X-Tina" verabschieden. Vielleicht wandelt sich Aguilera einfach allmählich von der Hit-Schleuder zur Album-Künstlerin. Zum Erwachsenwerden würde das ja durchaus gut passen.
Quelle: ntv.de