"Polizeiruf 110" Streifenhörnchen mit Tiefgang
14.09.2019, 17:32 Uhr
Die schönste TV-Polizistin am Sonntagabend, findet "Polizeiruf"- und "Tatort"-Spezialist Ingo Scheel: Elisabeth "Bessy" Eyckhoff, die Neue.
(Foto: dpa)
Der erste Fall fürs neue Team in München: Elisabeth Eyckhoff tritt in die Fußstapfen des Hanns von Meuffels und läuft los, als hätte sie das schon immer getan. "Der Ort, von dem die Wolken kommen" ist eine vielversprechende "Polizeiruf"-Premiere.
Wenn es darum geht, die Nachfolge eines überaus erfolgreichen - und vor allem beliebten - TV-Kommissars im Rahmen von "Tatort" oder "Polizeiruf 110" anzutreten, liegt einiges an Fußangeln aus. Orientiert man sich an gelernten Mustern, erliegt man womöglich der Verlockung, eine Kopie zu konzipieren oder gerät das Gegenteil davon zur angestrengten Freischwimmer-Übung? In München, das wird beim neuesten Fall schnell klar, scheint man sich um all das wenig Gedanken gemacht zu haben. Der lyrische Titel "Der Ort, von dem die Wolken kommen" wirkt da noch am ehesten konstruiert, alles andere aber ist in den Händen von Streifenpolizistin Elisabeth Eyckhoff (Verena Altenberger) in besten Händen.
Dabei kann man dem Tandem Florian Schwarz (Regie) und Autor Michael Proehl, der den abgesprungenen Günter Schütter ("Frau Bu lacht") ersetzte, kaum vorwerfen, sich in puncto Fallhöhe zurückgehalten zu haben, im Gegenteil: Die Premiere von Bessy, wie Eyckhoff gern genannt wird, ist ein verwinkeltes Labyrinth, in dem sich nicht nur Täter und Opfer, sondern auch die Polizistin - und die Zuschauer - zu verlieren drohen.
Im Mittelpunkt steht Polou (Dennis Doms), ein verwahrloster Junge, den die Polizei aufgreift. Seine wahre Identität ist nicht zu klären, Narben und Hornhaut am ganzen Körper zeugen von Misshandlungen. Untersuchungen ergeben zudem, dass er in einem lichtarmen Kerker gefangen gehalten wurde. Im Krankenhaus untergebracht, von Eyckhoff und ihrem Team bewacht und vorsichtig befragt, kommen Psychologen und Polizei den gesuchten Antworten jedoch kaum näher. Bis Dr. Kutay (Katja Bürkle), Spezialistin für traumatisierte Kinder, die Möglichkeit der Hypnose ins Spiel bringt. Zunächst wird Polou allein auf die Reise in seine Gedankenwelt geschickt. Als das noch nicht den gewünschten Erfolg bringt, führt die Psychologin eine Doppel-Hypnose durch - und stellt dem Jungen Elisabeth Eyckhoff, das "Streifenhörnchen", an die Seite, als Bodyguard im Trance-Zustand.
David Lynch lässt grüßen
Zusammen mit Eyckhoff/Altenberger bilden zwei weitere Polizisten das Münchner Trio: Da ist Eyckhoffs Halbbruder Cem (Cem Lukas Yeginer), ein dauerschlürfender Zucker-Junkie, und Wolfgang Maurer (Andreas Bittl), ein Stenz mit großem Herzen, leicht ölig, aber nicht unsympathisch. Einen Vorgesetzten gibt es natürlich auch. Dass es mit dem alles andere als rund läuft, versteht sich von selbst. Erst hält Strasser (Norman Hacker) sich zu sehr raus, dann quatscht er zu viel rein.
"Der Ort, von dem die Wolken kommen" ist ein vielschichtiger und höchst ambitionierter Krimi, der bei aller Komplexität über ein tolles Timing verfügt. Mal geraten die Innenaufnahmen des Krankenhauses, später des Kerkers, zu klaustrophobischem Thrill zwischen "Babadook" und Nordic noir. Dann wieder verschiebt Florian Schwarz so gekonnt die Handlungsebenen, dass man sich kurzzeitig darin verliert. Wer an David Lynchs Plot-Verwinkelungen denkt, liegt hier so falsch nicht.
Und dann ist da noch Verena Altenberger, die sich den Part der Polizistin von der ersten Szene an vollends zu eigen macht: Bodenständig und empathisch einerseits, mit dunklem Geheimnis und emotionalen Herausforderungen andererseits. Ein fulminanter Auftakt der Post-Meuffels-Ära - voller Suspense, Andeutungen, Schreckmomenten und der schönsten TV-Polizistin in der Geschichte des Sonntagabend-Krimis.
Quelle: ntv.de