Politik

Heftige Kontroverse um Maßnahmen Das L-Wort ist zurück

"Geschlossen", hieß es für viele Geschäfte in der vergangenen Winterwelle. Ein neuer Lockdown ist nun zumindest kein Tabu mehr.

"Geschlossen", hieß es für viele Geschäfte in der vergangenen Winterwelle. Ein neuer Lockdown ist nun zumindest kein Tabu mehr.

(Foto: Kira Hofmann/dpa-Zentralbild/ZB/Symbolbild)

Wissenschaftler, Mediziner, ja selbst Politiker reden wieder mehr oder weniger offen über einen Lockdown. Das heißt: umfassende Einschränkungen, die auch Geimpfte treffen. Ein Bundesland hat bereits konkrete Überlegungen. Doch es gibt auch Gegenstimmen.

"Jetzt im Herbst geht es um eines: Eigenverantwortung, Eigenverantwortung, Eigenverantwortung. Und ich denke, wenn wir das hinbekommen, dann brauchen wir auch nicht über einen Lockdown zu reden." Das sagte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus im "ntv Frühstart". Allerdings nicht in diesem November, sondern Anfang September 2020.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag damals unter 10 - es gab also Grund für Optimismus, auch ohne Impfungen. Doch es kam anders, Deutschland rutschte unvorbereitet in die Winterwelle hinein. Zwei Monate nach Brinkhaus' Äußerungen wurde ein sogenannter Lockdown light beschlossen, im Dezember folgten strengere Maßnahmen.

Vieles in diesem Herbst erinnert an das Jahr 2020. Trotz Vorwarnungen von Experten erlebt Deutschland eine weitere Winterwelle. Die Inzidenz liegt derzeit bundesweit bei über 330, in 13 Landkreisen über 1000. Auch wenn die Inzidenz angesichts der Impfungen als Kennzahl an Aussagekraft verloren hat, ist sie doch ein Gradmesser für das Infektionsgeschehen.

Was auch an 2020 erinnert: das Versprechen, dass es keinen weiteren Lockdown geben werde. Angesichts der fortschreitenden Impfkampagne und niedriger Infektionszahlen im Sommer sollte es keine umfassenden Einschränkungen mehr geben, vor allem nicht für vollständig Geimpfte. Doch die dramatische Corona-Lage in Deutschland, die Hilferufe von den Intensivstationen und die niedrige Impfquote haben ein Umdenken eingeleitet. Ein Lockdown wird wahrscheinlicher, auch wenn noch völlig unklar ist, wie scharf er ausfallen könnte.

In Sachsen, das die höchste Sieben-Tage-Inzidenz aller Bundesländer aufweist, gibt es sogar schon recht konkrete Pläne für erneute Schließungen von Freizeiteinrichtungen wie Bars, möglicherweise selbst von Restaurants. Auch wenn es sich noch um Gedankenspiele handelt, könnten sie, so berichten Medien, sehr schnell Wirklichkeit werden. Im Landtag vermied Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU an diesem Donnerstag das Wort Lockdown, kündigte aber zumindest einen "harten und klaren Wellenbrecher" für zwei oder drei Wochen an.

Bei Kretschmers Entscheidung könnte seine Online-Diskussion am Mittwoch eine Rolle gespielt haben. Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts, fand dabei drastische Worte für die derzeitige Lage. Sachsens Krankenhauskoordinator Michael Albrecht forderte derweil einen Lockdown: "Uns bleibt nichts anderes übrig", sagte er. Christoph Lübbert vom Krankenhaus St. Georg in Leipzig sprach sich für "einen schnellen, harten Lockdown" aus.

Auch Christian Karagiannidis, Leiter des DIVI-Intensivregisters, kann sich einen Lockdown vorstellen, wenn auch als "allerletzte Maßnahme eines Notschutzschalters", wie er im NDR-Podcast "Corona-Update" sagte. Deutlicher wurde Frank Ulrich Montgomery, Vorstandschef des Weltärztebundes, im "Corona-Spezial" von ntv: "Niemand will einen Lockdown. Aber es ist das einzige Instrument, was uns mit Ausnahme der Impfung bisher wirklich weitergeholfen hat, wenn wir kurzfristig handeln mussten", sagte er. Für Weihnachten rechnet er mit eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten.

Wesentlich vorsichtiger äußerte sich Kassenärzte-Chef Andreas Gassen, der vor einer Panikmache warnte. "Die Lage ist schwierig, aber für Panik besteht kein Anlass", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Insbesondere von einigen Politikern und Experten wird versucht, die Ampel-Parteien mit düsteren Szenarien und fast schon hysterisch anmutenden Warnungen extrem unter Druck zu setzen", so Gassen. "Da wird Stimmungsmache betrieben. Das erinnert ein wenig an den letzten Winter."

DEHOGA-Chef: "Lockdown darf es nicht mehr geben"

Auch Politikerinnen und Politiker äußern sich noch sehr vorsichtig, vor allem, wenn es um einen Lockdown geht. Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag und damit Vertreterin der Ampel-Parteien, sprach sich im "ntv Frühstart" zwar gegen pauschale Ausgangssperren aus, kann sich aber Kontaktbeschränkungen für alle vorstellen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann schloss am Dienstag einen erneuten Lockdown zumindest nicht aus. Man habe Stand heute keine allgemeinen Lockdowns vor und halte erst mal an den Maßnahmen unter der 2G-Regel fest, sagte der Grünen-Politiker. "Aber ausschließen kann man wirklich nichts", sagte er. Seine grün-schwarze Landesregierung diskutiert zumindest bereits, ob es Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte in besonders betroffenen Stadt- und Landkreisen geben könnte.

Doch gerade in der Wirtschaft gibt es Widerstand gegen einen neuerlichen Lockdown. "Ein Lockdown für alle, auch für Geimpfte und Genesene, und somit die erneute Schließung der Gastronomie wäre absolut unverhältnismäßig", sagte etwa Andrea Belegante, die Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Systemgastronomie. Sie forderte einheitliche Kriterien für 2G- oder 3G-Regelungen. DEHOGA-Chef Guido Zöllick sagte: "Einen Lockdown für Geimpfte und Genesene im Gastgewerbe darf es nicht mehr geben. Es muss alles dafür getan werden, diesen zu verhindern."

Während in Deutschland Politiker noch versuchen, das L-Wort zu umgehen und vielerorts auf 2G-Regeln hoffen, also Beschränkungen vor allem für Ungeimpfte, ist Österreich schon weiter. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt hier landesweit bei 971,5. Die Regionen Salzburg und Oberösterreich, die stark von der Pandemie betroffen sind, wollen nun einen Lockdown für die Gesamtbevölkerung verhängen. Ob es weitere bundesweite Maßnahmen geben soll - neben den scharfen 2G-Regeln -, wollen Bund und Länder noch klären.

Quelle: ntv.de

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