Deutschland auf ähnlichem Weg Briten befürchten eine Million Omikron-Fälle bis Neujahr
10.12.2021, 19:37 Uhr
Von Omikron befallene Zellen (rot fluoreszierend).
(Foto: imago images/UIG)
In Großbritannien verdoppeln sich die Omikron-Fallzahlen alle 2,5 bis 3 Tage, die Regierung fürchtet Ende des Monats mehr als eine Million Infektionen durch die neue Variante. Dänemark meldet ein noch höheres exponentielles Wachstum und Deutschland steuert auf eine ähnliche Entwicklung zu.
Angesichts der rasch steigenden Omikron-Fallzahlen muss Großbritannien "Plan B" aktivieren und wieder Einschränkungen einführen. Homeoffice, Maskenpflicht und Immunitätsnachweis werden aber möglicherweise nicht ausreichen, um die Entwicklung beherrschen zu können. Denn die Variante verbreitet sich derzeit so rasant, dass für halbherzige Maßnahmen kaum noch Zeit bleibt. Das Gleiche gilt wohl auch für Deutschland, selbst wenn das Robert-Koch-Institut (RKI) bisher nur wenige Omikron-Infektionen registriert.
Am 6. Dezember meldete die britische Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UKHSA) 336 Ansteckungen mit der neuen Coronavirus-Variante, einen Tag später 437. Am 8. Dezember waren es 568 Fälle, gestern 817, heute 1265. Damit bestätigt sich die Entwicklung, die schon seit dem 27. November zu beobachten ist, nämlich dass sich im Vereinigten Königreich die Anzahl der gemeldeten Omikron-Infektionen alle 2,5 bis 3 Tage verdoppelt.
160.000 registrierte Omikron-Fälle an Silvester
Sollte sich das Wachstum nicht verlangsamen, zählte Großbritannien im günstigsten Fall kommenden Donnerstag etwa 5000 Ansteckungen mit der Sars-CoV-2-Variante B.1.1.529, am 22. Dezember über 20.000 und weitere sechs Tage später mehr als 80.000 Infektionen. An Silvester gäbe es im Vereinigten Königreich dann schon 160.000 Omikron-Meldungen.
Doch dabei handelt es sich lediglich um die erkannten Fälle. Der britische Gesundheitsminister Sajid Javid sagte am Mittwoch im Parlament, die UKHSA schätze die tatsächliche Zahl rund 20 Mal höher ein. Bei der derzeit beobachteten Verdopplungsrate bedeute dies, dass es bis Ende des Monats mehr als eine Million Omikron-Infektionen in Großbritannien geben könnte. Da zählte seine Behörde erst 568 Fälle, mit der heutigen Zahl hätte Javid vielleicht noch etwas höher gegriffen.
50-Prozent-Anteil in zwei bis vier Wochen
Die UKHSA selbst schreibt in ihrem jüngsten Update zu den Coronavirus-Varianten: "Wenn sich die Wachstumsrate und die Verdopplungszeit so fortsetzen, wie wir es in den vergangenen zwei Wochen gesehen haben, erwarten wir, dass in den nächsten zwei bis vier Wochen mindestens 50 Prozent der Covid-19-Fälle durch die Omikron-Variante verursacht werden."
Um die Ausbreitung im Königreich zu beobachten, nutzt die UKHSA das Phänomen des sogenannten "S Gene Target Failure" (SGTF) bei PCR-Tests. Das heißt, positive Proben fallen teilweise negativ aus, da sich eine der Omikron-Mutationen in einem der drei Gen-Abschnitte befindet, die die Tests erkennen. Das trifft zwar auch noch bei einigen wenigen Infektionen mit Alpha und anderen Mutanten zu, aber nicht bei der bisher noch dominierenden Delta-Variante. Allerdings kann nur etwa die Hälfte der britischen PCR-Tests SGTF nachweisen.
Abwasser-Monitoring zeigt Verbreitung
Dänemark nutzt seit kurzem flächendeckend eine andere Möglichkeit, um die Verbreitung von Omikron im Blick zu behalten: das sogenannte Abwasser-Monitoring. Dabei werden in Proben Reste des Virus nachgewiesen, die aus menschlichen Ausscheidungen stammen. Anhand der Konzentration kann sogar frühzeitig ein Ansteigen von Inzidenzen vorausgesagt werden.
Die dänische Gesundheitsbehörde Statens Serum Institut (SSI) hat das Virus bereits im Abwasser einer Kläranlage auf der Insel Fünen nachgewiesen. Bei 14 weiteren Proben, die aus fast allen Regionen des Landes stammen, besteht der Omikron-Verdacht.
SSI-Chef Henrik Ullum hält dies für sehr besorgniserregend und sieht die steigende Zahl von Omikron-positiven PCR-Tests bestätigt, "die wir in allen Teilen des Landes gesehen haben, seit es vor etwas mehr als einer Woche zum ersten Mal in Dänemark gefunden wurde". Die meisten registrierten Fälle ergeben sich auch in Dänemark aus SGTF bei PCR-Tests, etwas mehr als ein Viertel wurde durch eine Sequenzierung bestätigt.
Noch schnelleres Omikron-Wachstum in Dänemark
Am 28. November wurden in dem Land die ersten beiden Omikron-Verdachtsfälle bestätigt. Am ersten Dezember waren es insgesamt 6, vier Tage später schon 183 Infektionen mit der neuen Variante. Am 6. Dezember zählte das SSI 263 Omikron-Ansteckungen, gestern 796 und heute bereits 1280.
Aktuell verdoppelt sich die Anzahl der registrierten B.1.1.529-Infektionen in Dänemark etwa alle zwei Tage - also noch schneller als in Großbritannien. Allerdings gehen bisher die meisten Ansteckungen auf Superspreading-Ereignisse zurück, unter anderem nach einem Schul-Weihnachtsessen oder einem Konzert. "Es ist das gleiche Muster wie bei der Verbreitung der Delta-Variante im Frühsommer", sagt SSI-Ärztin Rebecca Legarth.
Deutschland folgt in wenigen Wochen
Laut RKI-Wochenbericht wurden in Deutschland offiziell erst 64 Omikron-Fälle registriert, 36 davon über einen variantenspezifischen PCR-Test. Doch die Behörde rechnet in den kommenden Wochen mit einem weiteren Anstieg. Wie groß dieser ausfallen wird, ist nicht klar. Vergleiche mit Dänemark und Großbritannien bieten sich zwar an, allerdings hatten beide Länder bis kürzlich praktisch keine Corona-Regeln, während Deutschland schon vor den ersten Omikron-Fällen einschränkende Maßnahmen etabliert hat.
Modellierer Thorsten Lehr rechnet trotzdem mit einer ähnlich schnellen Ausbreitung der neuen Variante. "Bei der Verdopplungszeit von zwei bis vier Tagen bei Omikron gehen wir davon aus, dass es in Deutschland gegen Ende des Jahres dominant sein wird", sagte er dem SR.
Drosten: Geschwindigkeit der Reproduktion erschreckend
Virologe Christian Drosten nutzt für seine Schätzung Zahlen aus der besonders stark betroffenen südafrikanischen Provinz Guateng. Daraus ergebe sich eine Zuwachsrate von rund 25 Prozent, was einer Verdopplungszeit von etwa vier Tagen entspreche, sagte er in seinem NDR-Podcast. Auf den gleichen Wert sei er mit älteren Zahlen aus Großbritannien gekommen. In den gestrigen "Tagesthemen" ging Drosten von drei Tagen Verdopplungszeit aus. "Die Geschwindigkeit der Reproduktion ist erschreckend."
Christian Karagiannidis, Leiter des DIVI-Intensivregisters, schätzt die Verdopplungszeit in Deutschland auf ungefähr eine Woche ein. "Das hieße, dass die Fallzahlen um Weihnachten zu steigen beginnen, bereits Ende Januar könnte Omikron die dominierende Variante sein", sagte er der Funke-Mediengruppe.
"Inzidenz muss unter 200"
Auch wenn der Zeitpunkt der Dominanz etwas später als in Großbritannien oder Dänemark eintritt, kann Omikron die Situation so verschärfen, dass das Gesundheitssystem damit nicht mehr zurechtkommt. Denn die aktuell leicht sinkenden Inzidenzen, reichen nicht aus, um die Krankenhäuser so zu entlasten, dass sie genügend Kapazitäten zurückgewinnen, um zusätzliche Omikron-Einweisungen aufnehmen zu können.
Das gilt bei einer hohen Infektiosität und schnellen Verbreitung der Variante auch für den Fall, dass die meisten Verläufe milder ausfallen als bei Delta und prozentual weniger Infizierte ins Krankenhaus müssen. Denn durch die Masse der Ansteckungen gäbe es immer noch mehr schwere Fälle als bisher.
"Wir müssen jetzt mit den Inzidenzen dringend ein gutes Stück runter, damit wir für Omikron Platz haben", sagte Karagiannidis dem "Spiegel". Um die Intensivstationen arbeitsfähig zu halten, müsse die Sieben-Tage-Inzidenz unter 200 fallen.
Quelle: ntv.de