Missbrauchsskandal im Ruhrbistum Gläubige fürchten falschen Verdacht
04.04.2010, 12:44 Uhr
Der Bischof des Bistums Essen, Franz-Josef Overbeck, will die Fälle schnell aufklären.
(Foto: picture alliance / dpa)
Junge Geistliche wissen nicht, wie sie sich bei Zeltlagern mit der Pfarrjugend verhalten sollen. Ältere Gläubige kehren der Kirche den Rücken. Im Ruhrbistum herrscht Unsicherheit.
Ostern ist das Fest der Auferstehung und der Freude im Glauben, doch von Feierstimmung sind die meisten Gläubigen und Mitarbeiter im Ruhrbistum weit entfernt. Der bundesweite Skandal um Priester und Ordensleute, die Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchten, und die Berichte über jahrzehntelang zurückliegende Misshandlungen von Kindern im katholischen Franz-Sales-Haus in Essen haben für tiefe Verunsicherung gesorgt.
Beschäftigte berichten von pauschalen Beschimpfungen am Telefon und im Internet. Junge Geistliche machen sich Gedanken, wie sie sich künftig bei Zeltlagern mit der Pfarrjugend verhalten, damit auch nicht der Schimmer eines Verdachts auf sie fällt. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Unbefangenheit im Umgang miteinander verlieren, die die Kirche für ihre Arbeit braucht", sagt Bistumssprecher Ulrich Lota.
Steigende Austrittsrate in Köln
Für manche ältere Gläubige bricht ihre bisherige Weltsicht zusammen, in der Geistliche unangefochtene Autoritäten waren. Nur wenige von ihnen schreiben der Bistumsspitze über ihre Empfindungen, sagt Lota. Aber mancher mag überlegen, ob er der Kirche nicht ganz den Rücken kehrt. Noch liegen die Austrittszahlen an der Ruhr für das erste Quartal nicht vor. Im Nachbarbistum Köln schnellten sie allein im März auf mehr als das Doppelte des Durchschnitts hoch.
Bischof Franz-Josef Overbeck setzt auf konsequente Aufklärung, sichert den Opfern die Übernahme der Therapiekosten zu und hofft am Ende auf eine Reinigung der Kirche durch den Skandal. Aber bisher ist noch gar nicht abzusehen, wie viele Fälle es überhaupt gibt - von anderen komplizierten Fragen ganz zu schweigen.
Wut der Angehörigen
Wie etwa geht man mit alten und - wie in einem Fall - schwer kranken Tätern um, die als Ruhestandsgeistliche in kirchlichen Wohnungen leben? Kann Kirche zur Strafe für die Taten Versorgungs- oder Rentenzahlungen kürzen und womöglich das einbehaltene Geld an Opfer als Entschädigung zahlen? Und überhaupt: Was ist mit Entschädigungszahlungen? Läge darin ein wirksames Zeichen der Reue und Bitte um Vergebung oder würden Entschädigungen als billiger Ablassversuch verstanden, der die Wut nur weiter schürt?
Denn die Wut ist groß: Geistliche, die ihnen anvertraute Jugendliche unsittlich berührten, mit ihnen onanierten oder sie vergewaltigten - sie haben damit nicht nur Vertrauen in die Kirche zerstört, sondern auch Menschen schwer geschädigt. Opfer wurden über Jahre und Jahrzehnte krank oder depressiv. Ihre Familien leiden mit, wie die zum Teil bedrückenden Schilderungen der Fälle zeigen.
Kirche unter Druck
Bisher werden laut Lota im Ruhrbistum 37 Hinweise auf Missbrauch von Kindern und Jugendlichen untersucht. Alle liegen so weit zurück, dass eine strafrechtliche Verfolgung kaum mehr möglich ist. Unter den Beschuldigten sind drei Ordensleute - um sie kümmert sich ihr Orden - ein Organist, ein Diakon, ein Küster und drei Priester.
Hinzu kommt der Fall eines Duisburger Pfarrers, der vor Jahren im Bistum Fulda wegen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt worden war und in Duisburg jahrelang ohne jedes Problem in der Altenpflege gearbeitet hat. Dass er jetzt vorsorglich in den Ruhestand versetzt wird, bis ein neues Gutachten über ihn vorliegt, zeigt auch den Druck, unter dem die Kirche steht.
Ratzingers Verbindungen zu Kaplan H.
Die meisten Schlagzeilen hat der frühere Essener und Bottroper Kaplan H. produziert, der nach Übergriffen auf Kinder und Beschwerden von Eltern 1980 zur Therapie in das Erzbistum München und Freising geschickt worden war. H. arbeitete nämlich in Bayern schon sehr bald wieder in der Gemeindearbeit, wo er sich erneut an Jugendlichen vergriff - unter der Oberhoheit des damaligen Münchner Erzbischofs Joseph Ratzinger, des heutigen Papstes Benedikt XVI.
Die Verbindung zum Papst ist aus Sicht der Kirche aber komplett vom Tisch. Der damalige Münchner Generalvikar Gerhard Gruber hat die komplette Verantwortung für die "eigenmächtige und falsche Entscheidung" zu H. übernommen. Erzbischof Ratzinger habe von dem Fall nichts gewusst - obwohl er der Versetzung des vorbelasteten Mannes im zuständigen Kirchengremium zustimmte.
Quelle: ntv.de, Rolf Schraa, dpa