Der "Tatort" im SchnellcheckThe Show must go on

Drei Fälle noch, dann fällt für Batic und Leitmayr der letzte Vorhang. Passend dazu bekommen sie es mit einem Todesfall auf offener Bühne zu tun. "Das Verlangen" unterhält als Schauspiel zwischen Klischees und Krimirätsel.
Was passiert?
Tschechows "Die Möwe" steht auf dem Spielplan eines Münchner Theaters, der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Ensemble gibt sein Bestes, bis Nora (Giulia Goldammer) plötzlich auf der Bühne zusammenbricht. Das Publikum hält den Atem an. Gehört das zum Stück - oder hat die Schauspielerin womöglich einen Schwächeanfall? Weder noch, so lautet die tragische Antwort - Nora Nielsen ist tot, vergiftet durch etwas, das sich in der "Rotwein"-Flasche befand, von der sie während der Szene mehrmals einen großen Schluck genommen hatte.
Doch wer trachtete der talentierten Aktrice nach dem Leben? Gina Rohland (Ursina Lardi), der Star des Hauses, vielleicht in Angst, dass ihre Tage als Lichtgestalt des Hauses gezählt sein könnten? Johannes Lange (Robert Kuchenbuch), von dem sie sich gerade getrennt hatte? Oder Stella (Luzia Oppermann), die so gern Noras Part gespielt hätte? Für Batic (Miroslav Nemec), Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Hammermann (Ferdinand Hofer) beginnt ein ungewöhnlicher Ausflug in die Zwischenwelt eines Theaterbetriebes.
Worum geht es wirklich?
Zunächst einmal um den drittletzten Fall der Münchner Langzeit-Kommissare, im nächsten Jahr folgen noch die "Tatort"-Episoden 99 und 100 der beiden, dann heißt es leise "Servus". Mit "Das Verlangen" nun ist das Duo ein weiteres Mal nach 1996 in der Welt des Bühnenschauspiels unterwegs. In "Aida" hatte es damals zunächst einen Dirigenten, später einen Startenor dahingerafft. Diesmal muss eine junge Schauspielerin dran glauben.
Regisseur Andreas Kleinert über seine persönlichen Beweggründe: "Da das Theater neben dem Film meine zweite Leidenschaft ist und ich mit 'Die Frau von früher' von Roland Schimmelpfennig und mit 'Hedda' nach Henrik Ibsen zwei Theaterverfilmungen gedreht hatte, sollte 'Die Möwe' nach Anton Tschechow ein nächster Kinofilm werden. Doch die Pandemie hat diesen schönen Traum einer erneuten, modernen Theateradaption vorläufig platzen lassen. Da kam die großzügige Möglichkeit der BR-Redaktion einen 'Tatort' komplett im Theater spielen zu lassen."
Wegzapp-Moment?
Man muss sich auf diese Welt des Theaters einlassen, und nicht nur das, vielmehr bekommt auch die "Tatort"-Inszenierung selbst einen theatralischen Vibe - die Kulissen, die Montage zwischen den Spielszenen des Ensembles und dem realen Geschehen rund um das Verbrechen sorgen für einen eigenwilligen Rhythmus, der vielleicht nicht jedermanns Sache sein könnte. Ob das fürs Wegzappen reicht, liegt wie üblich im Auge des Betrachters.
Wow-Faktor?
Die Kulissen des Theaters, die verwinkelten Treppen und Gänge, die Garderoben, der Schnürboden, all das sind Einblicke, die man so geballt nicht oft zu sehen bekommt, da ist der "Wow"-Faktor durchaus hoch. Was Kleinerts Liebe zum Theater angeht, stellt sich die Frage, ob "Das Verlangen" tatsächlich als Werbung für einen baldigen Theaterbesuch durchgeht - all die Neurosen, die Eitelkeiten, der Wodka im Orangensaft, der Flachmann zum Kaffee, die Launen und Laster, die Egomanie. Da kommt einiges an Klischees zusammen. "Ich spür’s nicht!" - sprechen die vom Theater wirklich so manieriert miteinander? Wow!
Wie war’s?
7 von 10 Punkten - solides "Whodunit" in ungewöhnlichem Setting mit schmucker Auflösungsrunde