"Tatort" im Schnellcheck Hardcore-Fall, einfühlsam erzählt
04.05.2024, 15:37 Uhr Artikel anhören
Ermitteln 18 lange Filmminuten im Horrorhaus: Karow (Mark Waschke) und Bonard (Corinna Harfouch).
(Foto: rbb/PROVOBIS/Gordon Muehle)
Zum zweiten Mal innerhalb von nur vier Wochen erzählt der Sonntagskrimi im Ersten eine Geschichte von Folter und sexualisiertem Mord. Und doch ist diesmal alles anders als in München.
Was passiert?
In ihrem zweiten Fall untersuchen die Kommissare Susanne Bonard (Corinna Harfouch) und Robert Karow (Mark Waschke) einen Tatort in Berlin-Lichtenberg. Der Tote wurde in seinem Haus erstochen, ohne Anzeichen für einen Einbruch oder Raub. Erst als Karow eine geheime Tür entdeckt, wird klar: Das vermeintliche Opfer war vielmehr Täter. Die Suche nach einer flüchtigen, möglicherweise traumatisierten, Frau führt Bonard und Karow in die vietnamesische Gemeinschaft Berlins. Sie begegnen der Tierärztin Dr. Lê Müller (Mai-Phuong Kollath), die den Toten kannte und offensichtlich mehr weiß, als sie zugibt – brauchen aber die Hilfe der LKA-Beamtin Pham Thi Mai (Trang Le Hong), um einen Zugang zu der verschlossenen Community zu finden.
Worum geht es wirklich?
"Am Tag der wandernden Seelen" öffnet einerseits einen Blick in eine Parallelgesellschaft, die die meisten wegen ihrer Diskretion wohl gar nicht auf dem Schirm haben - und erklärt, was die DDR und die "Baseballschlägerjahre" der 1990er mit ihrer Entstehung zu tun haben. Andererseits thematisiert dieser "Tatort" zum zweiten Mal innerhalb von nur vier Wochen im Sonntagskrimi Folter und Snuff-Movies. Weil Drehbuchautorin Josefine Scheffler und Regisseurin Mira Thiel dafür aber einen komplett anderen ästhetischen Ansatz wählen als die Münchner in "Schau mich an" (mehr dazu in unserem Nachdreh am Sonntag ab 21:45 Uhr), fällt das nicht störend auf.
Wegzapp-Moment?
Einige der Szenen, in denen die vietnamesische Kultur erklärt wird, sind etwas langatmig und oberlehrerhaft geraten. Das ist allerdings Meckern auf hohem Niveau und uns vor allem deshalb aufgefallen, weil der Film sonst hervorragend ohne überflüssige Erklärungen auskommt und sich stattdessen aufs Erzählen und Fühlen konzentriert.
Wow-Faktor?
Die Art, wie Regisseurin Thiel und Kameramann Moritz Anton mit den auf VHS gebannten Morden umgehen: Statt Ausschnitte zu zeigen, bleibt die Kamera starr auf Karows Gesicht gebannt und fängt seine Reaktion ein. Elegant gelöst und dabei nicht weniger eindringlich als die Schockerbilder aus München.
Wie ist es?
9 von 10 Punkten. "Am Tag der wandernden Seelen" ist ein vielschichtiger Krimi, der ein verstörendes Thema einfühlsam erzählt und dabei fast nie überfrachtet wirkt: Stark! Nur der unbeholfene Schluss hätte nicht sein müssen.
Quelle: ntv.de