Panorama

War der Richter wirklich "gnadenlos"? Die zehn wichtigsten Fragen zum Hoeneß-Prozess

Der Prozess gegen Uli Hoeness steht vor dem Abschluss.

Der Prozess gegen Uli Hoeness steht vor dem Abschluss.

(Foto: imago/Future Image)

Der Verkäufer im Bayern-Fanshop in München weiß schon, wie der Prozess gegen Uli Hoeneß ausgehen wird. "Freispruch, ganz klar." Alle anderen Fragen, deren Antwort man kennen sollte, um mitreden zu können, lesen Sie hier.

Einiges am Prozess gegen Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist verwirrend - nicht nur die Zahlen der Gewinne und Verluste, nicht nur die Spekulationsgeschäfte, die im Einzelfall nicht einmal der Vorsitzende Richter Rupert Heindl durchdringt. Schon die Antwort auf die Frage, wie lange sich der Prozess hinziehen werde, konnte sich binnen Stunden verändern.

So sagte Gerichtssprecherin Andrea Titz am Dienstagvormittag, es sei "nicht mehr sehr wahrscheinlich", dass am Donnerstag ein Urteil gesprochen werde. Am Nachmittag teilte sie dann mit, es sei "nicht ausgeschlossen, dass es am Donnerstag ein Urteil gibt". Genau danach sieht es weiterhin aus. Alle anderen Fragen beantwortet n-tv.de im Folgenden:

1. Worum geht es überhaupt?

Im Verfahren vor der 5. Strafkammer des Landgerichts München II geht es, so viel weiß jeder, um Steuerhinterziehung. Laut Anklage hat Hoeneß in den Jahren 2003 bis 2009 Steuern in Höhe von insgesamt 3,5 Millionen Euro hinterzogen. Das ist schon eine ganze Menge, allerdings erhöhte sich diese Summe durch den Auftritt einer Steuerfahnderin auf 27,2 Millionen Euro - eine Summe, die sowohl vom Gericht als auch von der Verteidigung am Mittwoch akzeptiert wurde, obwohl sie nicht exakt berechnet werden konnte. Das lag nach Darstellung der Verteidigung am Datenchaos, das Hoeneß mit seinen Zigtausenden Transaktionen ausgelöst hat.

2. Worum geht es nicht?

In dem Prozess gegen Hoeneß geht es nicht um die exakte Festlegung seiner Steuerschuld. Das bleibt Sache des Finanzamts Rosenheim und dürfte der Steuerfahnderin, die am Dienstag so ausführlich Auskunft geben konnte, noch ziemlich viel Arbeit machen. Rechtsanwalt Feigen hat mehrfach signalisiert, dass Hoeneß das Ergebnis dieser Arbeit nicht in Zweifel ziehen will, Hoeneß selbst hatte schon in seiner Erklärung zu Prozessbeginn gesagt, er werde "natürlich" sämtliche Steuern zahlen.

3. Welche Strategie hatte die Verteidigung?

Schwer zu sagen. Am ersten Prozesstag überraschte Rechtsanwalt Feigen damit, dass er seinen Mandaten wie einen Schuljungen aussehen ließ. Auf die Frage, wie hoch die Abhebungen von seinen Schweizer Konten gewesen seien, antwortete Hoeneß: "Mein Gefühl ist, dass es zwischen 500.000 und eine Million war." Feigen kommentierte das trocken: "Mein Gefühl sagt mir, dass es ein bisschen mehr war." Als Hoeneß behauptete, die Recherchen des "Stern" zum Schweizer Konto einer deutschen "Sportgröße" hätten nichts mit seiner Selbstanzeige zu tun gehabt, rief Feigen, er solle doch "keinen vom Pferd" erzählen.

Am Dienstag hielt sich die Verteidigung weitgehend zurück, am Mittwoch ging Feigen dann zum Angriff über. Er attackierte die Medien, die die Darstellung der Gerichtssprecherin übernommen hatten, die Verteidigung sei von der Aussage der Rosenheimer Steuerfahnderin überrascht gewesen. Er beharrte darauf, dass "sämtliche Zahlen" in der Selbstanzeige vom 17. Januar 2013 bereits enthalten seien.

Mit seinen medienkritischen Bemerkungen dürfte Feigen beim Richter auf Verständnis gestoßen sein: Heindl hatte sich gleich zu Beginn des Prozesses verärgert darüber gezeigt, dass nicht alle Journalisten "mit den Spielregeln der Strafprozessordnung vertraut" seien. Am Mittwoch rügte er, dass einzelne Journalisten verbotenerweise aus dem Gerichtssaal getwittert hätten.

Die Verteidigung hat ausdrücklich bestritten, dass die späte Abgabe aller Unterlagen ein "taktisches Manöver" war. Immer wieder hat sie den Willen des Angeklagten zur Kooperation und zur vollständigen Begleichung jedweder Forderung des Finanzamtes bekräftigt. Zugleich hat Feigen offensichtlich versucht, Hoeneß als reichlich unbedarft hinzustellen - eine Sicht, die im Verlauf des Prozesses immer plausibler wurde.

4. Kann es denn sein, dass Hoeneß wirklich so verpeilt war?

Als Spekulant hat Hoeneß versagt. Er hat zwar Millionengewinne gemacht, unterm Strich bleibt bei seinen Schweizer Eskapaden jedoch offenbar ein Millionenverlust. Hoeneß hat es versäumt, Buch zu führen über seine heimlichen Geschäfte. Der FC-Bayern-Ehrenpräsident Franz Beckenbauer sagte über Hoeneß, in solchen Dingen sei "der Uli" halt ein "Schlamper". Bei Fragen zu seinen Spekulationsstrategien geriet Hoeneß vor Gericht sichtlich ins Schwitzen. Es ist natürlich möglich, dass Hoeneß ein begnadeter Schauspieler ist. Wahrscheinlich ist er jedoch ein schlechter Spekulant, der keine Ordnung halten kann.

5. Ist Richter Heindl wirklich so "gnadenlos" wie häufig beschrieben?

Überhaupt nicht. Heindl führt den Prozess akribisch, aber stets freundlich. Die über ihn kolportierte Geschichte, er gucke Zeugen und Angeklagten nicht ins Gesicht, entstammt dem Reich der Märchen. Heindl ließ sich von Zeugen unterbrechen, ohne dabei befürchten zu müssen, dass seine Autorität Schaden nimmt. Er machte durch Mimik, Körpersprache und zahlreiche Fragen deutlich, dass er aufmerksam zuhört. Als Hoeneß seine Fragen nicht beantworten konnte, wurde Heindl leicht ungeduldig. Wirklich streng wurde Heindl jedoch nur, als ein Handy im Zuschauerraum klingelte.

6. Welche Rolle spielte der Staatsanwalt?

Staatsanwalt Achim von Engel war vor dem Prozess als "Münchens härtester Ankläger" bezeichnet worden. Diesen Eindruck vermittelte er im Gerichtssaal nicht. Er lieferte sich keine Wortgefechte mit der Verteidigung, nahm Zeugen nicht ins Kreuzverhör und verzichtete darauf, Aussagen mit eigenen Erklärungen zu kommentieren. Seine große Stunde dürfte erst noch kommen: an diesem Donnerstag, mit seinem Plädoyer.

7. Was sagen die Fans?

Die Tränen von Uli Hoeneß auf der Bayern-Hauptversammlung sind ja bereits legendär, auch die Transparente im Stadion mit Sprüchen wie "Uli Hoeneß, du bist unserer bester Mann." In einer Kneipe an der Münchner Frauenkirche wurde während des Spiels gegen den FC Arsenal nur kurz "Uli, Uli", skandiert, als Hoeneß im Fernsehen gezeigt wurde. Aber das war wohl eher ein ironisches Zitat. Im Stadion gab es am Dienstagabend keine "Uli"-Sprechchöre, obwohl Hoeneß anwesend war. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprechen sich 65 Prozent für einen Rücktritt des Steuerhinterziehers als Bayern-Präsident aus.

Eine ganz eigene Interpretation der Affäre Hoeneß liefert übrigens der Verkäufer in einem Bayern-Fanshop in München. Ob die Geschäfte nachgelassen hätten, seit der Prozess laufe. "Im Gegenteil, wir sind im Gespräch, die Leute kommen. Das ist alles vom Verein so geplant." Die ganze Steuerhinterziehungsgeschichte sei nur inszeniert, um den Umsatz anzukurbeln? "Das ist alles taktisch, wie immer bei Bayern München."

8. Wie fällt das Urteil aus?

Der Verkäufer im Fanshop hatte auch darauf eine Antwort: "Freispruch, ganz klar." Doch einen Freispruch kann es nicht geben - Hoeneß hat ja gestanden, Steuern hinterzogen zu haben, ist also in diesem Sinne "schuldig". Wenn es für ihn richtig gut läuft, wird das Verfahren eingestellt, und genau das, die Einstellung des Verfahrens, wird sein Anwalt an diesem Donnerstag vermutlich beantragen. Die härtestmögliche Strafe wären zehn Jahre Haft.

Hoeneß hat bereits angedeutet, dass es ihm vor allem darum geht, nicht ins Gefängnis wandern zu müssen. Eine Geldstrafe, vielleicht verbunden mit einer Bewährungsstrafe, würde Hoeneß vermutlich aufatmen lassen. Er wäre dann zwar vorbestraft und als Aufsichtsratsvorsitzender der Bayern München AG kaum haltbar. Aber immerhin bliebe ihm der Knast erspart.

Die meisten Experten scheinen allerdings nicht an eine Bewährungsstrafe zu glauben. "Eine Freiheitsstrafe ist für mich absolut zwingend", sagte Steuergewerkschafts-Chef Thomas Eigenthaler im Bayerischen Rundfunk. "Ob sie jetzt noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, daran habe ich ganz, ganz starke Zweifel." Die Steuerstrafrechts-Expertin Christine Varga sagte dagegen der Deutschen Presse-Agentur, eine Bewährungs- in Verbindung mit einer Geldstrafe sei durchaus möglich. Strafmildernd sei sowohl die Selbstanzeige als auch die Tatsache, dass Hoeneß "bislang ein unbescholtenes Leben geführt hat".

9. Muss Hoeneß im Fall der Fälle sofort ins Gefängnis?

Nein. Seine Anwälte würden in einem solchen Fall aller Voraussicht nach in Revision gehen. Bis dahin bliebe der Haftbefehl höchstwahrscheinlich außer Kraft gesetzt.

10. Wird es auf jeden Fall Revision geben?

Man kann sicher davon ausgehen, dass die Verteidigung Revision einlegen wird, wenn Hoeneß zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt werden sollte. Auch die Staatsanwaltschaft dürfte sich überlegen, ob sie in Revision geht, wenn ihr das Urteil zu milde erscheint. Das Verfahren war zwar keineswegs chaotisch. In der Tatsache, dass Hoeneß' Anwälte die vollständigen Unterlagen über die Spekulationsgeschäfte ihres Mandanten erst elf Tage vor Beginn an Staatsanwaltschaft und Finanzamt übergeben haben, könnten aber möglicherweise Revisionsgründe zu finden sein.

Quelle: ntv.de

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