Super-GAU in Fukushima offiziell Experten versuchen zu beruhigen
12.04.2011, 21:17 Uhr
Polizisten durchkämmen die Sperrzone.
(Foto: AP)
Eine so seltene Katastrophe wie die am AKW Fukushima wirft Fragen auf, die auch Experten nicht befriedigend beantworten können. Es gibt zu wenig Erfahrungswerte. Die Internationale Atomenergiebehörde setzt daher auf eine Beruhigungstaktik. Zwar sei Fukushima ein Super-GAU, aber nicht ein ganz so schlimmer wie Tschernobyl.
Trotz der Hochstufung des Atomunfalls in Japan auf die höchste Gefahrenstufe sieht die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) gravierende Unterschiede zu dem bislang schwersten Atomunfall der Geschichte in Tschernobyl. Das Ausmaß der radioaktiven Strahlung und die Messwerte von Tschernobyl unterschieden sich erheblich von der Situation am japanischen Akw Fukushima, sagte der Chef für Nuklearsicherheit der IAEA, Denis Flory. Die japanischen Behörden hatten den Atomunfall zuvor auf die höchste Stufe 7 der internationalen Bewertungsskala hochgestuft, in die auch die Katastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren eingeordnet worden war.
Mit der Hochstufung des Atomunfalls in Japan wird die Reaktorkatastrophe als "gravierender Unfall" mit "weitreichenden Folgen für Gesundheit und Umwelt" bewertet. Die Hochstufung erfolgte auf Basis der gesamten ausgetretenen Radioaktivität, die nach japanischen Angaben einem Zehntel der ausgewichenen Strahlung von Tschernobyl entspricht. Laut IAEA gehen die japanischen Behörden davon aus, dass bislang insgesamt 370.000 Terrabecquerel Radioaktivität entwichen ist. In Tschernobyl lag der Wert dagegen bei 5,2 Millionen Terrabecquerel.
Die IAEA hatte wiederholt erklärt, dass die Tschernobyl-Katastrophe auf menschliches Versagen und Konstruktionsfehler zurückzuführen war, während die Krise in Fukushima durch ein beispielloses Erdbeben und anschließenden Tsunami ausgelöst wurde. "Die Mechanismen des Unfalls sind sehr anders", sagte Flory. Der Reaktor in Tschernobyl habe im Gegensatz zu Fukushima keinen Reaktorbehälter gehabt. Dieser sei in Fukushima trotz mehrerer Explosionen noch immer intakt. Zudem hätten sich die japanischen Reaktoren automatisch abgeschaltet. Flory fügte hinzu, dass die japanischen Behörden in ihrem Krisenmanagement nicht anders gehandelt hätten, wenn der Unfall früher hochgestuft worden wäre.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte, dass das Gesundheitsrisiko außerhalb der Sperrzone seit der Hochstufung nicht gestiegen sei. Die ergriffenen Maßnahmen erschienen zudem derzeit ausreichend, sagte ein WHO-Sprecher. Niemand befinde sich noch in der Sperrzone. Auch der Leiter des Lehrstuhls für Reaktorsicherheit und -technik an der RWTH Aachen, Professor Hans-Josef Allelein, ist dennoch weiter der Ansicht, dass der Unfall im Nordosten Japans noch nicht ganz so gefährlich ist wie Tschernobyl.
Er und andere Fachleute weisen auf einen großen Unterschied hin: 1986 habe es in der Ukraine - anders als in Japan - eine heftige Explosion gegeben, die das radioaktive Material hoch in die Atmosphäre geschleudert habe. "Mit der unschönen Konsequenz, dass wir verhältnismäßig hohe Werte auch über Europa weit verstreut gemessen haben und teilweise immer noch messen." In Japan seien dagegen noch rund 90 Prozent der radioaktiven Stoffe in den Anlagen und könnten vielleicht größtenteils sicher eingeschlossen werden, sagte Allelein. Möglicherweise rechnet die japanische Regierung jedoch nicht mehr mit dieser Möglichkeit und setzte die Gefahrenstufe deshalb hinauf.
Horst May von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit sieht anders als Allelein alle Kriterien für Warnstufe 7 inzwischen erfüllt: "Nur über mögliche gesundheitliche Spätschäden lässt sich noch nichts sagen." Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesamt für Strahlenschutz.
Wieder ein Feuer
Gut vier Wochen nach dem Beginn der Katastrophe stoppten unterdessen erneut starke Nachbeben kurzzeitig die Arbeit der Einsatzkräfte am AKW. Auch ein Brand an einer elektrischen Schaltanlage in der Nähe des Kühlwasserauslaufs für die Blöcke 1 bis 4 machte Probleme, konnte jedoch gelöscht werden.
Japans Regierungschef Naoto Kan sah auch Fortschritte im Kampf gegen einen möglichen Super-GAU. Die Lage im havarierten Atomkraftwerk "stabilisiert sich Schritt für Schritt", sagte Kan. Er bekräftigte, es gebe keine Pläne, die japanischen Atomkraftwerke sofort abzuschalten.
Die verhängte höchste Gefahrenstufe ist für die philippinische Regierung Anlass für Evakuierungsflüge. Sie will rund 2000 Landsleute, die im Umkreis von 100 Kilometern um das beschädigte Atomkraftwerk leben, nach Hause fliegen. Andere Länder folgten dem zunächst nicht. Auch das Auswärtige Amt in Berlin verschärfte seine Reisewarnung nicht. Derzeit gilt eine teilweise Reisewarnung für Japan, die die Regionen Fukushima und Umgebung betrifft.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts