Berlin spricht von "nationaler Katastrophe" Milliarden sollen das Elend der Flutopfer lindern
11.06.2013, 13:38 Uhr
Immer wieder Fischbeck. Hier nahm das Unheil durch den Deichbruch seinen Lauf.
(Foto: dpa)
Nach mehr als einer Woche Hochwasser in Deutschland reagiert jetzt die Politik und stellt staatliche Milliardenhilfen für die Betroffenen in Aussicht. Viele der Zehntausenden Flutopfer haben keine Versicherung, weil sie die exorbitant hohen Policen in den gefährdeten Gebieten nicht aufbringen können. Von "nationaler Katastrophe" und "nationaler Kraftanstrengung" ist jetzt in Berlin die Rede. Die, die alles verloren haben, bekommen schon mal 400 Euro. Und gute Nachrichten aus Fischbeck gibt es auch.
Die Bundesregierung stellt eine s taatliche Milliardenhilfe für die Flutopfer in Aussicht und besteht darauf, dass das Hilfsgeld nicht auf die Sparanstrengungen der Schuldenbremse angerechnet wird. "Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung durch den Bund und alle Länder", sagte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, in Berlin. Dies gelte auch für jene Länder, die nicht von den Wassermassen betroffen seien, sagte sie mit Blick auf das Treffen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel an diesem Donnerstag. Die Runde will sich mit der Flutkatastrophe und deren Aufarbeitung befassen.
Unvorhergesehene Katastrophenfälle wie die Flut würden "nicht mit in die Schuldenbremse eingebaut". Auch Steuererhöhungen oder Abstriche bei geplanten Maßnahmen etwa zur Familienförderung sind nach ihrer Ansicht nicht notwendig, um die Flutschäden zu beseitigen. Bei dieser guten wirtschaftlichen Entwicklung müsse man die Folgekosten der Katastrophe "schultern können". Die Höhe der Fluthilfe noch offen. Die Schäden werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt.
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Der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, spricht von einer "nationalen Katastrophe. Deswegen müssen wir auch nationale Solidarität zeigen." Der CDU-Politiker setzt sich für einen weiteren und schnelleren Ausbau von Deichen und Schutzmaßnahmen in gefährdeten Gebieten ein und zeigt Verständnis für die Frustration von Bürgern und Politikern, dass dies nicht schon ausreichend geschehen sei. Die Regierung sagte derweil Hilfen für die Betroffenen aus einem Fonds zu, der von Bund und Ländern gefüllt werden soll. Die Summe ist noch offen. Die Schäden werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt.
Unterdessen rauscht die Spitze des Elbe-Hochwassers durch Sachsen-Anhalt und kommt in Höhe von Wittenberge im Land Brandenburg an. In Magdeburg sinkt der Pegel auf 6,80 Meter und damit nahezu auf den Stand der so genannten Jahrhundertflut von 2002. Die knapp 3000 Einwohner des Magdeburger Stadtteils Rothensee können wieder in ihre Wohnungen zurück. Die östlich der Elbe gelegenen Stadtteile Magdeburgs bleiben aber weiter geräumt.
Deich bei Fischbeck stabilisiert
Viel dramatischer sieht die Lage dagegen im nördlichen Teil dieses Bundeslandes aus. Auch wenn der Deichbruch bei Fischbeck mit Hilfe der Bundeswehr verkleinert werden kann, bringt dies für die Anwohner des Ortes und Dutzende Dörfer im Umkreis nur wenig Hoffnung. Denn noch immer ergießen sich dort gigantische Wassermengen über das Land und suchen sich neue Wege. Dennoch spricht die Landesregierung von einem Hoffnungsschimmer, weil der Deich nicht weiter aufreiße.
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Rund 9000 Soldaten sind in Sachsen-Anhalt im Einsatz. Der Krisenstab der Landesregierung koordiniert den Einsatz in Stendal nun selbst, weil sich die Lage im Jerichower Land so zugespitzt hat. Eine enge Koordination mit dem Nachbarland Brandenburg und ein größerer Bundeswehreinsatz ist das Ziel.
Seit Montag lässt die Bundeswehr von Hubschraubern aus Sandsäcke auf die beschädigte Deichstelle bei Fischbeck ab. Der Riss soll sich dadurch bereits von 100 Meter Länge auf 60 Meter verkleinert haben. Dennoch gehen die Einsatzkräfte davon aus, dass es er möglich sein wird, den Damm zu retten, wenn die Wassermassen nicht mehr so stark gegen das Bauwerk drücken. Mit anderen Worten: Erst, wenn sich die Elbe ins Land ergossen hat und dadurch der Pegel fällt.
Das Wasser hat bereits die Bundesstraße 107 zwischen Jerichow und Fischbeck überflutet und nähert sich dem Stadtgebiet von Jerichow.
Hoffnung gibt es auch in Hohengöhren, wo nach der Deichabrutschung der befürchtete Durchbruch verhindert werden konnte. Allerdings nutzt das Hohengöhrenern wenig, weil jetzt das Wasser über den offenen Fischbecker Damm in den Ort schwappt. Die Ortschaft Schönhausen zwischen Fischbeck und Hohengöhren steht bereits unter Wasser und frisst sich beständig nach Norden vor. In Schönhausen wurde Otto von Bismarck geboren. Das Herrenhaus und der Schlossgarten sind jetzt akut bedroht.
Brandenburger Notdeich in Sachsen-Anhalt umstritten
In Brandenburg ist die Lage weiter angespannt. Der Scheitelpunkt der viele Kilometer langen Elbewelle passiert unterdessen die Prignitz und damit die Stadt Wittenberge. Tausende Helfer hatten mit Millionen Sandsäcken die Stadt gegen die Fluten geschützt.
Gestern wurde zudem im Landkreis Havelland ein rund 3,5 Kilometer langer Notdeich fertiggestellt, der dort eiligst als Schutz gegen das Wasser errichtet worden war. Er soll das Vordringen des Fischbecker Wassers ins Hinterland verhindern. Über diesen Notdeich erhitzen sich derzeit die Gemüter. Während sich Brandenburg vor der heranrollenden Flut schütze, werde das Jerichower Land weiter absaufen, heißt es in Fischbeck. Wenn das Wasser nicht in die Breite könne, gehe es in Höhe. Damit würde die Ursächlichkeit dieser Katastrophe fortgesetzt.
Lange Wartezeit für Bahnreisende
Die Sperrung einer Elbbrücke in Hämerten sorgt weiter für Verspätungen im Fernverkehr der Bahn. Betroffen sind die ICE-Verbindungen Berlin-Köln und Berlin-Frankfurt am Main. Wegen der Umleitungen kann es zu Verspätungen von bis zu drei Stunden kommen. Wie lange die Sperrung der Brücke dauern wird, kann die Bahn derzeit noch nicht abschätzen.
Der Norden macht sich bereit
Derweil rüsten sich die Menschen in Lauenburg in Schleswig-Holstein für den Höchststand der Elbe-Flut. Der Scheitelpunkt soll hier erst am Donnerst ag erreicht werden. Die kritische Marke von 9,30 Meter ist bereits überschritten, am Morgen lag der Pegelstand bei 9,56 Meter. Das sind knapp fünf Meter über dem normalen Stand. Teile der Altstadt sind ohne Strom, Hunderte Bewohner haben das bedrohte Gebiet bereits bis in die Nacht zum Montag verlassen.
In Mecklenburg-Vorpommern ist die Flutregion zwischen Dömitz und Boizenburg zur Sperrzone erklärt. Ortsfremde, die keine Einsatzkräfte sind, dürfen nicht mehr hinein. Einheimische sollen sich auf eventuelle Evakuierungen vorbereiten. Der Wasserstand der Elbe am Pegel Dömitz blieb aber auch wegen des Deichbruchs in Fischbeck konstant bei 7,20 Meter.
Der Hochwasserscheitel der Elbe hatte gestern auch Niedersachsen erreicht. Doch anders als flussaufwärts gibt es hier noch keine größeren Schäden. Der Wasserstand in den betroffenen Kreisen Lüchow-Dannenberg und Lüneburg wird sich aber auch dort über mehrere Tage auf einem hohen Niveau halten. In Hitzacker wird seit dem Morgen ein Wasserstand von 8,17 Meter gemessen. Normalerweise liegt der Elbe-Pegel dort bei 2,67 Meter. In Schnackenburg fällt der Pegelstand bereits leicht.
Wirtschaft hilft Wirtschaft
Bundeswirtschaftminister Philipp Rösler sagte den vom Hochwasser betroffenen Unternehmen konkrete, praktische Hilfe ohne bürokratischen Aufwand zu. Die Firmen "bekommen Hilfe in umfassender Form. Vor allem von der Wirtschaft selber – die Ansprechpartner sind hier die Kammern jeweils regional vor Ort", sagte der FDP-Politiker im Gespräch mit n-tv. Auf Bundesebene habe die Kreditanstalt für Wiederaufbau einen entsprechenden Nothilfefonds aufgelegt. Es sei eine Hotline geschaltet worden. "Wer einen bestimmten Schaden glaubhaft machen kann, kann bis zu 50 Prozent des Schadens erstattet bekommen und je nach Region, je nach Bundesland geht es dann um 10.000 oder noch mehr Euro."
Soforthilfe wird ausgezahlt
Privatpersonen bekommen in Sachsen-Anhalt seit heute 400 Euro Soforthilfe ausgezahlt. Pro Familie allerdings nicht mehr als 2000 Euro. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte dem MDR, dass das Gesetz zur Soforthilfe für Hochwasseropfer beschlossen wurde. "Ab sofort können die Bürger bei den Kommunen ihr Geld beantragen." Das Soforthilfepaket umfasst 40 Millionen Euro, jeweils 20 Millionen Euro vom Land und Bund. Die Soforthilfe liegt Haseloff zufolge auf dem Niveau von Sachsen und Thüringen.
Enteignungen für den Hochwasserschutz möglich
Derweil forderte Bundesumweltminister Peter Altmaier länderübergreifende Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Dazu sollen Bauverbote am Wasser und gezielte Vorflutflächen gehören. Auch Enteignungen dürfe man nicht ausschließen, sagte der CDU-Politiker der "Passauer Neuen Presse". "Sie müssen aber immer die Ultima Ratio bleiben", betonte Altmaier.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, macht sich für die Einführung eines "Hochwasserschutz-Beschleunigungsgesetzes" stark. "In einem solchen Gesetz sollte klar werden, dass, auch wenn der Naturschutz betroffen ist oder es Bürgerproteste gibt, im Zweifel der Hochwasserschutz Vorrang hat", sagte er der "Rheinischen Post".
Landsberg fügte hinzu: "Wir müssen uns davon verabschieden, dass ein Jahrhunderthochwasser nur alle 100 Jahre einmal auftritt." Bis die Schäden des jetzigen Hochwassers beseitigt seien, dauere es mindestens zwei bis drei Jahre. Die Schäden würden sich voraussichtlich auf mindestens zehn Milliarden Euro belaufen.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa