Panorama

"Ungeziefer auf Bestellung" Schädlingsbekämpfer kämpfen gegen uralten Feind

Die liebevoll genannten "Papierfischchen" verschwinden leider nicht von allein ...

Die liebevoll genannten "Papierfischchen" verschwinden leider nicht von allein ...

(Foto: IMAGO/Pond5 Images)

Sie sehen aus wie Silberfische, sind aber nicht so harmlos: Papierfischchen breiten sich in deutschen Haushalten aus, zerfressen Bücher und Tapeten – und können zur psychischen Belastung werden. Schuld daran trägt auch unser Konsumverhalten.

Im Eingang eines Neubaus aus den 2010er-Jahren hängt ein Informationsschreiben der Hausverwaltung. Es geht um die Bekämpfung der Papierfischchen. Papier ... Was? Die Tierchen sehen aus wie etwas zu groß geratene Silberfische, vermutlich existieren sie seit mehr als 350 Millionen Jahren. In Deutschland sind sie trotzdem ein vergleichsweise neues Phänomen.

"Wir befassen uns seit sieben Jahren intensiv mit Papierfischchen", sagt Bärbel Holl, Schädlingsbekämpferin und Vorsitzende des Vereins zur Förderung ökologischer Schädlingsbekämpfung. In den 1990er-Jahren hätten sich die Fischchen in Skandinavien verbreitet, in Deutschland seien sie vor 20 Jahren stärker aufgetreten - damals aber noch nicht in problematischem Ausmaß.

"Die Psyche der Menschen leidet"

Die invasive Art ist vermutlich aus Südwest- und Südafrika über den Warenverkehr nach Europa gelangt. Schon 1905 wies der bayerische Insektenkundler Karl Escherich in einer Abhandlung über Fischchen-Insekten auf Schäden an Büchern und Sammlungen hin. Papierfischchen können acht bis zehn Jahre alt werden - und rund 300 Tage ohne Nahrung überleben. Wenn sie dann jedoch loslegen, sehen sie es auf stärkehaltige Materialien ab: Bücher, Tapeten, Lampenschirme, Dokumente oder Bilder an der Wand sind vor ihnen nicht sicher.

Neben emotionalen Werten sind auch materielle und historische in Gefahr: "Zudem machen sich in manchen Häusern neue Arten wie die sogenannten Papierfischchen breit", hieß es schon 2018 in einer Einladung des Museumsbundes zu einem Symposium zur Schädlingsbekämpfung. Manche Häuser, wie etwa das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, reagieren mit dem Bau neuer Depots auf die Gefahren durch die Schädlinge. Sie können über Leihgaben von einem Museum zum nächsten wandern, schlimmstenfalls weltweit.

Für die Gesundheit besteht durch das Fischchen zwar keine Gefahr. Bei privaten Haushalten sei der Leidensdruck dennoch groß, sagt Bärbel Holl: "Die Psyche der Menschen leidet. Die Tiere sitzen im Bett, in den Baby-Sachen, in der Kaffeemaschine." Manche wollten keinen Besuch mehr empfangen oder die Freunde der Kinder nicht übernachten lassen.

Keine Frage der Hygiene

Die meisten Betroffenen würden den Befall allerdings nicht sofort oder mit falschen Mitteln angehen. "Sie informieren sich im Internet und verteilen dann wirkungslose Hausmittel." An die Hausverwaltung oder Nachbarn würden sich die Menschen nur zögerlich wenden. "Viele denken, sie seien selbst schuld", sagt Bärbel Holl. Dabei sei der Befall mit Papierfischchen keine Frage der Hygiene.

Eine Ursache für die Verbreitung der Schädlinge ist unser Konsumverhalten. Papierfischchen können sich in den Zwischenräumen der Wellpappe von Versandkartons verstecken und so in den Haushalt gelangen. Während in Deutschland im Jahr 2019 noch 3,65 Milliarden Pakete verschickt wurden, waren es inmitten der Pandemie 2021 fast eine Milliarde mehr. Im vergangenen Jahr lag die Zahl bei rund 4,18 Milliarden.

Wie stark sich die Tierchen verbreiten, ist nicht bekannt. Konkrete Zahlen liegen für Deutschland nicht vor, es erfolgt keine zentrale Erfassung bekannter Fälle. In den Niederlanden können Betroffene einen Befall an das Kompetenzzentrum für Schädlinge und Wildtiere melden. Weil es sich um freiwillige Angaben handelt, liegen die Zahlen unter den tatsächlichen Fällen, eine deutliche Tendenz lässt sich dennoch erkennen: Lag die Zahl der Beobachtungen 2019 bei 229, waren es im Jahr 2023 schon 1.564.

"Die verschwinden nicht von allein"

Manchmal leben die Papierfischchen schon in der Wohnung, bevor die Menschen einziehen. "Das Gros der Tiere wird über Baumaterialien eingeschleppt", sagt Bärbel Holl. Beim erhöhten Aufkommen des Schädlings habe sie analysiert, welche Parallelen die Einzelfälle aufwiesen - und sei vermehrt bei Neubauten gelandet. "Die veränderte Bauweise mit Gipskartonwänden bietet mit ihren Hohlräumen einen wunderbaren Lebensraum für die Papierfischchen." Hinzu komme ein gut isoliertes Raumklima, in dem sich die Schädlinge besonders wohlfühlten.

Hier finden Sie Hilfe

Unter Schädlingsbekämpfern gibt es viele schwarze Schafe. Auf den Seiten des Vereins zur Förderung ökologischer Schädlingsbekämpfung oder des Deutschen Schädlingsbekämpfer Verbands können Betroffene zertifizierte Experten in der Nähe finden.

An einer professionellen Schädlingsbekämpfung führe bei einem Befall kein Weg vorbei. "Je schneller man reagiert, desto besser", sagt die Expertin. Allerdings sei die Thematik selbst bei vielen Fachbetrieben noch zu wenig präsent. "Viele versuchen es mit insektiziden Spritzmitteln, die zwar wirksam sind, aber nicht an alle Verstecke gelangen." Ihr Betrieb setze auf Fraßgele ohne Raumluftbelastung, das aufwendig in alle Ritzen und Fugen an Türen, Schwellen und Zierleisten und zwischen Büchern verteilt werde.

Papierfischchen würden nie von allein verschwinden, sagt Bärbel Holl. Ziel der Bekämpfung sei es, den Bestand zu reduzieren, was fast immer gelinge. Den Betroffenen versuche sie stets Mut zu machen: "Wir bekommen das hin, alles wird gut."

Quelle: ntv.de

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