"Ich glaube, ich bin zynischer" Vielen Dank für die Blumen, Annett Louisan
12.08.2021, 15:46 Uhr
Das Kino bringt sie zusammen: Tom, Jerry und Annett Louisan.
(Foto: Mischa Lorenz / Warner Bros. Pictures)
Ihr ewiges Lolita-Image wird sie nicht los. Deshalb spricht Annett Louisan über ihr Bühnen-Alter-Ego auch gern in der dritten Person. Doch sie kann auch ganz anders, wie sie im ntv.de-Interview offenbart - etwa in ihrer Mutterrolle aufgehen, mit Verschwörungsmythen aufräumen oder über "Tom & Jerry" lachen. Für den Abspann des neuen Kinofilms mit dem Kater und der Maus sang sie den Udo-Jürgens-Klassiker "Vielen Dank für die Blumen" neu ein.
ntv.de: Zu Beginn gleich mal die Gretchenfrage: Sind Sie Team Tom oder Team Jerry?
Annett Louisan: Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind oft Mitleid mit Tom hatte. Ich glaube aber, es stecken beide Persönlichkeiten in mir. Dieses-Katz-und-Maus-Spiel, dieser ewige Kampf, ist mir durchaus bekannt. Und den braucht man ein Stück weit auch.
Es ist nicht Ihr erster Ausflug ins Filmgeschäft. Auch für den deutschen Soundtrack zu "Mary Poppins' Rückkehr" haben Sie schon mal einen Song eingesungen. Beim Animationsstreifen "Rio 2" absolvierten Sie eine Synchronrolle. Mögen Sie Filme?
Ja, unbedingt. Ich schaue zwar überhaupt kein Fernsehen, aber ich gucke Netflix und bin Film-Fan. Ich höre Musik auch in Filmen, Bildern und Farben. Für mich sind das sehr verwandte Ausdrucksformen. Einer Figur meine Stimme zu verleihen und Bilder zu vertonen, ist toll und eine unglaublich schöne Aufgabe.
Warum schauen Sie denn kein Fernsehen mehr?
Mich macht das irgendwie nervös. Dabei war ich ein totales Fernsehkind. Ich hatte schon mit sechs einen eigenen Fernseher - den Schwarzweißfernseher meiner Mutter, den sie gegen einen Farbfernseher ausgetauscht hatte. Ich fand das toll, aber heute gibt mir das nicht mehr so viel.
Und als Kind haben Sie dann so was wie "Tom & Jerry" geguckt ...
Absolut. Ich bin ja im Osten geboren, aber neben den Ostprogrammen hatten wir ja alle auch Westfernsehen. (lacht) Und ich habe auf jeden Fall alles geguckt, was in der ARD, dem ZDF oder dem Dritten lief. "Hart aber herzlich" oder "Ein Colt für alle Fälle" - das waren meine Serien!
Was sind denn Ihre Lieblingsfilme - geht das in Richtung Animationsfilme?
Es kommt darauf an. Durch meine kleine Tochter habe ich jetzt zum ersten Mal wirklich sehr viele davon gesehen. Und es gibt wirklich tolle Animationsfilme! Einer der letzten, die ich gesehen habe, war "Soul". Das ist echt ein wunderschöner Film, nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene.
Für den Soundtrack zum neuen "Tom & Jerry"-Film haben Sie nun den Klassiker "Vielen Dank für die Blumen" von Udo Jürgens neu eingesungen ...
Ja, das war mir eine große Ehre und Freude.
Das ist bei Weitem nicht Ihre erste Coverversion. Sie haben sogar schon zwei reine Cover-Alben aufgenommen. Fällt ein gutes Cover eigentlich schwerer als ein eigener Song - oder ist es vielleicht sogar leichter, weil es schon eine Vorlage gibt?
Leichter, würde ich sagen. Das ist ja fast wie Urlaub. Es ist toll, für ein gut geschriebenes Lied nochmal einen anderen Weg zu finden. Produktion und Interpretation sind zwei Säulen, die vieles verändern. Sie machen neben Komposition und Text ein Stück zu dem, was es ist. Ich bin gern auch einfach nur Interpretin. Es ist großartig, wenn man wunderschöne Lieder dazu nutzen kann, sich auszudrücken.
Dabei ist "Vielen Dank für die Blumen" auch nicht das erste Lied von Udo Jürgens, das Sie eingesungen haben. Geht man bei so einem Originalinterpreten die Sache mit besonderer Ehrfurcht an?

2014 stand sie mit Udo Jürgens gemeinsam auf der Bühne - im Rahmen einer TV-Show zu seinem 80. Geburtstag. Wenige Monate später starb der Sänger.
(Foto: imago/STAR-MEDIA)
Ich durfte Udo Jürgens vor seinem Tod noch kennenlernen. Ich schätze ihn wirklich sehr. Für mich ist er einer der großen und erfolgreichen Chansonniers, sozusagen der deutschsprachige Charles Aznavour. Auch im hohen Alter war er noch unglaublich wach. Ich hätte sicher noch viel von ihm lernen können. Es freut mich schon sehr, dass sie für das Lied jetzt Annett Louisan ausgewählt haben. Und wenn ich es höre, finde ich, dass es wirklich wie ein Louisan-Stück klingt. (lacht) Es passt einfach total gut.
Apropos "Vielen Dank für die Blumen" - sind Sie eigentlich eine Frau, der man mit Blumen eine Freude machen kann?
Absolut. Ich glaube, ich schenke mir selbst am allermeisten Blumen. Wenn ich Blumen im Haus habe, habe ich das Gefühl, mich unter Kontrolle zu haben. (lacht) Ich kann tatsächlich sehr chaotisch sein. Aber wenn Blumen auf dem Tisch stehen, ist alles gut.
Das mit den Coverversionen wurde bei Ihnen ja ein bisschen durch die Teilnahme an der Fernsehshow "Sing meinen Song" initiiert. Viele Künstler schwärmen noch im Nachhinein von dem Format. Sie auch?
Ja, das war toll. Und mit Blick auf die Coversongs war es auf jeden Fall ein Aha-Erlebnis. Ich hatte zwar auch schon vor der Sendung mal Coversongs gesungen. Aber die Idee, das auch aufzunehmen und zum Konzept zu machen, ist tatsächlich erst mit der Sendung entstanden.
"Tom & Jerry" ist extremer Haudrauf-Humor. Ihre Texte sind auch sehr oft humorvoll, aber deutlich feinsinniger. Können Sie über viele verschiedene Dinge lachen?
Unbedingt. Ich habe ja eher das Gefühl, dass Annett Louisan eine Art nette Schwester von mir ist. (lacht) Ich glaube, privat bin ich in Sachen Humor ein bisschen zynischer. Ich schreibe gerade an einem neuen Album und versuche, genau das auch ein bisschen auszutesten.
Ihre Tochter ist inzwischen drei. In anderen Interviews haben Sie geschildert, wie Sie in der ersten Zeit nach der Geburt vollends in Ihrer Mutterrolle aufgegangen sind. Jetzt schreiben Sie wieder an einem neuen Album. Haben Sie Ihre Bestimmung als Künstlerin wiederentdeckt?
Ja, auch wenn das hier und da ein schmerzlicher Prozess war. Ich hatte das Glück, mir rund um die Geburt eine Auszeit nehmen zu können. Aber letztlich habe ich gemerkt, dass ich die Bühne und die Musik auch brauche, weil sie mich glücklich machen. Ich versuche, dieses für Frauen oft typische schlechte Gewissen abzulegen. Ich bin halt eben einfach auch berufstätig und liebe das. Ich glaube, diese Autonomie macht mich auch zu einer besseren Mama. Aber das ist natürlich für jede anders. Am Ende muss das jede für sich selbst herausfinden.
Dabei hat Ihnen die Corona-Krise sicher ebenso einen Strich durch die Rechnung gemacht wie vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern. Wie sehr hat Sie das ausgebremst?
Ich versuche, nicht so viel Angst vor der Zukunft zu haben. Angst ist kein guter Berater und man muss derzeit auf seine Seele und sein Gemüt aufpassen. Mir hat mein Cover-Projekt im letzten Jahr ziemlich den Hintern gerettet. Dadurch hatte ich die Chance, ein bisschen zu spielen, Fernsehauftritte zu machen und etwas zu reisen. Aber ich habe auch viele befreundete Musiker, die seit über einem Jahr nicht auf der Bühne gestanden haben und gar nichts tun können. Das ist wirklich eine harte Belastung! Das hat ja auch was mit Passion zu tun. Aber ich versuche, der Situation auch etwas Positives abzugewinnen. Zwangsläufig konnte ich dadurch sehr viel mehr Zeit mit meiner Tochter verbringen. Und das ist schön!
Aber auch stressig, wenn die Kita zu ist ...
Ja, es ist natürlich wahnsinnig anstrengend, ein dreijähriges Kind zu beschäftigen - ohne Kita, ohne Großeltern und im ersten Lockdown auch ohne Spielplätze.
Sie haben in den vergangenen Jahren häufiger kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um politische Themen wie Rassismus oder Rechtspopulismus ging. Auch zur AfD haben Sie schon mal klare Worte gefunden. Was fällt Ihnen denn zu Corona-Leugnern und Verschwörungsfantasien ein?
Das finde ich sehr gefährlich. Es gibt ja auch eine Verschwörungstheorie, die sich um mich dreht. Ich war 2011 mal in der Talkshow "3 nach 9". Für einen Beitrag über mich hatten sie ein altes Bild von meiner Mutter rausgekramt. Ihr Haarschnitt darauf glich dem der jungen Angela Merkel - das war halt zu dieser Zeit im Osten sehr modern. Irgendein Idiot hat dann im Internet behauptet, ich sei Merkels Tochter. Seither kriege ich wirklich jeden Tag und aktuell verstärkt Zuschriften von Menschen, die das glauben. Sie machen sich einfach nicht die Mühe, herauszufinden, woher diese Information stammt und dass sie vollkommen absurd ist. Das macht mir Angst. Mehr muss ich dazu eigentlich gar nicht sagen.
Sie haben in jüngster Zeit in Interviews auch häufiger über Ihre Rolle als Frau im Musikgeschäft gesprochen und darüber, wie es ist, speziell als Frau in dem Geschäft älter zu werden. Würden Sie sagen, dass Sie es schwerer als männliche Kollegen haben?
Ja, ich denke schon. Aber als Frau in diesem Geschäft lerne ich gerade auch noch dazu. Ich bin heute auch nicht mehr wie vor 20 Jahren, als ich angefangen habe. Gott sei Dank entwickeln wir uns ja so, dass wir immer mehr lernen, was nicht wichtig ist. (lacht) Zugleich ist das Älterwerden für uns alle nicht ganz einfach. Ich glaube, um in Würde alt zu werden, braucht es viel Humor, Respekt vor sich und anderen und Mut. Man muss sich trauen, älter zu werden. Eine Künstlerin wie Marlene Dietrich zum Beispiel hat das nicht gewollt und sich irgendwann zurückgezogen. Hildegard Knef wiederum hat sich dem gestellt. Das würde ich auch gern.
Zugleich ist es ja keine Selbstverständlichkeit, im Musikgeschäft so lange dabei zu sein. Wie dankbar sind Sie dafür?
Sehr. Und ich weiß auch, dass so eine Karriere künftig nicht mehr möglich sein wird, weil die Zeit schnelllebiger geworden ist und es immer mehr Medien gibt.
Warum haben Sie das geschafft?
Ich könnte dafür jetzt kein Rezept nennen. Vielleicht nur das: Mir war es nie wichtig, ein Star zu werden oder berühmt zu sein. Ich wollte einfach immer nur Sängerin werden. Ich habe wegen meiner eigentlich doch eher introvertierten Art viele Sachen auch nicht gemacht. Erst durch meinen Beruf bin ich ein bisschen extrovertierter geworden.
Man hat bei Ihnen aber auch das Gefühl, dass Sie sehr fleißig sind. Sie haben zum Beispiel in 16 Jahren neun Studioalben veröffentlicht. Sind Sie ein Workaholic?
Ja, ich bin sehr, sehr ehrgeizig. (lacht) Okay, ich kann auch sehr melancholisch sein. Und unsicher. Aber ich versuche, mich immer zu verbessern. Das ist meine Philosophie. Vielleicht konnte ich viele Platten machen, weil ich in der Musik gut loslassen kann. In der Malerei war das immer anders. Die konnte ich nicht zu meinem Beruf machen! Da war ich kaum kritikfähig und hatte noch viel stärker das Gefühl, etwas von mir zu zeigen und preiszugeben.
Ihre für dieses Jahr geplante Tournee mussten Sie auf April 2022 verschieben. Wie sehr schmerzt das?
Gerade versuche ich, mir die Bühne gar nicht vorzustellen. Da kriege ich sofort Sehnsucht. Aber: Wir hatten die Tournee fast ausverkauft - und nur sehr wenige Menschen haben ihre Tickets zurückgegeben. Dafür möchte ich mich bedanken. Und ich bin mir sicher: Nächstes Jahr geht es dafür dann richtig ab!
Mit Annett Louisan sprach Volker Probst
"Tom & Jerry" läuft ab sofort in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de