EHEC-Neuinfektionen rückläufig Entschädigung für Bauern kommt
07.06.2011, 23:02 Uhr
Gurken spielen derzeit im EU-Parlament eine Hauptrolle. (Foto: der Spanier Francisco Sosa Wagner)
(Foto: dpa)
Keine Entwarnung, aber Hoffnung: Gesundheitsminister Bahr sieht zumindest Zeichen für eine Entspannung, denn die Zahl der EHEC-Neuerkrankungen ist rückläufig. Auch für die Bauern gibt es eine gute Nachricht: Die EU-Agrarminister sind sich einig über die Entschädigungen; die Gesamtsumme soll höher als 150 Millionen Euro sein.
Europäische Bauern können mit Entschädigungen von mindestens 150 Millionen Euro rechnen. Die EU-Agrarminister haben sich bei einem Sondertreffen in Luxemburg grundsätzlich auf Hilfen für die von der EHEC-Krise betroffenen Bauern geeinigt. Das sagte ein EU-Diplomat am Rande des Treffens. Der Vorschlag von EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos von insgesamt 150 Millionen Euro sei allerdings nicht beschlossen worden – die Summe sei zu niedrig. In der kommenden Woche will die Kommission einen neuen Vorschlag vorlegen und darin das Volumen des Fonds nach Möglichkeiten anpassen.
Wegen der Seuche war der Absatz von frischem Gemüse wie Tomaten, Gurken und Salat in den vergangenen Wochen europaweit eingebrochen.Mit den Hilfen will die EU die Einnahmeausfälle der Bauern zum Teil ersetzen. Das Geld für diesen Sonderfonds soll Ciolos zufolge aus dem EU-Agrarhaushalt kommen.
Der Deutsche Bauernverband nannte den Vorschlag von 150 Millionen Euro Entschädigung einen "Schritt in die richtige Richtung". Die EU erkenne an, dass Gemüsebauern in Deutschland und Europa unverschuldet in die schwierigste Situation seit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl geraten seien.
Für Spanien ist es allerdings zu wenig. "Man muss den Landwirten, die Produkte, die sie nicht absetzen konnten, zu 100 Prozent des Marktwerts ersetzen", sagte die spanische Agrarministerin Rosa Aguilar. Eine konkrete Summe nannte sie nicht. "Die Verluste halten weiter an", sagte sie aber. Spanische Bauernverbände hatten die Einbußen auf 200 Millionen Euro pro Woche beziffert, nachdem deutsche Behörden vor dem Verzehr spanischer Gurken gewarnt hatten.
Aigner will europäische Lösung
Wird der Vorschlag der Kommission von den EU-Ländern angenommen, bekommt Deutschland was es fordert: europäische Hilfen. "Es geht heute um die europäischen Lösungen", sagte Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner vor Beginn der Gespräche. Dass Deutschland anderen Staaten Beihilfen finanziere, sei nach EU-Recht völlig undenkbar, sagte ein EU-Diplomat am Rande des Treffens. Die Hilfen sollten aus EU-Töpfen finanziert werden, in die alle Mitgliedsstaaten einzahlen. Der deutsche Anteil läge damit bei rund 20 Prozent.
Die EU-Kommission legte bei dem Treffen ein ganzes Paket mit Vorschlägen vor. Um diese allerdings umzusetzen, müsste es eine Einigung über die Not der Situation geben - die sogenannte Dringlichkeitsklausel aktiviert werden. Erst dann kann die Kommission mit Ausnahmemaßnahmen in den Markt eingreifen.
Die Vorschläge der Kommission sehen Hilfen für die Produzenten von Gurken, Tomaten und Blattsalat vor - möglicherweise könnten auch Zucchini- und Paprikaproduzenten einbezogen werden. Sie sollen knapp ein Drittel von dem, was sie in einem guten Jahr eigentlich verdient hätten, zurückbekommen. Für die Berechnung der Summe gelten Referenzpreise für den Monat Juni der Jahre 2007 bis 2010. Gurkenbauern würden demnach EU-weit 14 Cent pro Kilo bekommen.
"Wir werden die gesamte Periode der Krise im Juni abdecken - für die Produkte, die am meisten betroffen sind", sagte Ciolos. Danach würden die Hilfen auslaufen. Am Rande sagte ein EU-Diplomat: "Die Hilfen laufen nach dem Prinzip, wer zuerst kommt, mahlt zuerst."
Die Entschädigung sei vor allem für Bauern gedacht, die nicht in Produktionsgemeinschaften organisiert seien. Europaweit sind im Schnitt gerade einmal ein Drittel der Hersteller organisiert - auch in Spanien und Deutschland. In Belgien und den Niederlanden gehören nahezu alle Bauern Gemeinschaften an. In Osteuropa sind kaum Bauern organisiert.
Landwirte, die Mitglied in Produktionsgemeinschaften sind, haben einen Vorteil: Sie würden gleich zweimal entschädigt werden. Die Bauern hätten Anspruch auf die 30 Prozent der EU-Kommission und könnten darüber hinaus auch über die Produktionsgemeinschaften kassieren. Für sie gelten nämlich schon Regeln bei Ausfällen. Demnach bekämen organisierte Gurkenbauern in Spanien zusätzlich 18 Cent pro Kilo.
Spanien kritisierte das: "Wir werden dafür eintreten, dass alle Bauern entschädigt werden, unabhängig davon, ob sie irgendwelchen Organisationen angehören." Auch aus Österreich kam Kritik. "Täglich wird ein neuer Agrarsektor verdächtigt, und das schadet der Landwirtschaft insgesamt", sagte Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich. "Es ist schon eine riesige Verunsicherung entstanden, die bis zur Stunde anhält."
Vorsichtiger Optimismus

Die Pflegekräfte (Foto: Intensivstation des Universitätskrankenhauses in Lübeck) bangen und hoffen mit ihren EHEC-Patienten.
(Foto: dpa)
Nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr gibt es Anzeichen für eine Entspannung bei den EHEC-Durchfallerkrankungen. Es sei zu früh für eine generelle Entwarnung, sagte Bahr in Berlin. Es gebe aber Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Die Zahl der Neuinfektionen sei rückläufig. "Es spricht Manches dafür, dass wir nun das Schlimmste hinter uns gelassen haben." Die Warnungen etwa vor dem Verzehr von rohen Tomaten, Gurken und Salat sollten weiter befolgt werden.
Kritik, die Krankenhäuser würden durch die EHEC-Krise auf großen Kosten sitzenbleiben, wies er zurück. Die Krankenhäuser würden für die Behandlungen bezahlt, er sehe keine Notwendigkeit für Änderungen der bestehenden Regelungen.
Keine Erreger gefunden
Die von einem Hamburger EHEC-Patienten bei den Behörden abgegebene Sprossen-Probe weist keine EHEC-Keime auf. Das sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. Der 42-jährige Hamburger hatte das Sprossengemüse des betroffenen gesperrten Hofs in Niedersachsen im Kühlschrank vergessen.
Die mehrere Wochen alte Packung hätte den Behörden dabei helfen können, die Infektionsquelle zweifelsfrei nachzuweisen. Erste Laborproben von Sprossengemüse von dem betroffenen Hof in Bienenbüttel waren am Montag ebenfalls negativ ausgefallen. Der Betrieb ist in Verdacht geraten, weil er zahlreiche Lokale und Kantinen beliefert hatte, von denen Gäste erkranken.
Sprossen-Hof aber nicht außer Verdacht
Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) ist trotzdem der Ansicht, dass der Hof als eine Quelle für die EHEC-Epidemie infrage kommt. Seinen Angaben zufolge war im Mai eine dritte Mitarbeiterin des Gärtnerhofs vermutlich an EHEC erkrankt, ist inzwischen aber wieder gesund. Bisher war nur die EHEC-Erkrankung einer Mitarbeiterin bekannt, eine zweite litt ebenfalls unter Durchfall. Auch zwei EHEC-Fälle in Cuxhaven wiesen Verbindungen zu dem Biohof auf.
Die Suche nach dem Erreger gestaltet sich nach Angaben des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums schwierig, da seit dem vermuteten ersten Bakterienbefall bereits mehrere Wochen vergangen sind. Die Behörden hatten deshalb Erwartungen gedämpft, dass bei den Tests Erreger gefunden werden könnten.
RKI korrigiert Angaben
Wie eine Sprecherin des Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin sagte, informierten die bayrischen Gesundheitsbehörden das RKI darüber, dass ein ursprünglich auf eine EHEC-Infektion zurückgeführter Todesfall doch nicht mit der gefährliche Darmerkrankung in Verbindung stand.
Das RKI korrigierte die Zahl der ihm gemeldeten EHEC-Todesfälle daraufhin von 22 auf 21. Parallel meldete aber das niedersächsische Landesgesundheitsministerium zwei weitere Tote durch EHEC, die noch nicht in die Zählung des RKI einflossen. Damit liegt die Zahl der EHEC-Toten in Deutschland bei mindestens 23 statt 24.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP