Panorama

G-Regeln reichen nicht mehr Endstation Lockdown

Geschlossene Restaurants, verriegelte Clubs und leere Stadien: Deutschland steuert erneut auf einen Lockdown zu.

Geschlossene Restaurants, verriegelte Clubs und leere Stadien: Deutschland steuert erneut auf einen Lockdown zu.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Nur noch wenige Wochen bis Weihnachten. Die Infektionszahlen erreichen täglich neue Höchststände. Die Corona-Lage ist dramatisch. Ein Szenario, das sehr an 2020 erinnert. Letztes Jahr hieß die Lösung: Lockdown. Und heute? Es gibt mehrere Gründe, warum ein erneuter Stillstand Deutschlands trotz Impfungen immer wahrscheinlicher wird.

Österreich hat es gewagt. Bayern und Sachsen versuchen es mit einer Light-Variante. Das L-Wort, das Politik und Wirtschaft seit diesem Frühjahr unbedingt vermeiden wollen, ist dieser Tage wieder salonfähig geworden. Angesichts stark steigender Infektionszahlen werden jetzt wieder "Wellenbrecher" und "Lockdown Light"- Lösungen von Ministerpräsidenten besonders stark betroffener Bundesländer angekündigt. Ein Déjà-vu, auf das man gerne verzichtet hätte. Doch vermutlich derzeit der einzige Weg - trotz Impfungen.

Wir erinnern uns: Im März 2020 wendet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung. "Es ist ernst, bitte nehmen Sie es auch ernst", sind ihre Worte zu dem damals neuartigen Coronavirus, das sich rasend schnell in Deutschland ausbreitet. Um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bringen, gibt es damals nur eine Lösung: ein Lockdown. Bei diesem wird es allerdings nicht bleiben. Es folgen zwei weitere, mal als Wellenbrecher für ausgelassene Weihnachtsfeiertage - was übrigens nicht funktioniert hat -, mal als Überbrückung bis endlich der langersehnte Impfstoff da ist.

Eine Impfkampagne, vier Corona-Wellen und mehrere Virus-Varianten später, steht Deutschland heute erneut vor dem Problem: Wie können die erneut explodieren Infektionszahlen aufgehalten werden? Ein Blick ins Nachbarland Österreich verrät viel über die nahe Zukunft der deutschen Bundesrepublik. Und es sieht düster aus.

"Das schmerzt enorm"

Österreich hat die vierte Corona-Welle schwer getroffen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt inzwischen bei knapp 1000, seit mehr als einer Woche werden täglich mehr als 10.000 Neuinfektionen gemeldet. Kliniken geraten an ihre Kapazitätsgrenzen. Besonders dramatisch ist die Lage in Salzburg und Oberösterreich mit Inzidenzen über 1500 pro 100.000 Einwohnern.

Die Ursache für die dramatische Pandemie-Lage liegt laut Bundeskanzler Alexander Schallenberg auf der Hand: Zu wenige Menschen hätten sich trotz aller Überzeugungsarbeit und Kampagnen impfen lassen. Mit den bisherigen Maßnahmen habe Österreich die vierte Welle nicht brechen können. Der Lockdown sei ein schwerer Schritt, sagt Schallenberg. Aber wie es scheint, unumgänglich. "Das schmerzt enorm."

Dieser schmerzliche Weg könnte auch Deutschland bald bevorstehen. Denn die Situation ist hierzulande kaum besser. Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet heute den zwölften Inzidenz-Höchstwert in Folge. Täglich infizieren sich mehr als 50.000 Menschen, die Intensivstationen haben längst ihre Belastungsgrenze erreicht. "Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern", sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Jede vierte Region in Deutschland weist einen Inzidenzwert von über 500 auf. Zwölf Land- und Stadtkreise liegen sogar bei über 1000 - Tendenz steigend.

Eine flächendeckende 2G-Regel, wie sie von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen wurde, reiche in der derzeitigen Pandemie-Lage nicht aus, mahnt Wieler. Stattdessen sollten Großveranstaltungen abgesagt, Hotspots wie schlecht belüftete Clubs und Bars geschlossen und private Kontakte reduziert werden. Die Menschen sollten auch "wenn möglich zu Hause bleiben", fordert der RKI-Chef. Er spricht von "Notbremse". Von einem erneuten Lockdown sind seine Forderungen allerdings nicht weit entfernt.

Sachsen und Bayern legen vor

Für Sachsen wird ein Lockdown wieder Realität - wenn auch nur abgeschwächt. Ministerpräsident Michael Kretschmer spricht von einem "harten und klaren Wellenbrecher" bis zum 12. Dezember. "Das bedeutet keine Großveranstaltungen, keine Ansammlungen von Menschen und wenig Mobilität", so Kretschmer. Die Impfquote in Sachsen ist mit 57,6 Prozent die mit Abstand schlechteste unter den 16 Bundesländern. Im Freistaat sind auch nur 79,1 Prozent der über 60-Jährigen zweimal geimpft.

Ministerpräsident Markus Söder hat Bayern heute bereits in eine Art Lockdown light geschickt. Alle Weihnachtsmärkte werden im Freistaat abgesagt. In Landkreisen mit einer Inzidenz von mehr als 1000 gilt zudem ein Lockdown. "Hier muss alles geschlossen werden", außer Kitas, Schulen und der Handel, sagte der CSU-Chef nach einer Sitzung seines Kabinetts in München. Betroffen sind vor allem die südwestlichen Regionen des Freistaats. Hier übersteigen die Inzidenzen zum Teil weit die 1000er Marke.

Derartige Maßnahmen nur regional zu verhängen, reiche allerdings nicht, sagt Epidemiologe Timo Ulrichs dem "Stern". Dafür sei die vierte Welle schon zu weit vorangeschritten. Das Hauptproblem sei wie auch in Österreich die weiterhin zu geringe Impfquote. Bislang sind nur rund 68 Prozent der Deutschen vollständig geimpft. Zwar würden auch immer mehr Impfdurchbrüche zu den Fallzahlen beitragen, betont Ulrichs im "Focus". "Die Geimpften sind aber nicht die Pandemie-Treiber." Länder mit hoher Impfquote hätten kein Problem mit den dennoch vergleichsweise selten auftretenden Impfdurchbrüchen. Spanien und Portugal zum Beispiel melden bisher keine Zeichen einer vierten Welle.

Boostern allein hilft nicht mehr

Doch offenbar lassen sich Impfunwillige auch durch 2G-Regeln nicht von der schützenden Spritze überzeugen. Seit Wochen werden bundesweit kaum noch Erstimpfungen verteilt. Die Schlangen vor Impfzentren sind zurzeit zwar wieder lang, doch die meisten Menschen stehen hier für ihren Booster-Piks an. Israel hatte es geschafft, sich mithilfe von Auffrischungsimpfungen aus einer drohenden heftigen Welle zu kämpfen. Diese Hoffnung nimmt Ulrichs für Deutschland. Boostern allein helfe uns nicht mehr aus der Misere, dafür sei es zu spät, sagt der Epidemiologe.

"Wir brauchen dringend Kontaktbeschränkungen - das gilt vor allem für Ungeimpfte", fordert Ulrichs. Notfalls müsse aber ein Lockdown für alle verhängt werden. Laut dem Epidemiologen ein Ärgernis, das verhindert werden könne, wenn sich die Ungeimpften immunisieren ließen. Denn sie sind es, die die Virusverbreitung derzeit stark vorantreiben. Jüngsten Daten des RKI zufolge ist die Sieben-Tage-Inzidenz bei symptomatischen Corona-Fällen unter Ungeimpften dreimal so hoch wie bei Geimpften. Gleichzeitig gehen Wissenschaftler von einer großen Dunkelziffer aus. Je stärker das Virus in der Bevölkerung grassiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich auch Geimpfte anstecken. Sie lassen sich jedoch seltener testen, da sie sich in Sicherheit wähnen und können so weitere unbemerkt infizieren.

Fest steht: Das Virus verbreitet sich über Kontakte. Die sollten schnellstmöglich eingeschränkt werden - ob geimpft oder nicht. Ein Lockdown müsste nach Angaben von Ulrichs mindestens 14 Tage dauern. "Die Erfahrung lehrt, dass die Wirkung erst mit einer Zeitverzögerung von mindestens zwei Wochen einsetzt", sagt er. Damit diese möglichst schnell wirken, müssten dieselben Maßnahmen aber auch für die Geimpften gelten. Nun lancieren Impfgegner den Vorwurf, die Impfung hätte angesichts der katastrophalen Corona-Zahlen ja offensichtlich kaum etwas gebracht. Dem tritt Ulrichs entschieden entgegen: "Ohne Impfung wären wir schon seit Wochen im Lockdown."

Quelle: ntv.de

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