"Wir schütten hier alles aus" Lauterbach: Biontech ist jetzt schon knapp
16.12.2021, 02:16 Uhr
Für Lauterbach ist derzeit Klinkenputzen angesagt, um bei den Hersteller und anderen Ländern Impfstoff nachzukaufen.
(Foto: REUTERS)
Die Booster-Kampagne läuft auf Hochtouren und auch bei den Erstimpfungen ist einiges in Bewegung - wie kann es da sein, dass Deutschland schon wieder zu wenig Impfstoff hat? Gesundheitsminister Lauterbach will seinem Amtsvorgänger keine Vorwürfe machen. Der Mangel sei aber - insbesondere bei Biontech - schon jetzt spürbar.
Bei der Impfkampagne ist nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach der Biontech-Impfstoff bereits derzeit knapp bemessen. "Wir können in der nächsten Woche 1,2 Millionen Dosen Biontech für ganz Deutschland ausliefern, in der Woche darauf 800.000 Dosen und dann noch einmal 1,2 Millionen Dosen", sagte Lauterbach am Mittwochabend im ZDF bei Markus Lanz. "Das ist aber viel weniger als das, was die Ärztinnen und Ärzte jede Woche abrufen."
Lauterbach erläuterte: "Das sind schon Reserven. Wir schütten hier alles aus. Denn die Kampagne muss ja laufen, so gut, wie sie kann." Am Dienstagabend hatte Lauterbach in der ARD bereits von einem "Impfstoffmangel" fürs erste Quartal 2022 gesprochen. Als Reaktion will die neue Bundesregierung nun mehr als 90 Millionen Biontech-Impfstoff nachkaufen, sowohl bei den Herstellern als auch im Ausland. Die Kosten werden auf etwa 2,2 Milliarden Euro beziffert.
Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung ist Grund für den Mangel, dass Deutschland und die EU im Frühherbst eine Bestelloption über mehrere Millionen zusätzliche Dosen des Biontech-Impfstoffs verstreichen ließen. Mögliches Lieferdatum wäre der Januar 2022 gewesen, so das Blatt. Weder der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn noch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hätten auf zusätzlichen Impfstoff gedrängt.
Aus der CDU kam der Vorwurf, Lauterbach rufe "Feuer", um dann Feuerwehr zu spielen. "Obwohl er weiß, dass es gar nicht brennt", schrieb der gesundheitspolitische Sprecher von CDU/CSU, Tino Sorge, an seine Fraktionskollegen. Es handle sich um "ein durchsichtiges politisches Manöver, um die SPD von der Großen Koalition abzusetzen". Es seien genug Impfdosen vorhanden.
"Ich wünschte, die Zahlen der Union wären richtig", konterte Lauterbach am Abend im ZDF. Die Mitteilung über Impfstoffknappheit sei kein Vorwurf gegen seinen Vorgänger Jens Spahn. Über das ganze Jahr hinweg sei auch genug Impfstoff vorhanden gewesen - aber nicht für eine sehr schnelle Boosterkampagne.
Nachschub soll aus Osteuropa kommen
Zu den rund drei Millionen verfügbaren Biontech-Dosen in den kommenden drei Wochen sagte der SPD-Politiker, er habe die verfügbare Menge gestückelt. Der Gedanke dabei sei, dass in der kommenden Woche viel, in der Weihnachtswoche etwas weniger und dann wieder mehr geimpft werde. "Mehr ist schlicht nicht da", so Lauterbach. "Die Ärzte, die jetzt mehr bestellen, die können wir nicht bedienen." Er versuche jetzt, "notfallmäßig Impfstoff aus osteuropäischen Ländern zurückzukaufen". Das dorthin gelieferte Serum könne zum Teil nicht verimpft werden.
Beim Impfstoff von Moderna seien derzeit noch ausreichende Mengen vorhanden. Hier sei das Problem, dass die Mengen ab Januar sehr stark absänken. "Was wir jetzt noch gesichert haben, das sind 1,5 Millionen Dosen pro Woche. Und somit muss ich etwas tun."
Lauterbach hatte direkt nach seinem Amtsantritt vergangene Woche eine Inventur über die verfügbaren Impfstoffmengen veranlasst. Bei der Gesundheitsministerkonferenz am Dienstag informierte er dann seine Länderkollegen über die Engpässe. "Für das gesamte erste Quartal ist viel zu wenig Impfstoff gekauft worden. Die Mengen reichen nicht, um die Boosterimpfkampagne zu fahren", sagte Lauterbach in der Konferenz. Der Mangel werde im Januar auftreten, im Februar und März sei die Situation nicht besser. Gleichzeitig erklärte Lauterbach, er versuche die Lücken durch Zukäufe zu schließen.
Hausärzteverband sorgt sich um Impfbereitschaft
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, äußerte sich derweil unglücklich über die Kommunikation des drohenden Impfstoffmangels. "Als Ministerium ausschließlich das Problem zu melden, ohne dazuzusagen, was man konkret tut, um das zu ändern, ist problematisch und wirkt sich auch auf die Impfbereitschaft aus", sagte Weigelt den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die einen bekommen Angst, dass sie nicht mehr geboostert werden können, die anderen nehmen Abstand von der Impfung, weil sie das Gefühl haben, es bringt nichts, sich darum zu bemühen." Das helfe nicht, sagte der Hausärzte-Vertreter. "Die Botschaft muss sein, wir schaffen den Impfstoff ran."
Ärztepräsident Klaus Reinhardt schlug vor, die Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen auf den neuen Krisenstab im Kanzleramt zu übertragen. "Entscheidend ist nicht, was in den Bestellbüchern steht, sondern was am Ende bei den Ärztinnen und Ärzten vor Ort ankommt", sagte Reinhardt dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland".
Aus Sicht der Caritas hat die Corona-Pandemie lange angelegte Armutsrisiken sichtbar gemacht. "Einmal arm, immer arm - das ist für immer mehr Menschen eine reale Bedrohung", sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa in Berlin. Am heutigen Donnerstag will der Paritätische Wohlfahrtsverband einen Bericht zur Armutsentwicklung in der Pandemie veröffentlichen.
Auch für den heutigen Donnerstagmorgen ist eine weitere Konferenz mit den Länderressorts angesetzt, am Nachmittag will sich Lauterbach auch öffentlich zu den Beschaffungsbemühungen äußern. Schon am Mittwochabend wurde bekannt, dass der Bund 92 Millionen weitere Dosen bei Biontech und über EU-Verträge kaufen will.
Quelle: ntv.de, ino/dpa