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"Die Alles ist möglich-Lüge" Beruf und Familie sind (derzeit) unvereinbar

Arbeiten und ein Familienleben führen, ist ein Leben im Dauerstress.

Arbeiten und ein Familienleben führen, ist ein Leben im Dauerstress.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die deutsche Durchschnittsfamilie ist eine logistische Großaufgabe - zumindest dann, wenn Vater und Mutter arbeiten. Mit nahezu grenzenlosem Ideenreichtum wird das System halbwegs am Laufen gehalten. Und trotzdem kann man nur scheitern.

Als Susanne Garsoffky und Britta Sembach mit der Arbeit an ihrem Buch begannen, fühlten sie sich ein wenig als Revolutionärinnen. Sie wollten eine ungeheuerliche Wahrheit aussprechen und waren zutiefst unsicher, wie die aufgenommen werden würde. Doch sie hatten sie lange genug am eigenen Leib erlebt - "Die Alles ist möglich-Lüge", nach der sie nun ihr Buch nennen. Wer Beruf und Familie vereinbaren will, zahlt dafür einen hohen Preis und scheitert irgendwie trotzdem. Genau das wollten sie aufschreiben.

Zwei Jahre später liegt ihr Buch vor, und plötzlich scheint es allgemeiner Konsens zu sein, dass sich Kinder und Karriere kaum miteinander vereinbaren lassen. Wobei mit Karriere an dieser Stelle nicht der Aufstieg zur Vorstandschefin eines Dax-Unternehmens gemeint ist, sondern eher die vollzeitnahe Langzeit-Berufstätigkeit gegen ein angemessenes Entgelt auf einem Arbeitsplatz mit befriedigenden Anforderungen.

Garsoffky und Sembach sind beide Jahrgang 1968, sie haben studiert und als Journalistinnen gearbeitet. Sie sind verheiratet und haben jeweils zwei Söhne. Lange haben sie versucht, alles richtig zu machen. Susanne Garsoffky hat bei beiden Kindern nur ein halbes Jahr pausiert und ist dann "nahezu Vollzeit" wieder eingestiegen. So wollte sie es, weil sie es für richtig hielt. "Ich habe ganz lange die Vereinbarkeit postuliert und auch andere Frauen dazu angehalten, so früh und so vollzeitnah wie möglich nach einer Babypause in den Beruf zurückzukehren. Schon, um nicht in die Rentenfalle zu tappen. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem ich merkte, wir zahlen alle einen Preis, der mir auf Dauer zu hoch ist."

Nichts geht mehr

Auch Britta Sembach hat sich die Familienarbeit von Anfang an mit ihrem Mann geteilt, doch als nach drei Jahren dessen Elternteilzeit auslief, klappte das nicht mehr. "Da ist uns alles um die Ohren geflogen, weil es kein Recht auf Rückkehr in Vollzeit gibt." Sembachs Mann kehrte auf seine Vollzeitstelle zurück, weil er nicht in der Teilzeit hängen bleiben wollte, sie war eine working mum mit inzwischen zwei Kindern, dann wurde die Kinderfrau schwanger. "Wir hatten verinnerlicht, dass man das alles so organisieren muss, dass der Arbeitgeber praktisch gar nicht merkt, dass man Kinder oder andere Verpflichtungen hat", erinnert sich Sembach an diesen Punkt vor etwa fünf Jahren.

Heute eint die beiden Autorinnen die Überzeugung, dass es sich keineswegs um ein individuelles Problem handelt, das sich mit etwas besserer Organisation und ein wenig mehr gutem Willen lösen ließe. Sembach und Garsoffky beschreiben die deutsche Gesellschaft als einen riesigen Irrtum. Alles sei so aufgebaut, als gäbe es noch immer ein Heer von Männern, die allein das Geld für die Familie verdienten, während sich die Frauen um die Kinder und den Haushalt kümmerten. Doch inzwischen haben gut ausgebildete Frauen gute Jobs, die für ein ganzes Leben haltende Alleinverdiener-Ehe wird zum Auslaufmodell und es gibt einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung.

Dazu kommt der gesellschaftliche Anspruch, dass ein reines Mutterdasein für eine moderne Frau doch wohl kaum erfüllend sein kann, also zerreißen sich moderne Mütter und zunehmend auch Väter zwischen Spielplatz, Elternversammlung oder Kinderarzt auf der einen Seite und Dienstberatung, Termindruck und Leistungsbereitschaft auf der anderen. "Sie spüren den Druck und sind individuell bereit, viel zu geben, aber es erschöpft sie wahnsinnig", beobachtet Garsoffky, und die Statistik gibt ihr Recht. Das Müttergenesungswerk zählt 30 Prozent mehr erschöpfte Mütter als noch vor fünf Jahren. Kamen die Frauen früher mit Rückenbeschwerden, sind es heute Symptome von Erschöpfung und Burn-out, mit denen die Frauen zur Mutter-Kind-Kur anreisen.

Anders arbeiten

Der Punkt, diese Zustände einfach nur zu beklagen, liegt längst weit hinter Sembach und Garsoffky. Sie selbst haben sich andere Arbeitsfelder gesucht und dem Kümmern um ihre Kinder wieder einen größeren Platz in ihrem Leben eingeräumt. Das heißt nicht, dass sie nicht arbeiten, aber sie tun es anders. Und genau das empfehlen sie auch als Ausweg aus dem täglichen Familiendilemma.

Denn nimmt man einmal Schweden und Frankreich etwas genauer unter die Lupe, zwei der immer wieder herangezogenen Musterländer, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, kann man tatsächlich viel lernen. Wer genau hinsieht, merkt, dass die Strukturen kaum vergleichbar sind. In Frankreich bedeutet Vollzeit eine 35-Stunden-Woche, das ist bei deutschen Arbeitnehmern keineswegs so, eine 40- oder sogar 43-Stunden-Woche ist da eher die Regel. Eine bis eineinhalb Stunden am Tag mehr Zeit zum Spielen, Hausaufgaben betreuen, Essen kochen oder einfach nur Beisammensein. Schweden wiederum stellt Eltern großzügig frei, wenn die Kinder krank sind. Sich ganz ohne schlechtes Gewissen um den angeschlagenen Nachwuchs zu kümmern, ohne Sorge, der Arbeitgeber könnte mit den Augen rollen oder an der eigenen Leistungsbereitschaft zweifeln. Selbst bei der Tatsache, dass am Feierabend die Arbeit tatsächlich ruhen darf, ist Deutschland von schwedischen Verhältnissen weit entfernt.

Allerdings wird auch in diesen Ländern die Haus- und Erziehungsarbeit überwiegend von Frauen geleistet. Der neue Mann ist in Paris oder Stockholm ebenso Mangelware wie in Berlin. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, vor allem dann nicht, wenn die Gesellschaft die Erziehung von Kindern und die täglichen Reproduktionsleistungen wie Staubsaugen oder Wäschewaschen so wenig wertschätzt, wie das im Augenblick der Fall ist. Wer will schon als Verlierer dastehen, wenn beim Modell Erwerbsarbeit sowohl gesellschaftliche wie materielle Anerkennung zu holen sind?

Werte diskutieren

Garsoffky und Sembach kommen zu dem Schluss, Beruf und Familie werden nur dann vereinbar, wenn es einen grundlegenden Wertewandel gibt. Wenn bei der Arbeit das Ergebnis zählt und nicht die im Büro abgesessenen Stunden. Wenn Frauen und Männer nicht Kinder und Karriere gleichzeitig in die rush hour des Lebens packen müssen, sondern sich beruflich etablieren, dann Kinder bekommen und später im Job durchstarten oder einfach länger arbeiten können. Wenn in Unternehmen geschlechter- und altersgemischte Teams solidarisch miteinander arbeiten. Wenn man arbeiten gehen und ein gutes Elternteil sein oder nicht arbeiten und trotzdem ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft sein kann.

Das Kapitel "Wie sag' ich's meiner Tochter?" haben die Autorinnen weggelassen, auch weil sie nicht sicher waren, was sie jungen Frauen raten sollen. Susanne Garsoffky versucht es trotzdem: "Wenn ihr euch für Kinder entscheidet, ist das eine so tolle und wertvolle Aufgabe, dass sie gesellschaftlich akzeptiert werden muss und dass sich die Politik Strukturen überlegen muss, wie das möglich ist. Das muss nicht jeder allein hinkriegen."

Im Augenblick denken die meisten Frauen, sie müssten sich zwischen Kind und Karriere entscheiden. "Wir müssen da hinkommen, dass Arbeitgeber etwas damit zu tun haben, ob ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Kinder haben oder nicht. Das ist für uns noch total unvorstellbar, weil wir aus einer Zeit kommen, wo das der abwegigste Gedanke aller Zeiten ist", sagt Britta Sembach. Und für einen Moment liegt eine Revolution in der Luft.

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Quelle: ntv.de

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