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Keine "Elite"-Droge mehr Warum der Anstieg von Kokain-Straftaten besorgniserregend ist

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Kokain ist preiswerter und weiter verbreitet als je zuvor.

Kokain ist preiswerter und weiter verbreitet als je zuvor.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

In der polizeilichen Kriminalstatistik zeigt sich bei den Drogendelikten ein besorgniserregender Anstieg. Demnach nehmen Straftaten im Zusammenhang mit Kokain und Crack um beinahe 30 Prozent zu. Die Ursachen sind komplex, die Zahlen möglicherweise der Beginn einer verhängnisvollen Entwicklung.

Nach der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik konzentriert sich die mediale Auswertung vor allem auf den deutlichen Anstieg der Zahlen ausländischer Tatverdächtiger. Auf den hinteren Seiten des Berichts verbergen sich jedoch noch weitere Entwicklungen, die Anlass zur Sorge geben. Eine ist die Zunahme von Drogendelikten im Zusammenhang mit Kokain und Crack.

Während die Zahl der Rauschgiftdelikte insgesamt mit 346.877 im Jahr 2023 gegenüber 340.677 dem Vorjahr weitgehend unverändert sind, zeigt die Aufschlüsselung der verschiedenen Drogen ein anderes Bild. Demnach ist die Zahl der Delikte in Verbindung mit Heroin weitgehend gleichbleibend (2023: 10.130, 2022: 10.494), bei LSD (809 gegenüber 906) und den sogenannten Neuen psychoaktiven Stoffen (3005 gegenüber 3658) sinken sie sogar. Bei Kokain und Crack hingegen steigen die Zahlen von 28.568 im Jahr 2022 auf 36.890 im zurückliegenden Jahr um 29,1 Prozent.

Kokain und Crack werden gemeinsam erfasst, weil sie die gleiche Grundlage haben, den Extrakt aus Blättern von Erythroxylon coca. Crack wird aus dem zunächst pulverförmigen Kokainhydrochlorid mit Backpulver und Wasser zu Kristallen verbacken und dann geraucht, während Kokain meist geschnupft wird. Bereits im vergangenen Jahr ergab eine Abwasseruntersuchung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), dass Kokain inzwischen nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte Droge in Europa ist. Der Bundesbeauftragte für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, nannte den Anstieg beim Konsum von Kokain und Crack gegenüber ntv.de "besorgniserregend" und wies darauf hin, dass die Kriminalstatistik einen Überblick über die Zahl der polizeilichen Ermittlungsverfahren gibt, nicht aber "zur Zahl der Drogenkonsumierenden oder den gesundheitlichen Problemen, die mit Drogengebrauch verbunden sind".

Gewaltige Mengen auf dem Markt

Bei der Vorstellung der Kriminalstatistik sagte BKA-Präsident Holger Münch, Europa sei der Zielmarkt der südamerikanischen Drogenproduktion, nachdem der amerikanische Markt weitgehend gesättigt sei. Im Kriminalitätsbericht ist von einer "hohen Verfügbarkeit" von Kokain die Rede, "die durch steigende Kokaanbauflächen und Produktionsmengen in Südamerika begünstigt wird".

2023 war demnach durch Polizei und Zoll in Deutschland so viel Kokain wie noch nie sichergestellt worden - insgesamt mindestens 35 Tonnen. Die größten gefundenen Kokainmengen wurden versteckt in Frachtschiffen, hauptsächlich in Seecontainern, oft in Verbindung mit schnell verderblichem Obst oder Gemüse, nach Europa geschmuggelt. Trotz dieser großen Funde scheine "so viel Kokain auf dem deutschen Markt gewesen zu sein, dass dies zu einem solch hohen Anstieg bei den Handels- und konsumnahen Delikten geführt hat". In ihrer Analyse des europäischen Drogenmarktes 2024 kommt die EMCDDA ebenfalls zu dem Schluss, dass Kokain "in einem noch nie dagewesenen Ausmaß verfügbar ist".

Münch begründete das auf der Pressekonferenz unter anderem mit der extrem guten und flexiblen Zusammenarbeit verschiedener Gruppierungen entlang der Logistikkette und forderte, die Strafverfolgung in gleichem Maße zu intensivieren. Besonders im Blick habe man die verschiedenen Logistikzentren und Häfen, über die die Droge nach Europa und Deutschland kommt. Momentan spielten Ecuador als Herkunftsland und die Häfen Amsterdam, Rotterdam und Hamburg eine besondere Rolle, so der BKA-Chef.

Gesellschaftlich weit verbreitet

Die EMCDDA sieht schon seit Jahren Anzeichen für eine mögliche Verlagerung der Rolle Europas im weltweiten Kokainhandel. "Dies zeigt sich in der zunehmenden Nutzung der Europäischen Union als Transitland für Kokainlieferungen in andere Regionen und in der wachsenden Tendenz, dass einige Stufen der Kokainproduktion innerhalb der Europäischen Union stattfinden."

Anfang März hatte die europäische Polizeibehörde Europol bereits eine Analyse krimineller Netzwerke in Europa vorgelegt und dabei den Drogenhandel als Hauptgeschäftsfeld ausgemacht. Auch darin wurden die extreme Anpassungsfähigkeit, Innovationskraft und Widerstandsfähigkeit der Organisierten Kriminalität in diesem Bereich hervorgehoben. Als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hätten die kriminellen Netzwerke ihre "Handelsrouten geändert und ihre Methoden diversifiziert", heißt es von den Europol-Expertinnen und -Experten.

Der extrem hohen Verfügbarkeit von Kokain und Crack steht offenbar ein verändertes Konsumverhalten gegenüber. Auch wenn dem BKA zur "Motivation eines zunehmenden Kokainkonsums" keine Informationen vorlägen, lasse sich feststellen, "dass Kokain keine 'Elitedroge' mehr ist", heißt es in der Kriminalstatistik. Trotz des vergleichsweise hohen Preisniveaus sei Kokain "für viele Menschen in Deutschland und den westlichen Industriestaaten bezahlbar und deshalb mittlerweile gesellschaftlich weit verbreitet".

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Das bestätigt auch Felix Betzler, der an der Berliner Charité die Arbeitsgruppe "Recreational Drugs" und die "Partydrogensprechstunde" leitet. Dem "Tagesspiegel" sagte der Suchtmediziner, dass Kokain in der Hauptstadt sowohl "in der Feierszene als auch in der Alltagsbewältigung" eine große Rolle spiele. Senatsangaben zufolge ist der Kokainkonsum in Berlin in den vergangenen fünf Jahren um 58 Prozent gestiegen. "Der Topmanager konsumiert es genauso wie der Koch oder der Bahnfahrer", so Betzler.

Die Einschätzungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht lassen den Schluss zu, dass der jetzt verzeichnete Anstieg erst der Beginn einer unheilvollen Entwicklung sein könnte. Die EMCDDA rechnet jedenfalls mit einer Zunahme schwerer Gewalttaten im Zusammenhang mit dem Kokainmarkt. "Von Crack werden die Menschen sehr schnell abhängig, es geht in erster Linie nur noch um den nächsten Rausch", betont der Drogenbeauftragte Blienert. Und auch wenn die Preise gesunken sind, ist der Konsum, zumal der Suchtkonsum, teuer.

Quelle: ntv.de

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