Weise Greise Alter schützt vor Tatkraft nicht
24.01.2011, 14:23 Uhr
Der 107-jährige Heesters hat noch viel vor: eine gute Bühnenrolle und der zehnte "Bambi" wären sein Traum.
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Es gibt sie tatsächlich: Kreative Greise in Kunst und Wissenschaft. Einen kennt in Deutschland wohl jeder: "Jopi" Heesters. Doch der ist nicht der Einzige, der das Klischee vom antriebslosen Tattergreis beeindruckend bricht.
"Wer stehen bleibt, stirbt", sagt Manoel de Oliveira gerne. Der Portugiese muss es wissen. Der Regisseur hat das biblische Alter von 102 Jahren erreicht und ist noch immer im Filmgeschäft aktiv. Jedes Jahr dreht der experimentierfreudige Altmeister einen Film und arbeitet auch zur Zeit an einem neuen Projekt. "Du musst arbeiten, arbeiten, arbeiten, um zu vergessen, dass der Tod nahe ist", betont der Methusalem der Filmszene. Oliveira, Operettenlegende Johannes Heesters (107), Stararchitekt Oscar Niemeyer (103), Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini (101) oder Regisseur Kurt Maetzig, der am Dienstag 100 wird - wer bei Alten nur an antriebslose Tattergreise denkt, täuscht sich gewaltig. So manche Leistung in Kultur und Wissenschaft stammt von kreativen "Dinos".
"Es ist eine Laune der Natur"
Geistige und körperliche Fitness im Alter sind ein Geschenk - aber ein wenig auch Charakterfrage. Denn nicht jeder Grauhaarige ist von selber weise. Soziale Kompetenz, Offenheit und das Trainieren von Gedächtnis und Intelligenz müssen dazukommen, wies der Entwicklungspsychologe und Altersforscher Prof. Paul Baltes in seiner "Berliner Altersstudie" nach. Er selbst starb schon 2006 mit 67 Jahren. Wenn der 102-jährige Oliveira auf sein hohes Alter angesprochen wird, sagt er daher mit Demut: "Es ist eine Laune der Natur. Mir hat sie gegeben, was sie anderen genommen hat."

Fußballlegende Pele bekommt ein eigenes Museum und Stararchitekt Niemeyer hat es entworfen - mit 103 Jahren.
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Altrocker Udo Lindenberg - lächerliche 64 - meldet schon seinen Anspruch auf ein kreatives Alter an. Er hat was gegen "Leute, die sich hängen lassen und denken, dass man sich mit 60 Jahren mal so langsam verabschieden sollte". Udo meint: "Diesen Leuten will ich locker in den Arsch treten, denn Alter sollte eigentlich für Radikalität und Meisterschaft stehen."
So ein Meister seines Fachs ist der Jahrhundert-Architekt Niemeyer. Der 103-jährige Brasilianer, der vor allem für seine futuristischen Gebäude der Stadt Brasilia bekannt ist, engagiert sich auch als Fürsprecher der Armen, von denen es in seiner Heimat viele gibt. "Die Rolle des Architekten ist es, für eine bessere Welt zu kämpfen, in der wir eine Architektur entwickeln können, die allen dient und nicht nur einer Gruppe von Privilegierten", sagte der Baukünstler kürzlich einer britischen Kunstzeitschrift. Noch heute ist er fast täglich in seinem Büro an der Copacabana anzutreffen. Und selbst, wenn er das Krankenbett hüten muss, bastelt Niemeyer an neuen Ideen: Nach einer Gallen-OP schrieb er jüngst in der Klinik mal eben ein Sambalied.
"Jopi" will mindestens 108 werden
Und "Jopi"? Mit 107 singt der Grandseigneur der Operette noch heute auf großen Bühnen seine Lieder wie "Ich knüpfe manche zarte Bande". Er will "mindestens 108 Jahre alt werden", sagte Heesters kürzlich. Spielen will er bis zum Ende: "Soll ich zu Hause sitzen und warten, bis man mich holt?" Einen zehnten TV-Preis "Bambi" strebt er noch an sowie "eine gute Bühnenrolle" - "Jopi" blickt nach vorn.

Nobelpreisträgerin Rita Levi-Montalcini forscht auch mit über hundert Jahren und ist sozial engagiert.
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Da ist er eigentlich gar nicht so weit von Mode-Zar Karl Lagerfeld (77 oder 72) entfernt, der gerade in einem Interview recht drastisch sagte: "Wenn man anfängt, sich an das zu erinnern, was man mal gemacht hat, ist man gleich reif für den Mülleimer."
Die italienische Wissenschaftlerin Rita Levi-Montalcini hat eine andere Triebfeder: "Aus der Unvollkommenheit entsteht der Fortschritt." Die noch immer aktive 101-jährige Neurobiologin, die einen Nervenwachstumsfaktor entdeckte und dafür 1986 mit ihrem Laborkollegen den Nobelpreis für Medizin bekam, ist überzeugt: "Die Geschichte der menschlichen Gattung und der Wissenschaft lehrt uns, dass der Mensch an Schwierigkeiten wächst." Sie spricht aus Erfahrung. In ihrem wechselvollen Leben musste die Forscherin mit jüdischen Wurzeln vor den Nazis flüchten. Neben ihrer Forschungsarbeit ist die älteste Nobelpreisträgerin sozial engagiert, vor allem in der Multiple-Sklerose-Gesellschaft.
Glanzleistungen im hohen Alter
Auch in der Vergangenheit gibt es Beispiele für Glanzleistungen im hohen Alter. Der britische Philosoph und Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588-1679) übersetzte mit 87 die Odyssee ins Englische, ein Jahr später die Ilias. US-Erfinder Thomas Edison (1847-1931) erwarb mit 83 das letzte von seinen weit über tausend Patenten. Und der britische Dirigent Leopold Stokowski (1882-1977) legte Überzeugungskraft an den Tag: Mit 95 Jahren handelte er mit seiner Plattenfirma noch einmal einen Fünfjahresvertrag aus. Drei Monate nach der Unterzeichnung starb er allerdings.
Quelle: ntv.de, Brita Janssen, dpa