Die Party fängt gerade erst an Von wegen Provinz!
17.07.2020, 19:02 Uhr
Aus Vogt in die große weite Welt: Provinz.
(Foto: Max Menning / Warner Music)
Mit Folk-Pop, Schmiss in der Stimme und Songs wie "Wenn die Party vorbei ist" gehören Provinz zu Deutschlands hoffnungsvollsten Newcomern. Nun erscheint ihr Debütalbum "Wir bauten uns Amerika". Mit ntv.de sprechen Sänger Vincent Waizenegger und Schlagzeuger Leon Sennewald aber auch über Diego Maradona, Alkohol vorm Auftritt und natürlich das Leben in der Provinz.
ntv.de: 2020 hätte euer Jahr werden sollen. Mit der Veröffentlichung eures Debütalbums, aber auch mit einer ausverkauften Tour und allein 60 Festival-Auftritten. Das alles ist wegen der Corona-Krise flachgefallen. Mal Hand aufs Herz: Wie oft habt ihr in den vergangenen Monaten geflucht?
Vincent Waizenegger: Schon sehr oft. Auch wenn man zu verdrängen versucht, was ohne die Corona-Krise gewesen wäre. Auf jeden Fall hätten wir jetzt schon einiges zu erzählen gehabt. Und wir wären im Herbst bereits auf unsere zweite Tour gegangen, die auch schon zu 90 Prozent ausverkauft ist. Das ist alles sehr schade. Aber wir hoffen einfach auf nächstes Jahr.
Euer Terminkalender in der ersten Jahreshälfte war eigentlich voll, dann auf einmal komplett leer. Was habt ihr mit der freien Zeit angestellt?
Leon Sennewald: Eigentlich war es ziemlich cool, auf einmal so viel freie Zeit zu haben, mit der man nicht gerechnet hatte. Wir haben sie auch genutzt, um neue Lieder zu schreiben, kreativ zu sein und viel zu proben. Auch Interviews oder kleine Dokumentationen haben wir gedreht. Und wir machen viel Sport und kochen viel. (lacht)
Und das alles im schönen Vogt. Ihr kommt aus einem Dorf mit rund 4500 Einwohnern bei Ravensburg in Baden-Württemberg. Was ist das touristische Highlight dort?
(beide lachen)
Sennewald: Von außerhalb kommt man wahrscheinlich nur hierher, weil hier eben nichts ist - nur Natur und gute Luft. Ich glaube, die Hauptattraktion sind das Sportheim und der Fußballplatz. Und es gibt ein sehr gutes Restaurant ...
Waizenegger: ... und einen Edeka und eine Tankstelle.
Wenigstens eine 24-Stunden-Tankstelle?
Sennewald: Nein, keine 24 Stunden. Die macht um 21 Uhr zu. (lacht)
Ihr macht ja eure Herkunft ein Stück weit zum Programm. Der Bandname Provinz spricht für sich. Wie hat euch das geprägt?
Waizenegger: Ich finde, als Kind ist es sehr schön, in der Provinz groß zu werden. Sobald man aber pubertiert, sich entwickelt und Musik für sich entdeckt, würde man das alles dann doch gern mal hautnah in der großen Stadt erleben. Die Perspektive verändert sich und auf einmal denkt man, man würde etwas verpassen. Hier hat man zwar enge Freunde, aber es sind halt dann doch immer wieder die gleichen Leute, die man jeden Tag trifft. So fühlt man sich ein Stück weit gemeinsam einsam.
Sennewald: Aber auch wenn wir das mit 14 kacke fanden, wissen wir es inzwischen auch zu schätzen. Nachdem wir eine Tour gespielt haben und auf Festivals waren, kommen wir hierher zurück. Hier ist es ruhig und total entschleunigt. Klar, trifft man dann auf einmal wieder auf die gleichen fünf Gesichter, mit denen man aufgewachsen ist. Aber das ist auch gut, ein schöner Ruhepol, den man irgendwann auch zu schätzen weiß.
Jetzt kommt ihr nicht nur alle aus demselben Dorf. Drei von euch - außer Leon - sind auch noch als Cousins miteinander verwandt. Welche Auswirkung hat das auf das Bandgefüge?
Sennewald: Ich bin ja der Außenstehende. Man merkt einfach, dass die drei nochmal etwas ganz anderes als nur Freundschaft verbindet. Wenn es bei uns Diskussionen gibt, wird sich gern mal ein bisschen geprügelt. (lacht) Zugleich gibt es einen ganz extremen familiären Zusammenhalt. Es ist sehr intensiv - in jeder Hinsicht.
Ihr habt schon im sehr jungen Alter angefangen, Musik zu machen. Erst haben Vincent und Robin als Duo namens Twice zusammengespielt. Dann kam Moritz hinzu und schließlich Leon. Wie seid ihr denn grundsätzlich zur Musik gekommen?
Waizenegger: Der ursprüngliche Impuls kam auf jeden Fall über unsere Eltern. Es war in gewisser Weise Pflicht, ein Instrument zu spielen. Ich habe es erstmal nicht gern gemacht und hatte auch keine Lust zu üben. Ich bin vom Klavierunterricht über das Schlagzeug zum Gitarre spielen gekommen, das ich mir dann selbst beigebracht habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich auch einfach spielen kann, was ich möchte und mich so frei ausdrücken kann. Ab dem Moment habe ich den Spaß daran für mich entdeckt.
Auch den am Singen?
Waizenegger: Meine ganze Familie singt viel - auf allen Familienfesten. (lacht) An Weihnachten saßen dann mal Robin und Moritz neben mir und wir haben angefangen, den ersten Song zu schreiben. Da war ich vielleicht zwölf. Das war noch alles extrem schlecht. Aber wir haben gemerkt, dass es Spaß macht. Deshalb habe ich es weiter verfolgt.
Erst einmal habt ihr euch eure Sporen als Straßenmusiker verdient. Nun sind aber Fußgängerzonen und Publikum in Vogt vermutlich endlich. Wie muss man sich das vorstellen?
Waizenegger: (lacht) Wenn wir Straßenmusik gemacht haben, waren wir eigentlich meistens am Bodensee. Das ist etwa eine halbe Stunde von uns entfernt. Da standen wir dann an der Promenade in Friedrichshafen. Das hat uns nicht nur geprägt, weil das unsere ersten Erfahrungen waren, vor Menschen zu singen. Ich glaube, ich habe da auch als Sänger viel gelernt. Irgendwann schreit man mal und singt lauter als normalerweise - weil man Aufmerksamkeit braucht. Ich denke, deshalb ist meine Stimme heute auch so, wie sie ist.
Ihr sollt dabei bis zu 200 Euro in der Stunde verdient haben. Kein schlechter Verdienst ...
Waizenegger: Ja, voll! Deshalb sind wir auch dran geblieben, weil es einfach Geld gebracht hat.
Sennewald: Am Bodensee liefen auch viele wohlhabende Rentner rum, die uns süß fanden. (lacht) Sie haben dann auch gerne mal etwas mehr gegeben.
Trotzdem seid ihr das Ganze dann doch etwas professioneller angegangen. Anfang 2019 habt ihr einen Plattenvertrag mit einem sogenannten Majorlabel bekommen. Wie kam es dazu?
Sennewald: Wir haben beim "Bandpool" mitgemacht. Das ist ein Förderprojekt der Popakademie in Mannheim. Da muss man vor einer Jury vorspielen, die aus Menschen aus der Branche besteht. In ihr waren alle Majorlabels vertreten - und es gab Interesse an uns.
Viele junge Musiker versuchen ja inzwischen ihr Glück auf ganz andere Art und Weise, etwa, indem sie Youtube-Videos hochladen oder an Castingshows teilnehmen. War das jemals eine Option für euch?
Waizenegger: Auf jeden Fall. Wir haben genauso Youtube-Videos hochgeladen, bei einem Band Contest mitgemacht, Straßenmusik gemacht und alle Jugendzentren hier im Umkreis abgegrast. Wir haben über viel nachgedacht und viel ausprobiert, um uns einen Namen zu machen, auch über das Internet. Zum Glück hat es dann anderweitig funktioniert.
Ihr bezeichnet eure Musik selbst als deutschsprachigen Folk-Pop. Euer Proberaum dagegen ist mit Erinnerungsstücken an die Beatles vollgestopft, weil er dem Vater von Moritz gehört, der ein großer Beatles-Fan ist. Habt ihr diesen Einfluss auch mitgenommen?
Sennewald: Auf jeden Fall! Die erste musikalische Sozialisierung erfährt man ja mit dem, was man von zu Hause mitbekommt. Gerade bei den drei Cousins war viel alte Musik involviert. Bei Vincent waren es etwa die Hosen oder Herbert Grönemeyer. Bei Moritz waren es die Beatles und ältere Sachen. Das fließt zumindest unterbewusst in den Songwriting-Prozess mit ein. Für uns stand zudem immer fest, dass wir keine Synthies oder elektronische Spielereien wollen, sondern mit klassischen Instrumenten musizieren. Daher kommt ein bisschen der Folk-Einfluss bei uns.
Dementsprechend werdet ihr gern in einem Atemzug mit AnnenMayKantereit und Faber genannt. Vielleicht auch, weil ihr ebenfalls mit dem Produzenten von ihnen zusammenarbeitet. Nerven diese Vergleiche oder fühlt ihr euch dadurch eher geehrt?
Waizenegger: Noch nervt es mich nicht so richtig. Natürlich will man für sich selbst stehen. Aber ich kann auch verstehen, wie man auf den Vergleich kommt. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten - dass wir markante Stimmen haben, organische Instrumente benutzen, Deutsch singen, aber zugleich vielleicht nicht ganz so klassische deutsche Texte haben. Natürlich steckt man das in dieselbe Schublade. Das ist aber auch nicht so schlimm, weil es schlimmere Musik als die von AnnenMayKantereit und Faber gibt, die auch wichtige Bands für uns sind.
Ein Kollege von mir hat geschrieben, charakteristisch für euch sei Vincents Stimme, die ergreifend rau sei, aber auch immer irgendwie "schnoddrig angesoffen" klinge. Hat Vincent immer einen sitzen, wenn er singt?
Sennewald: Jetzt kommt es raus!
Waizenegger: Eigentlich nicht. (lacht) Ich weiß auch nicht, wie man darauf kommt.
Sennewald: Wir trinken schon mal vorm Auftritt, aber wir sind eigentlich nie betrunken!
Waizenegger: Wir versuchen es zumindest.
Musikalisch fällt einem die irgendwie allgegenwärtige Melancholie bei euch auf, selbst wenn ihr einen Party-Song singt. Woher kommt das?
Waizenegger: Das stimmt, das ist irgendwie immer ein Bestandteil. Ich glaube, das kommt daher, dass ich beim Songwriting immer Angst davor habe, belanglos zu sein. Deshalb bin ich oft inspiriert, wenn es mir nicht so gut geht. So entsteht dann zum Beispiel ein Song wie "Wenn die Party vorbei ist". Eigentlich geht es in ihm darum, ausgelassen zu feiern. Aber irgendwann kommt man eben nach Hause - und ist wieder alleine. Ich mag das manchmal und muss so eine Stimmung kreativ nutzen. Für mich ist das gar nicht so traurig, sondern ganz normal.
Ihr habt euch den Namen Provinz selbstbewusst gegeben. Genauso selbstbewusst haben Kraftklub mal gesungen: Ich will nicht nach Berlin. Was sind eure Pläne - bleibt ihr in der Provinz?
Waizenegger: Ich glaube, nach Berlin wollen wir nach wie vor nicht. Wir würden aber schon gern mal in eine Stadt. Das gehört auch dazu. Ursprünglich wollten wir dieses Jahr umziehen. Vielleicht klappt es Ende dieses Jahres oder Anfang nächstes Jahr. Eigentlich wollten wir am liebsten nach Hamburg. Dort haben sich viele Freundschaften entwickelt, unser Label ist da und wir sind gut connected. Aber vor allem ist die Stadt einfach schön, irgendwie eine Mischung aus München und Berlin. Das würde uns ganz gut taugen. Auf jeden Fall werden wir die Provinz verlassen.
Apropos Kraftklub. Sie haben 2018 das "Wir sind mehr"-Konzert in Chemnitz organisiert. 2019 seid ihr bei der Nachfolgeveranstaltung "Wir bleiben mehr" aufgetreten. In euren Texten seid ihr eher unpolitisch. Warum habt ihr da mitgemacht?
Sennewald: Wir sind in unseren Texten zwar nicht extrem politisch, aber deshalb auch nicht an sich unpolitisch. Wir sind durchaus politikinteressiert und wollten auch ein Zeichen setzen, weil wir es eine sehr gute Aktion fanden.
Waizenegger: Bisher hat es sich für uns auch einfach noch nicht ergeben, einen politischen Text oder explizit politischen Song zu schreiben. Ich finde aber, dass bei unseren Texten ab und zu schon eine gesellschaftskritische Note mitschwingt. Und wenn es sich ergibt, würde ich mich dem auf jeden Fall auch nicht verschließen.
Euer Album trägt den Titel "Wir bauten uns Amerika". Man könnte denken, es ginge um die aktuelle politische Situation. Darum geht es aber nicht ...
Sennewald: Nein. Der Titel ist auch schon vor längerer Zeit entstanden. "Wir bauten uns Amerika" ist eher ein Sinnbild aus einem Song auf dem Album. In ihm geht es darum, dass eine Person für eine andere alles tun würde - sogar dieses große Amerika bauen. Wir nehmen Bezug auf dieses vergangene Land der grenzenlosen Möglichkeiten, die Illusion des "American Dream", die es mal gab.
Waizenegger: Aber natürlich bekommt der Titel gerade nochmal eine neue Bedeutung. Trotzdem bin ich froh, dass wir bei ihm geblieben sind. Wir und, ich denke mal, auch unsere Fans wissen, wie wir es gemeint haben.
Das Album folgt auf eure EP, die ihr vergangenes Jahr veröffentlicht habt. Sind das alles neu geschriebene Songs oder hattet ihr schon einen gewissen Fundus, auf den ihr zurückgreifen konntet?
Sennewald: Drei Songs standen schon. Aber tatsächlich haben wir im letzten halben Jahr acht von elf Songs neu geschrieben. Das war schon viel Arbeit. Wir mussten uns als Band sehr schnell professionalisieren und hatten deshalb extrem viel Stress. Das war eine wichtige Erfahrung, aber es war auch nicht einfach. Jetzt bin ich allerdings megahappy und krass stolz auf das Album. Ich glaube, dass wir das ganz gut gemeistert haben.
Auf dem Album ist auch der Song "Diego Maradona". Wie kommt man mit Anfang 20 darauf, ein Lied über ihn zu schreiben?
Waizenegger: Ich arbeite im Kino in Ravensburg manchmal als Vorführer. Da wurde die Dokumentation "Maradona, der Goldjunge" gezeigt. Ich fand den Typen extrem inspirierend, witzig und einzigartig. In Argentinien wurde er ja unglaublich vergöttert. Da hing in der Küche auf der einen Seite ein Bild von Maria und auf der anderen ein Bild von ihm. Später ist er so abgestürzt und zum kleinen, dicken, irren Drogenbaron geworden. Das fand ich ein verrücktes Bild - "Diego" ist in dem Song ja eine Metapher für die Extreme.
Ihr seid aber auch Fußball-Fans. Für welchen Verein schlägt eigentlich euer Herz?
Waizenegger: Es gibt bei uns zwei Parteien: Ich bin Dortmund-Fan, Robin ist Bayern-Fan. Da fetzen wir uns auch regelmäßig. Und wir hatten eine Wette am Laufen: Ich habe am Anfang der letzten Saison gesagt, dass Dortmund Meister wird. Robin dagegen hat natürlich gesagt: "Bayern wird Meister." Und weil jetzt Bayern Meister geworden ist, muss ich beim nächsten Auftritt ein Bayern-Trikot anziehen. Das wird sehr beschämend. (lacht)
Gibt es schon Pläne, wie es nach der Corona-Krise für euch weiter geht?
Waizenegger: Noch nicht so richtig. Jetzt kommt erstmal das Album raus. Die Touren werden aber alle verschoben. Wir werden allerdings sogenannte Picknick-Konzerte geben. Ansonsten lassen wir es ruhig angehen und hoffen, dass es im Frühjahr wieder weitergeht.
Angeblich hatten eure Eltern, die selbst in einer Coverband spielen, die Idee, euch mal als Vorband zu begleiten, wenn es dann wieder auf Tour geht. Sehen wir euch also bald mit euren Vätern im Vorprogramm?
Waizenegger: Ich glaube, da müssen sie noch üben!
Mit Vincent Waizenegger und Leon Sennewald von Provinz sprach Volker Probst
Provinz treten im August im Rahmen sogenannter Picknick-Konzerte unter freiem Himmel live in Leipzig (7.8.) und Dresden (9.8.) auf.
Quelle: ntv.de